Gayming: Wenn man lieben kann, wen man will

Magnus von Keil gibt Tipps rund um diverse Videospiele

In «The Last Of Us 2» wird die Beziehung der Protagonistin Ellie (l.) mit einer Frau wunderbar nonchalant erzählt
In «The Last Of Us 2» wird die Beziehung der Protagonistin Ellie (l.) mit einer Frau wunderbar nonchalant erzählt

Jungfrauen in Nöten, halbnackte Heldinnen: Über viele Jahre hinweg bedienten Videospiele vorwiegend ein Publikum, das männlich, jung und heterosexuell ist. Das hat sich gewaltig verändert.

«Moment mal, hat der mich gerade angemacht!? Na klar, kein Zweifel. Und jetzt . . . die knutschen ja!». Unser Autor erinnert sich an einen der einschneidendsten Momente seiner Gamer-Laufbahn, als er erstmals Zeuge wurde, wie sein Sim einen anderen Typen küsste ...

Es war im Frühjahr 2000, ich hatte gerade meinen ersten Freund kennen gelernt und in Deutschland wurde eifrig darüber debattiert, ob Menschen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften rechtlich anerkannt werden sollten. Eine Debatte, die man in der Welt der «Sims» nicht zu führen brauchte: Hier liess sich lieben, wen und wie man wollte. 

Wer von all dem noch nie gehört hat: «Die Sims» ist eine Lebenssimulation, die den Zeitgeist der Tamagotchi- und Big-Brother-Ära einfing wie kaum ein anderes Spiel jener Epoche. Man erstellt sich zunächst einen Avatar (seinen «Sim»), baut ihm ein Haus, richtet es ein, kümmert sich darum, dass er ausreichend isst, schläft, zur Arbeit geht oder auf die Toilette. Das digitale Abbild des alltäglichen Lebens eben.

Und wie im echten Leben gibt es neben dem klassisch-heteronormativen Beziehungsmodell auch andere Lebenskonzepte. Das fand damals auch «Sims»-Chefentwickler Jamie Doornbos, übrigens selbst schwul. Heimlich änderte er über Nacht den Code des Spiels, sodass man mit seiner Spielfigur auch homosexuelle Partnerschaften eingehen konnte. Hersteller Maxis nahm Doornbos’ Anpassungen gelassen hin – ging man ja ohnehin davon aus, dass das Spiel eher ein Nischenprodukt bleiben und keine grosse Wellen schlagen würde. Heute, ein gutes Vierteljahrhundert später, ist «Die Sims» eine der beliebtesten und meistverkauften Computerspiel-Reihen der Welt.

«Leg nicht gleich den Pimmel auf die Tastatur!» Um zu verstehen, dass man gegenüber queeren Inhalten in Videospielen nicht immer so gelassen war, braucht man nur ein wenig weiter zurück in die Vergangenheit zu schauen. In den 80er-Jahren, zur goldenen Ära des Commodore 64, sorgte hierzulande beispielsweise der «schwule Computer von Karstadt» für peinliche Momente und Lacher unter pubertierenden Heranwachsenden.

Und so hat’s funktioniert: Man schmuggelte eine Diskette in die Computerabteilung des Kaufhauses seiner Wahl, lud das Programm heimlich auf eines der Ausstellungsgeräte und wartete aus sicherer Entfernung auf das erste Opfer. Kam kurz darauf ein argloser Kunde vorbei und versuchte, etwas auf der Tastatur einzutippen, wurde in donnernder Lautstärke ein Soundfile abgespielt: «Alle Schwulen mal hergehört, hier ist der erste schwule Computer von Karstadt», schepperte eine blecherne Männerstimme aus den Lautsprechern. «Und eine Bitte: Leg nicht gleich den Pimmel auf die Tastatur!»  

Aber es war damals nicht nur die Schulhof-Fraktion, die das seinerzeit beliebte Motiv des triebgesteuerten und somit potenziell gefährlichen Nicht-Heterosexuellen aufgriff. Selbst Nintendo, das vermutlich liebenswürdigste Videospiel-Unternehmen der Welt, schlug mit der Darstellung von «Birdo» Ende der 80er-Jahre in dieselbe Kerbe. Birdo trat erstmals als Zwischengegner im legendären NES-Plattformer «Super Mario Bros.»  von 1988 in Erscheinung: ein pinkfarbenes, dinosaurierartiges Wesen mit Make-up und einer grossen, roten Schleife auf dem Kopf. In der Anleitung des Spiels stand: «Er denkt, er wäre ein Mädchen und spuckt Eier aus seinem Mund. Er will lieber Birdetta genannt werden.»

