Schwule Eishockey-Romanzen: Mehr als rohes Männerfleisch mit Muskelbergen?

Ein Blick in die utopische Welt der aktuellen Male-Male-Romance-Erfolgsbücher

Symbolfoto
Symbolfoto (Bild: Claudio Schwarz / Unsplash)

Im breitgefächerten Universum von Male-Male-Romance-Titeln gibt es viele Unterkategorien, mit denen die oft heterosexuellen Autorinnen ihre Leserschaft in ganzen Romanreihen an sich binden. Man denke an Subgenres wie «Single Dad», «Enemies to Lovers» oder «Fake Dating»-Storys.

Eine besonders beliebte Spielwiese, auf der Autor*innen ihre schwulen/bisexuellen Charaktere sich austoben lassen, ist die Welt des Sports. Wobei die Kombination von einem explizit homophoben Ambiente und unfassbar «maskulin» wirkenden Supermännern, die wir beim Sex miteinander erleben kann, den besonderen Kick auszumachen scheint.

Diese sportlichen Machos werden Leser*innen gezielt als «Man Meat» präsentiert, also wie saftiges rohes Männerfleisch. So wie früher in vielen Büchern Frauen präsentiert wurden – als Lustobjekte, an denen Lesender sich aufgeilen können. Nur das hier der Spiess umgedreht ist. Und gleichzeitig die Utopie einer akzeptierenden Gesellschaft und Sportwelt skizziert wird, die es schafft, die anfängliche Homophonie zu überwinden, so dass die Männer jetzt glücklich zusammenleben können; natürlich mit Hilfe weiblicher Fans, die sich als besonders progressiv erweisen.

Spiegel eines Phänomen in der Pornowelt Während es viele Sportarten gibt, die in diesem Kontext als Background-Setting funktionieren, sind besonders Eishockeygeschichten im MMR-Universum eine Rubrik für sich. Nicht nur, weil die Autor*innen mit Eishockeyspielern, die als Muskelberge mit Tattoos und Riesenschwänzen übereinander herfallen, besonders hohe Verkaufszahlen erzielen. Die Eishockeygeschichten spiegeln auch ein Phänomen in der Pornowelt wider, wo neuerdings auffallend viele Frauen «schwule» Inhalte konsumieren und produzieren.

Die Pornoregisseurin Nica Noelle sagte dazu in einem Interview mit mir fürs Vice-Magazin: «Viele ältere, heterosexuelle Frauen fühlen sich beim Anschauen von Schwulenpornos wohler, weil sie sich keine Sorgen machen müssen, ob sie mit einer jüngeren, attraktiveren oder sexuell erfahreneren Frau auf dem Bildschirm mithalten können. Der schwule Mann lehnt alle Frauen sexuell ab, egal wie jung oder schön sie sind. Wenn die Schwulenporno-Fan-Frau ihrem ‹Porn Crush› beim Liebesspiel mit einem anderen Mann zusieht, kann sie seine Schönheit und sexuelle Leistung geniessen, ohne von einer anderen Frau gestört zu werden, mit der sie ihrer Meinung nach niemals konkurrieren könnte.»

«Viele Frauen lesen solche Geschichten und schalten dabei den Vibrator ein»

K. C. Wells, Male-Male-Romance-Autorin

Die britische MMR-Autorin K. C. Wells wiederum erzählte mir in einem Gespräch im Schwulen Museum, dass viele Frauen solche Geschichten lesen und dabei einen Vibrator einschalten würden, um in gesteigerte Erregung zu kommen. Für maximales – von Konkurrenz befreites! – Lesevergnügen.

«HIM – Mit ihm allein» von Sarina Bowen und Elle Kennedy, deutsche Ausgabe von 2023
«HIM – Mit ihm allein» von Sarina Bowen und Elle Kennedy, deutsche Ausgabe von 2023 (Bild: Second Chances Verlag)

Das wird in den Eishockeyromanen von Autor*innenteams wie Sarina Bowen und Elle Kennedy schamlos bedient. Ihre besonders erfolgreiche Romantrilogie über die Beziehung der Spieler James und Wesley liegen inzwischen auch in deutscher Übersetzung vor als «HIM – Mit ihm allein», «US – Du und ich für immer» sowie «EPIC – Unser Spiel des Lebens». (Im englischen Original jeweils ohne die Zusätze.) Diese Bücher sind zuerst zwischen 2015 und 2022 erschienen und erzählen die Geschichte von Jamie Canning and Ryan Wesley («Wesmie»), ihrer turbulenten Affäre und späteren Ehe. Letztere wurde auch im separaten WAGs-Roman («Wives and Girlfriends») «Good Boy» von 2016 weitererzählt, dort aus Perspektive der Schwester von James, die sich mit einem Hockeykollegen aus Wes‘ Team einlässt auf eine Sextravaganza der Sonderklasse.

