Vorurteile wegboxen: «Wir zeigen eine wehrhafte Queerness»
Fotoausstellung über Sport, Männlichkeitsbilder und Schwulsein
Fotograf Marc Martin und trans Darsteller Jona James stellen Fragen zum Thema Männlichkeit. Die diversen Antworten werden in kraftvollen Bildern fernab der üblichen Rollenklischees gezeigt.
Das Boxen ist wie kaum ein anderer Sport mit vielen Stereotypen und Männlichkeitsvorstellungen verbunden. Die Themen Homosexualität und Transsein sind oft ein Tabu. Ein perfekter Ort also, um genau diese Charakteristika und ihre Wahrnehmung in der Gesellschaft in ein neues Licht zu stellen, fanden Fotograf Marc Martin und Jona James.
«Sport – und gerade das Boxen – ist oft mit Härte und einer toxischen Männlichkeit verbunden», erklärt James gegenüber MANNSCHAFT, der aber auch die andere Seite kennt. In einem queeren Berliner Klub trainiert er abseits der Klischees, braucht sich keine Gedanken um seine Narben zu machen, die die Geschichte seiner Geschlechtsangleichung erzählen oder darüber, dass er als Schwuler in einer sonst cis-geschlechtlich dominierten Domäne unterwegs ist. «Ich denke beim Boxen wenig darüber nach, wie es aussieht. Da bin ich so sehr bei mir und kann mich fallen lassen. Das ist wie eine Blase, in der ich das ausklammern kann.»
Erstmals begegnet sind sich Jona James und Marc Martin bei einer Ausstellung des Fotografen in der historischen Buchhandlung Eisenherz (MANNSCHAFT berichtete), in der James auch arbeitet. «Ich habe da bei der Organisation seine Arbeit und ihn als Person kennengelernt und gemerkt, das resoniert mit mir», berichtet James. «Ich habe ihn dann einfach angesprochen und gefragt, ob wir nicht zusammenarbeiten wollen.»
Martin ist bekannt für Bilder, die mit Identitäten spielen. Dafür, dass er trans und nicht-binären Menschen zeigt, wenngleich er dafür auf seinen Kanälen in den sozialen Netzwerken kritisiert und manchmal auch beleidigt wird. «Mir ist klar, dass einige meiner Follower (meistens Männer, die auf Männer stehen) diese plurale Männlichkeit ablehnen. Und nicht bereit sind, sie als Teil ihrer Familie anzuerkennen», erklärt der im nordfranzösischen Roubaix geborene Fotograf.
Sein Werk «Les Tasses – Toilettes Publiques, Affaires Privées», über homosexuelle Subkultur in Pissoirs, die 2018 auch innerhalb der Ausstellung «Fenster zum Klo» im Schwulen Museum (MANNSCHAFT berichtete) zu sehen war, wurde mehrfach ausgezeichnet.
In der Zusammenarbeit zwischen Jona James, Marc Martin und teilweise auch Ex-Boxer und Schauspieler Mathis Chevalier sind nun Bilder unter dem Titel «So What?!» entstanden, die aufs neue Queerness auf eine besondere Weise darstellen. Die einen jungen trans Mann zeigen, der sich wohl in seiner Haut fühlt. Der entgegen einer oft homo- und transphoben Umgebung seinen Weg geht. Der mit vermeintlich weiblichen und männlichen Eigenschaften spielt, sowohl Kraft als auch Sensibilität ausstrahlt.
Bilder, die gängige Körperbilder infragestellen und den Betrachtenden dabei die Möglichkeit geben, die eigene Wahrnehmung zu reflektieren und einzuordnen. Bilder, die gegen den Hass und für mehr Toleranz stehen. «Dieses Projekt ist ein Pfeil der Liebe», betonte Martin.
«Wir wollten vermeintliche Gegensätze zusammenmischen und haben das Boxen dann auch als sprachliche Figur miteinbezogen, indem wir Vorurteile wegboxen wollen. Wir zeigen eine wehrhafte Queerness. Ich hoffe, dass wir da etwas auflösen können, dass uns allen zu Gute kommt», sagt James und erklärt weiter: «Wir sollten die Welt, aber auch die Szene diverser denken.»
Dazu gehört seiner Meinung nach auch die Stellung von trans Männern in der Schwulenszene. «Portale wir Grindr sind da das beste Beispiel. Da wird trans Personen oft der Vorwurf des Trappings, also des In-die-Falle-Lockens, unterstellt», berichtet Jona James, der auf seinen Kanälen offen schreibt, dass er trans ist und dahingehend potentielle Partner anspricht. «Ich frage nicht, um das Gegenüber zu schützen. Ich schulde keine Offenlegung meiner Geschichte, meiner körperlichen Fähigkeiten, ich täusche niemanden und verheimliche auch nicht. Auf diese Informationen haben sie keinen Anspruch. Es geht um meine Sicherheit. Ich will wissen, ob ich mich fallen lassen kann, womit ich zu rechnen habe», erklärt er. Ganz schmerzfrei sei das allerdings nicht immer. Die Reaktionen waren teils entgegenkommend, teils auf eine «salonfähige Misogynie unter schwulen Männern» zurückzuführen.
Auch hier setzen die Bilder an, wenn es um die Ästhetik des Männlichen geht. Wenn der äussere, erste Eindruck die Tür zu einer vielschichtigen Person öffnet.
Die Vernissage von «So What?!» findet morgen (1. November) in der Buchhandlung Eisenherz in Berlin-Schöneberg, Motzstrasse 23, statt. Die Fotoausstellung ist bis Ende des Monats zu sehen, auch der 68-seitige Bildband ist dort erhältlich.
Schauspieler Luke Evans hatte es in seiner Kindheit nicht immer leicht. Bei der Vorstellung seiner Memoiren sprach der Walise darüber, wie er in der Schule homophob beschimpft wurde (MANNSCHAFT berichtete).
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