«Birdo», Nintendos pinker Dino mit Schleife, trat erstmals 1988 in «Super Mario Bros.» auf und gilt heute als beliebter Frauencharakter.
«Birdo», Nintendos pinker Dino mit Schleife, trat erstmals 1988 in «Super Mario Bros.» auf und gilt heute als beliebter Frauencharakter. (Bild: Nintendo)

Noch einen Schritt weiter ging man in «Leisure Suit Larry» von Sierra On-Line, einem der führenden Spieleanbieter seiner Zeit. In Teil 6 der aus heutiger Sicht ziemlich mies gealterten Kult-Spielereihe um Dauersingle Larry Laffer führt ein harmloser Flirt mit dem Fitnesstrainer, der auf den wenig subtilen Namen «Gary Fairy» hört, im Spiel zum sofortigen Tod.

«Oh no, what have I done?» kommentiert Larry noch, dann verschwindet das Paar Hand in Hand im Sonnenuntergang. Zack, aus, Game Over. Eigentlich ein schönes Ende für zwei einsame Herzen, oder? Nicht 1996. Damals waren Computerspieler in aller Regel jung, männlich – und mehrheitlich heterosexuell.

«Expelliarmus The Patriarchy» Und heute? Laut des Verbands der deutschen Games-Branche spielen 58 Prozent der 6- bis 69-Jährigen regelmässig Videospiele, davon ist gut die Hälfte weiblich (Stand: Juni 2024). Wie divers die Schar der Spielenden inzwischen geworden ist, zeigt sich auch an den Spielen selbst.

Besonders die Darstellung weiblicher Charaktere hat sich in den vergangenen zehn Jahren entscheidend verändert. Ein jüngstes Beispiel ist das neue «The Legend Of Zelda: Echoes Of Wisdom». Zum ersten Mal in der fast 40-jährigen Geschichte der Reihe spielen wir hier die titelgebende Prinzessin Zelda selbst, anstatt sie, wie sonst üblich, erretten zu müssen.

Auch Super Marios Herzensdame Prinzessin Peach erlebt mittlerweile ihre eigenen Abenteuer und weiss sich aus eigener Kraft gegen Bowser zu wehren. Zumindest in dieser Hinsicht scheint das Patriarchat spürbare Risse bekommen zu haben. Aber wie steht es um die queere Sichtbarkeit in Videospielen? 

Das Patriarchat bekommt Risse: In «The Legend of Zelda: Echoes of Wisdom» schlüpfen Spielende erstmals in die Rolle von Prinzessin Zelda.
Das Patriarchat bekommt Risse: In «The Legend of Zelda: Echoes of Wisdom» schlüpfen Spielende erstmals in die Rolle von Prinzessin Zelda

Die US-amerikanische Medienüberwachungsorganisation GLAAD hat im vergangenen Februar Zahlen herausgegeben, aus denen hervorgeht, dass 17 Prozent der aktiven Videospielenden sich der LGBTIQ-Community zugehörig fühlen.

Konkret bedeutet das: Eine*r von fünf Spielenden identifiziert sich als schwul, lesbisch, trans oder queer. Und das ist eine ganze Menge. Trotzdem sind queere Inhalte in den Spielen noch immer verschwindend gering. Das gilt besonders für Produktionen, die aus grossen Spielestudios kommen. 

Eine erfrischende Ausnahme dieser Regel hat uns Naughty Dogs apokalyptischer Action-Blockbuster «The Last Of Us 2» im Jahr 2020 beschert. Die Beziehung der Protagonistin Ellie mit einer Frau wird so wunderbar nonchalant erzählt – genau so, wie Hollywood uns seit Jahrzehnten auf heteronormative Lebensweisen als Goldstandard einschwört. Dennoch fühlte sich eine kleine, aber laute Minderheit offenbar so stark provoziert, dass es sogar zu Morddrohungen gegen Mitarbeitende des Studios kam.

Auch das herrlich opulente Harry-Potter-Abenteuer «Hogwarts Legacy» musste im vergangenen Jahr Kritik einstecken: Die unvermeidbare inhaltliche Verbindung zur Autorin J.K. Rowling wegen ihrer transfeindlichen Äusserungen löste erheblichen Gegenwind aus (MANNSCHAFT berichtete). Obwohl das Entwicklerstudio Avalanche Software daraufhin ausdrücklich jede Form von Diskriminierung verurteilte und sogar Transpersonen im Spiel einbaute, erntete es dafür wiederum Kritik von anderer Seite und wurde wegen seiner «Wokeness» boykottiert. Wie man’s macht, macht man’s scheinbar verkehrt.