Alpha-Männer mit Buttplugs Wes und Jamie werden von den Autorinnen als «sexbesessene Boyfriends» und «raging horndogs» charakterisiert, also als dauergeile Rammler, die sich durch drei Bücher ficken. Wobei die beiden Alpha-Männer zeitweilig sogar Buttplugs einsetzen (beim Joggen!), um ihren Schliessmuskel zu weiten – damit sie die XXL-Teile ihres Partners besser einführen können. Es scheint, als hätten Bowen/Kennedy besondere Freude daran, ihre Charaktere durch die Unannehmlichkeiten des Analsexes zu lotsen, um Leser*innen zu zeigen: «Wesmie» leiden genauso wie ihr für ihre Liebe! (MANNSCHAFT berichtete über Frauen und Analsex.)

Zu Beginn von «Him» hat sich der Star-Profispieler Wesley mit seiner Familie in Boston überworfen, insbesondere mit seinem reichen, aber emotional distanzierten homophoben Vater. Er sagt: «Als einziger schwuler Hockeyspieler, den ich kenne, bewege ich mich auf einem schmalen Grat. Ich meine, wenn jemand es anspricht, werde ich nicht den Mund halten und mich verkriechen, aber ich gebe es auch nicht freiwillig preis. Ehrlich gesagt ist meine sexuelle Orientierung wahrscheinlich das am schlechtesten gehütete Geheimnis in diesem Team. Die Jungs wissen es. Die Trainer wissen es. Es interessiert sie einfach nicht.»

«US – Du und ich für immer», Teil 2 der Wesmie-Trilogie
«US – Du und ich für immer», Teil 2 der Wesmie-Trilogie (Bild: Second Chances Verlag)

«Tanzen dort Einhörner oder Orgasmus-Feen herum?» Ihm selbst ist es auch ziemlich egal, bis die Liebe in Form seines ehemaligen besten Kumpels James auftaucht, den Wesley für heterosexuell hält. Und der sein Leben als Heterosexueller gelebt hat, bis sie sich wiedersehen. Dann geraten die Dinge ausser Kontrolle. Wes verführt Jamie zu schwulem Sex. Und zur Überraschung aller (vor allem James‘ eigener) gefällt es ihm. «Gott, wenn ich schwul werde, dann gleich zu 100 Prozent», sagt James. Und weiter: «Warum hat mir noch nie jemand gesagt, dass die Prostata eine Art magische Lustzone ist? Tanzen dort etwa Einhörner oder Orgasmus-Feen herum?» (MANNSCHAFT berichtete über Prostata-Stimulierung).

«Pornografie findet Wege, Horrorszenarien auf den Kopf zu stellen und umzukrempeln»

Laura Kipnis in «Bound and Gagged: Pornography and the Politics of Fantasy in America»

James verlässt seine Freundin, um mit Wes zusammen zu sein, und man könnte sich fragen, ob das für viele weibliche Leserinnen von Bowen/Kennedy nicht das ultimative Horrorszenario ist? Doch wie in der Pornografie verwandeln solche Romane eine tiefe Angst in etwas, das erregt und somit hilft, damit umzugehen. In ihrem Buch «Bound and Gagged: Pornography and the Politics of Fantasy in America» argumentiert Laura Kipnis, dass Pornografie schon immer ein Ort war, an dem problematische Themen verhandelt werden konnten – Themen wie Inzest («Vater fickt Stiefsohn» usw.), die eine Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt zutiefst verstören, aber nicht die offizielle Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdienen. Deshalb sei Pornografie so analysierenswert, argumentiert Kipnis, weil sie ihren eigenen Weg finde, Horrorszenarien auf den Kopf zu stellen und umzukrempeln.

Die Novelle «EPIC – Unser Spiel des Lebens» von Sarina Bowen und Elle Kennedy
Die Novelle «EPIC – Unser Spiel des Lebens» von Sarina Bowen und Elle Kennedy (Bild: Second Chances Verlag)

«Vielleicht gibt es mehr Toleranz auf der Welt, als ich dachte» Probleme entstehen für Wes und Jamie, als ihre Beziehung – die zuvor geheim gehalten und nur mit engen Freund*innen geteilt wurde – gegen ihren Willen öffentlich wird. «Irgendein Arschloch hat uns ohne unsere Erlaubnis geoutet», sagt Wes im zweiten Roman der Reihe: «Ich fühle mich verletzt.»

«Normalerweise suhle ich mich nicht in solcher Ungerechtigkeit», reflektiert Wesley. «Ich verstehe die Welt, in der wir leben. Ich weiss, dass Schwulsein immer noch mit einem Stigma behaftet ist. Egal, wie viele Fortschritte wir machen, es wird immer Leute geben, die nicht akzeptieren, dass ich Schwänze mag, Leute, die mich verurteilen, ihren Dreck ausspucken und versuchen, mir das Leben schwer zu machen.»

Schweiss, Sperma, Ausdauer Bowen/Kennedy nutzen das Sport-Setting ihrer Romane – anders als Patrica Nell Warren 1974 mit ihrem bahnbrechenden Weltbestseller «The Front Runner» (dt. «Der Langstreckenläufer», der eigentlich das Vorbild für all diese späteren MMR-Sportgeschichten ist – ausschliesslich als Vorwand für endlose erotische Fantasien (Schweiss, Sperma, Ausdauer), die die Geduld vieler Leser*innen strapazieren könn(t)en.

«The Front Runner» von Patricia Nell Warren
«The Front Runner» von Patricia Nell Warren (Bild: Bantam Books)

Andere sehr erfolgreiche Autor*innen wenden die gleiche Strategie in ihren MMR-Eishockey-Bestsellern an, beispielsweise Rachel Reid mit ihrer ab 2022 erschienenen «Game Changers»-Reihe («Game Changer», «Heated Rivalry», «Tough Guy», «Common Goal», «Role Model», «The Long Game», «The Shots You Take»). Leider ist sie bislang nicht auf Deutsch erschienen, dafür gibt es sehr gute und unterhaltsame Hörbuchversionen auf Englisch.

«Heated Rivalry» von Rachel Reid aus der «Game Changers»-Reihe
«Heated Rivalry» von Rachel Reid aus der «Game Changers»-Reihe (Bild: ‎ Carina Press)

Wie Bowen wird Reid auf den Buchcovern als «USA Today-Bestsellerautorin» bezeichnet, während Kennedy als «New York Times-Bestsellerautorin» angepriesen wird. Und wenig überraschend findet sich auf dem Cover des ersten «Game Changers»-Buchs ein Klappentextzitat von Bowen: «Rachel Reid legt den Keks in den Korb.» Was auf Englisch treffender klingt als auf Deutsch.

Im Roman «Role Model» verliebt sich der Hockeyspieler Troy Barrett in den Social-Media-Manager seines Teams
Im Roman «Role Model» verliebt sich der Hockeyspieler Troy Barrett in den Social-Media-Manager seines Teams

Fanfiction als Alternative E. L. Massey, die aus der Fanfiction-Szene kommt, widmet sich der Sportwelt – und in diesem Fall ebenfalls dem Eishockey-Kosmos – aus einem anderen Blickwinkel. Ihr Buch «Like Real People Do» (Teil 1 ihrer «Breakaway»-Reihe) ist «den Fanfiction-Autor*innen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft» gewidmet. Fanfiction wird allgemein der Amateurliteratur, auch Trivialliteratur, zugeordnet. Sie verwendet oft bekannte Charaktere aus Filmen, Fernsehserien, Comics, Videospielen und anderen Medien (MANNSCHAFT berichtete) und erfindet für sie neue Geschichten, die sich Fans wünschen, die aber in den offiziellen Versionen nicht stattfinden. Insofern ist Fanfiction auch utopisch und präsentiert ein alternatives, «besseres» Universum. Sie ist zudem oft sehr sexuell und lässt den Fantasien der Fans mit ihren Lieblingscharakterpaarungen freien Lauf. Sie lassen sie Dinge tun, die in den offiziellen Franchises undenkbar sind. Dazu kommen Paarungen, die auch in der Sportwelt realistisch nicht vorstellbar sind.