Videospiel Unpacking
Das grandiose Umzugsspiel «Unpacking» erzählt queere Geschichten selbstverständlich, unaufgeregt und ohne Herumeierei.

Anders sieht es bei den kleinen, unabhängigen Studios aus. Spiele wie «Coffee Talk» oder das grandiose Umzugsspiel «Unpacking» erzählen queere Geschichten selbstverständlich, unaufgeregt und ohne Herumeierei. Die progressiven Ideen spielen sich nach wie vor überwiegend im Indie-Bereich ab. Auch wenn es Bemühungen gibt, mehr LGBTIQ-Inhalte im Spiele-Mainstream zu integrieren, sind spielbare queere Hauptfiguren dort noch immer unterrepräsentiert. Besonders ein schwuler männlicher Protagonist wird nach wie vor schmerzlich vermisst. 

«Select Your Player» Jetzt stellt sich die Frage: Warum sollte die sexuelle Ausrichtung eines Videospielcharakters eine Rolle spielen? Auf den ersten Blick scheint das überflüssig. Ob «Resident Evil»-Hottie Chris Redfield privat mit einer Frau oder einem Mann in die Kiste steigt, ist beim Zombie-Wegballern in Raccoon City marginal relevant – zumindest für mich als gestandenen, seit Jahren geouteten Mann Mitte 40. Doch welches Signal könnte das an den 16-jährigen Youngster senden, der in seiner kurpfälzischen Kleinstadt auf der Suche nach sich selbst ist und auf dem Bildschirm endlich eine Identifikationsfigur entdeckt? Diese Überlegung lässt die Ausgangsfrage in einem anderen Licht erscheinen. 

Nicht nur das: Die bereits erwähnte GLAAD-Erhebung hat auch herausgefunden, dass der überwiegende Teil aller Spielenden – LGBTIQ und Nicht-LGBTIQ – es positiv bewertet, im Spielkontext eine andere Perspektive einnehmen zu können. Denn genau das lieben wir am Spielen: Geschichten zu erleben, die uns im Alltag so nicht passieren würden. Die wenigsten von uns sind Ritter, Zombiejäger, Klempner oder Ninjas von Beruf. Aber im Spiel können wir die unvergleichliche Erfahrung machen, wie es sich anfühlt, im Mittelalter gegen Drachen zu kämpfen, in einem Raumschiff durchs All zu düsen oder allgemein gesagt: Lebensrealitäten von Menschen kennenzulernen, die anders leben als wir selbst.

«Caper In The Castro» war das erste Computerspiel, das LGBTIQ-Themen behandelte

Das erste queere Computerspiel

«Caper In The Castro» war das erste Computerspiel, das LGBTIQ-Themen behandelte. Es erschien 1989 und erzählt die Geschichte der lesbischen Privatdetektivin Tracker Mc- Dyke, die im berühmten schwulen Stadtviertel Castro in San Francisco nach einer entführten Dragqueen namens Tessa LaFemme sucht. Das Spiel wurde damals kostenlos verteilt, um Spendengelder für die AIDS-Hilfe zu akquirieren.

Letztlich sind Videospiele – genau wie Literatur, Film oder Musik – immer auch ein Spiegel der Gesellschaft, und gesellschaftliche Veränderungen brauchen Zeit. Das Medium Videospiel wurde hierzulande vor 20 bis 30 Jahren anders bewertet als heute. Inzwischen weiss man, dass es weder per se doof noch aggressiv macht – im Gegenteil: Videospiele trainieren die Hand-Hirn-Koordination und können nachweislich einen positiven Effekt auf das psychische Wohlbefinden von Menschen aller Altersklassen haben. Sie ermöglichen es, Geschichten jenseits der eigenen Bubble aktiv zu erleben und voranzutreiben – auch wenn aus queerer Perspektive noch Luft nach oben ist.

Seinen schwulen Crush richtig ehelichen konnte man bei den Sims erst 2009 im dritten Teil der Serie. Und Birdo? Birdo wird heute als Frau definiert und gehört zu Nintendos beliebtesten Charakteren. Hier gilt jedenfalls: Level completed. Also auf zum nächsten!  

Mit dem Hund verreisen? Ist das eine gute Idee? Unbedingt, findet unser Autor. Wobei: Es kommt wie immer darauf an (MANNSCHAFT berichtete).

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