«Like Real People Do» von E. L. Massey
«Like Real People Do» von E. L. Massey (Bild: NineStar Press)

In ihren Danksagungen schreibt Massey über Fanfiction: «Fic war der erste Ort, an dem ich Geschichten über LGBTIQ-Charaktere mit Happy End fand (oft von echten queeren Erwachsenen geschrieben!), und für einen verwirrten Mittelschüler, der absolut in spiritueller Schuld ertrank, hätte diese Entdeckung durchaus das Leben gerettet.» Dies passt zu Warren, der Harlan zu Beginn von «The Front Runner» Jahren sagen liess: «Die Gesellschaft hatte mir gesagt, ich sei eine Krankheit.» Auch Harlan ist von Schuldgefühlen geplagt und betet, dass seine Homosexualität verschwindet – bis Billy (der Langstreckenläufer) ihm beibringt, dass Schwulsein nichts ist, wofür man sich schämen muss, sondern etwas, wofür es sich lohnt, einzustehen und dafür zu kämpfen, von allen voll akzeptiert zu werden.

«Er ist das Stereotyp eines ausser Kontrolle geratenen Sportlers, die Verkörperung von schmutzigem Hockey»

E. L. Massey über Alexander Price

In «Like Real People Do» präsentiert Massey den jüngsten Kapitän der NHL-Geschichte, einen blonden, sommersprossigen, weissen 19-jährigen, raubeinigen Posterboy, eine polarisierende Social-Media-Präsenz, das Stereotyp eines ausser Kontrolle geratenen Sportlers, die «Verkörperung von schmutzigem Hockey». Er ist noch immer Teenager, hat ein Jahresgehalt von 1,5 Millionen Dollar (plus ein grosses Zusatzeinkommen durch Werbung), lebt in einer «lächerlichen ultramodernen Penthouse-Wohnung» in Houston, Texas, und fährt ein Auto, das «mehr als 100‘000 Dollar» wert ist. Sein Gesicht ist auf Plakatwänden in der ganzen Stadt zu sehen und Boulevardblätter wie TMZ berichten über jede seiner Bewegungen.

«Der heterosexuellste Hetero, der je heterosexuell war» Aber er hat keine Freunde, weil er «ein verdammter, verkappter, neurotischer NHL-Spieler» ist. Nach aussen präsentiert sich Alexander Price als «der heterosexuellste Hetero, der je heterosexuell war». Er macht sich Sorgen, ob er den Erwartungen seines Vereins, den Houston Hell Hounds, gerecht werden kann, ob er ein guter Kapitän ist, ob er den Stanley Cup für sein Team gewinnt und ob er die damit verbundene Einsamkeit übersteht. Da er weiss, dass ein Coming-out seine Karriere ruinieren würde, plant er, bis zu seinem Karriereende zwanzig Jahre später sein heterosexuelles Auftreten beizubehalten.

Dann freundet sich Kapitän Alex Price – zufällig – mit dem 18-jährigen Eiskunstläufer mit gemischtem ethnischem Hintergrund an, Elijah Rodriguez aus einer Kleinstadt in Alabama. Dieser hatte sich mit 14 geoutet und «ziemlich schnell begriffen, dass es am sichersten ist, allen Sportmannschaften aus dem Weg zu gehen», um nicht schikaniert zu werden. Eli studiert jetzt im ersten Jahr am College in Houston und erholt sich von einer Verletzung, die seine olympischen Eiskunstlaufträume aufgrund epileptischer Anfälle zunichtemachte. Er ist Vlogger, hat einen YouTube-Kochkanal, lebt offen als Schwuler online und offline, läuft mit seinem Assistenzhund Hawk herum, ist auffällig feminin und muss seine eigenen Lebensherausforderungen meistern. Die beiden Männer werden Freunde und schliesslich ein Paar, ganz im Stil von Fanfiction.

«Like Yo've Nothing Left to Prove», Teil 2 der Romantrilogie von E. L. Massey
«Like Yo've Nothing Left to Prove», Teil 2 der Romantrilogie von E. L. Massey

Heirat, Haus und Kinder Aber im Gegensatz zu Bowen/Kennedy und anderen auf völlig asexuelle Weise. Fast wie in heterosexuellen Teenagerromanzen wird der Sex buchstäblich unterdrückt, bis es zu einer vollständigen Bindung kommt und über Heirat, gemeinsame Bankkonten, ein Haus, Kinder und das volle Programm gesprochen wird. Bis dahin wird für den anderen gekocht, Eli pflegt Alex, wenn er verletzt ist, spült den Abwasch, putzt Alex‘ Haus und kümmert sich um seine Katze. Eli schläft neben Alex (und umgekehrt), um emotionalen Trost zu finden, nicht um einen Orgasmus zu bekommen!

«Man könnte fragen, ob dies eine weibliche Fantasie ist. Ich würde behaupten, dass es sich zumindest um eine unwahrscheinliche schwule Realität handelt»

Kevin Clarke, Journalist

(Dies gilt auch für «All Hail the Underdogs», Teil 3 der Serie, wo Patrick und Rome übers Heiraten, die Adoption eines Kindes und den gemeinsamen Hauskauf diskutieren, bevor sie auf den letzten Seiten des Buchs zum ersten Mal Sex haben.)

Man könnte fragen, ob dies eine «weibliche» Fantasie ist. Ich würde behaupten, dass es sich zumindest um eine unwahrscheinliche schwule Realität handelt, insbesondere was heranwachsende Jungs betrifft, aber es ist sicherlich eine «assimilatorische» Realität, ein schwules Leben, das an heteronormativen Werten ausgerichtet ist.

«All Hail the Underdogs» erzählt die Geschichte der Teamkollegen Patrick Roman und Damien Bordeaux
«All Hail the Underdogs» erzählt die Geschichte der Teamkollegen Patrick Roman (l.) und Damien Bordeaux (Bild: NineStar Press)

Dies steht im krassen Gegensatz zu der viel realistischeren Art und Weise, wie Warren schwule Beziehungen darstellt, selbst wenn Harlan zunächst zögert, der Verführung seines Schülers Billy nachzugeben. Er sträubt sich aus moralischen Bedenken, da er Lehrer ist und seine Machtposition nicht missbrauchen sollte. Er sträubt sich nicht, weil er zuerst das Eheversprechen will. (Auch wenn es irgendwann zwischendurch eine symbolische Hochzeitszeremonie gibt.)

Positives Vorbild Ein Teil der utopischen Fantasie der «Breakaway»-Serie besteht darin, zu zeigen, wie die Sportwelt auf einen offen schwulen NHL-Spieler reagieren sollte. Wie Warren skizziert auch Massey die Schrecken der ersten öffentlichen Reaktionen auf Alex’ Coming-out (wiederum ein Zufall). Doch dann beschreibt sie den Prozess der Bindung zwischen Alex und Eli, den Hockeyspielern, die ihrem Teamkollegen zur Seite stehen, das Mannschaftsmanagement und der Presseabteilung, die gegen homophobe Spieler und Schiedsrichter vorgehen, sie unter Druck setzen und ihnen sowie der Hockeyliga mit Klagen drohen, weil sie nicht früher reagiert haben.

Die Schutzhelme einer Eishockeymannschaft
Die Schutzhelme einer Eishockeymannschaft (Bild: Nicole Bartolotta / Unsplash)

Massey beschreibt auch, wie Fans die Liebe feiern, die Alex und Eli repräsentieren, und dabei – rein zahlenmässig – die wenigen ultrachristlichen Demonstrant*innen mit Schildern vor dem Stadion beiseiteschieben, auf denen steht, dass Homosexuelle in die Hölle kommen würden. Das erinnere an eine ähnliche Situation in «The Front Runner», als seine Olympia-Teamkolleg*innen Billy zum Fahnenträger wählen, nachdem Dutzende nationaler und internationaler Sportfunktionäre versucht hatten, ihn wegen seiner sexuellen Orientierung und seiner leidenschaftlichen Beziehung zu seinem Trainer zu schikanieren.

In «Like Real People Do» gibt es die Figur Jeff Cooper, Alex‘ Teamkollege. Er arbeitet in Sommercamps mit queeren Hockey-Jugendgruppen, um ihnen zu helfen, sich in der Sportwelt frei und willkommen zu fühlen. Es ist Jeff, der Alex zu Eli führt. Es ist auch Jeff, dem Alex sich zuerst offenbart, und es ist Jeff, der darauf hinweist, wie wichtig es ist, ein positives Vorbild für jüngere Sportler*innen weltweit zu sein.

Traumland voller «Niedlichkeit» Während Warren in den 1970ern auf maximalen Realismus setzte, um ihre politischen Anliegen zu untermauern, entführt Massey ihre Leser*innen in ein Traumland, in dem sie sich an «Niedlichkeit» (ein Wort, das in den Büchern immer wieder zur Beschreibung von Situationen verwendet wird) überfressen können. Auch dies kann als Akt von LGBTIQ-Aktivismus gesehen werden. Es hat nur einen anderen Ursprung (man könnte sagen: Ausgangspunkt) als Warren, wenn man bedenkt, dass die Schwulenrechtsbewegung der frühen 1970er Jahre ein echter Kampf war, der auf vielen gesellschaftlichen Ebenen, einschliesslich der Sportwelt, ausgetragen wurde.

Eishockeyschläger
Eishockeyschläger (Bild: Alyssa Coulter / Unsplash)

Später war die Aids-Krise ein weiteres Schlachtfeld, das die Diskussion über Schwulenrechte in Zeiten eines konservativen Rollbacks in einem für viele heute fast unvorstellbaren Ausmass überschattete (obwohl die Kehrtwende, die die zweite Präsidentschaft Donald Trumps 2025 in Bezug auf LGBTIQ-Rechte eingeleitet hat, in eine ähnliche Richtung zu weisen scheint, diesmal für Transrechte, MANNSCHAFT berichtete). Während die (weissen, städtischen, bürgerlichen) Schwulen im Grossen und Ganzen in einer mehr oder weniger «gemütlichen» Welt leben, die Warren und ihre Charaktere in den «Front Runner»-Büchern nie für möglich gehalten hätten, geniessen «Wesmie» und Eli/Alex diese in vollen Zügen.

Young-Adult-Bücher Neben den pornografischen MMRs und den «supersüssen» Fanfiction-Büchern gibt es ein drittes wichtiges literarisches Feld, in dem schwule Geschichten mit Sportthemen erzählt werden: Titel für junge Erwachsene (YA) und neue Erwachsene (NA). Auch hier sorgen viele (heterosexuelle) Autor*innen für Aufsehen, Autor*innen wie beispielsweise Becky Albertalli, die international Schlagzeilen machte, als ihr 2015 erschienenes Buch «Simon vs. the Homo Sapiens Agenda» 2018 unter dem Titel «Love, Simon» verfilmt wurde (MANNSCHAFT berichtete).

In Jugendliteratur geht es darum, wichtige Lebensfragen auf philosophische und zugleich nachvollziehbare Weise zu behandeln. Hier haben auch berühmte schwule und lesbische Autor*innen versucht, mehr Vielfalt in dieses literarische Genre zu bringen und jungen Leser*innen zu helfen, ihren Weg im LGBTIQ-Leben zu finden. Es ist also ein merklich anderer Ansatz als bei Bowen/Kennedy oder Massey. Einer, mit weniger Entertainment- und Porno-Faktor. Zudem einer, der öfter seinen Weg in die Produktionsstudios von Hollywood findet. Was diesen Geschichten zumindest im Mainstream mehr Sichtbarkeit verschafft.

Die deutsche Ausgabe des Romans «Faggots» von Larry Kramer
Die deutsche Ausgabe des Romans «Faggots» von Larry Kramer, in der Reihe «Die Besten» (Bild: Bruno Gmünder Verlag / Salzgeber)

Auch wenn diese YA- und NA-Bücher zugegebenermassen oft weniger Spass machen … weil sie ihre utopischen Anliegen nicht so deutlich mit Freude am Absurden und am Sex verpacken. Das ist etwas, was in der neoprüden Ära von Zensurmassnahmen allüberall an den MMR- und Fanfiction-Titeln nicht hoch genug gepriesen werden kann. Und was teils an Larry Kramer und seinen epochalen Roman «Faggots» (dt. «Schwuchteln») von 1978 erinnert. Nicht der schlechteste Referenzpunkt, auch wenn Bowen/Kennedy und Massey ihn vermutlich gar nicht kennen.

«Andy und die Handwerker»: Irlands erfolgreichster Pornostar ist das Onlyfans-Phänomen Andy Bell. Der Weg des Dubliners aus ärmsten Verhältnissen zum Multimillionär wird jetzt in einer neuen Amazon-Prime-Doku erzählt (MANNSCHAFT berichtete).

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