«Der Mehrheitsgesellschaft ist Queer- oder Judenfeindlichkeit egal»

Wider die Gleichgültigkeit

Berlin S-Bahn
Das Berliner S-Bahnnetz (Bild: Pexels)

Diskriminierung und Gewalt gegen queere und jüdische Menschen sind keine Randprobleme, sondern Ausdruck gesellschaftlicher Gleichgültigkeit. Statt einzelne Gruppen pauschal zu beschuldigen, braucht es genaues Hinsehen und den Mut, strukturelle Probleme zu erkennen. Ein Gastkommentar* von Eva Kreienkamp

Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik warnte vor einigen Tagen vor Bereichen in Berlin, «da würde ich Menschen, die offen schwul oder lesbisch sind, raten, aufmerksamer zu sein.» (MANNSCHAFT berichtete).

«Ich würde Menschen raten, die eine Kippa tragen oder offen schwul oder lesbisch sind, aufmerksamer zu sein.»

Barbara Slowik, Polizeipräsidentin Berlin

Sie fügte hinzu: «Leider gibt es bestimmte Quartiere, in denen mehrheitlich arabischstämmige Menschen wohnen, die auch Sympathien für Terrorgruppen hegen.» Dort artikuliere sich «offene Judenfeindlichkeit».

Das mag schon sein, dass es bei arabischstämmigen Menschen Judenhass und Homophobie gibt, nur das halte ich für zu einfach. Gewalt gegen Schwule findet meist dort statt, wo Schwule und nicht notwendigerweise arabischstämmige Menschen sind.

Das gleiche gilt für Gewalt gegen Juden oder jüdische Einrichtungen. Die jüdische Begegnungsstätte an der Brunnenstrasse ist in Berlin-Mitte und wurde angegriffen. Fahren die islamistischen, arabischen Jungmänner immer nach Mitte oder Schöneberg, um dort zu terrorisieren?

Sicherlich gibt es in Berlin queerfeindliche Tendenzen, sie sind überall, in allen gesellschaftlichen Gruppen und Schichten zu finden. Ebenso internalisierten Antisemitismus. Jedoch, die Grundtendenz kann überall in Deutschland gefunden werden, wo es offen jüdisch oder queer aussehenden Menschen gibt.

«Der Mehrheitsgesellschaft ist es total egal, ob es Juden- oder Queerfeindlichkeit gibt.»

Nur, so ist es nun mal: Der Mehrheitsgesellschaft ist es total egal, ob es Juden- oder Queerfeindlichkeit gibt. Diese Gleichgültigkeit ist die Grundlage für jegliche Gewalt gegen Frauen, Jüd*innen, Queers, Muslim*innen oder andere, denn dadurch wird sie legitimiert, als eine Art unterbewusste kollektive Erlaubnis der Mehrheit an eine Minderheit, so zu agieren. Und wenn man dann noch eine Gruppe findet, die «Schuld» an der Gewalt hat, umso besser. Dann haben alle anderen ja ein sauberes Gewissen, denn wir waren es ja nicht. Im Berliner Fall ist es die Gruppe die arabischstämmigen Menschen, die keine Lobby haben.

Soziologische Statistiken zu lesen und zu interpretieren, ist mühselig. So scheinen in den Kommentaren Zufriedenheit mit Polizeipräsidentin Slowik vorzuherrschen, war sie doch so mutig und bestätigt damit amtlich, dass das Problem diese eine Gruppe ist, von der sowieso gedacht ist, dass sie ein Problem ist, statt genauer hinzuschauen.

Meine Erfahrungen als lesbische Frau und Chefin der BVG waren beunruhigend, sie gingen jedoch in keinster Weise von arabischstämmigen Menschen aus. Die Artikel über mich in Berlin waren skandalös, sie waren queerfeindlich. «…demonstratives Queersein», in dem liberalen Tagesspiegel umkommentiert einfach als Grund mit aufzunehmen, um mich als Person zu demontieren. Das zeugt von internalisierter Lesbenfeindlichkeit nicht nur bei den Sprechenden der BVG, sondern auch bei denen, die es unhinterfragt abdrucken. Es zeigt: es ist möglich, lesbische Personen ohne Sanktionen mobben zu können.

Die Opfer des NSU haben ebenfalls eine andere Erfahrung. Durch stereotypes Denken wurde die Schuld für die Morde bei türkischen Clans vermutet, die noch Rechnungen untereinander zu begleichen hätten. Die Ermittlungen zielten also auf diese eine Gruppe. Eine rechtsextremistische Mörderbande erschien undenkbar in einem Land, das schon seit Jahrzehnten mit Ausländerfeindlichkeit und rechtsextremistischer Gewalt zu kämpfen hat. Fangen wir doch wieder an, genau hinzuschauen, wer Opfer, wer Täter und wer vermeintlich «schuld» ist.

«Wir sehen leider, dass die Polizei offensichtlich überfordert ist.»

Wir sehen leider auch, dass die Polizei offensichtlich überfordert ist, besonders exponierte Bevölkerungsgruppen zu schützen und das Gewaltmonopol des Staates aufrecht zu halten. Stattdessen wird von der Polizeipräsidentin eine Warnung an diese Gruppen ausgesprochen, aufmerksamer zu sein.

Ich bin im übrigen sicher, dass Frauen, Jüd*innen, Queers, Muslim*innen oder andere, nicht hegemonial männlich und heterosexuell, sich nicht sicher im öffentlichen Raum fühlen und daher ihre Lebensenergie auch dafür verwenden, aufmerksamer zu sein. Energie, die sie dann nicht haben, um sich im Leben komplett zu zeigen und zu entfalten.

Die angesprochenen Gruppen sollen sich schützen, indem sie unsichtbar werden. Ist das nicht praktisch? Dann stören sie mit ihrem Anblick auch nicht die Mehrheitsgesellschaft und wir hätten gar keine Hatecrimes. Nur – so funktioniert Menschenwürde und menschliche Vielfalt nicht. Sondern wir alle müssen in Demokratien immer wieder neu lernen, einander auszuhalten und gleichzeitig deutlich zu machen, wo die Grenzen der Toleranz sind. Selbst wenn wir nichts mit irgendeiner anderen Gruppe zu tun haben wollen. Gerade die hegemoniale Mehrheitsgesellschaft hat hier einen Auftrag, genau hinzuschauen und nicht, gleichgültig zu bleiben bei Diskriminierung und Gewalt gegen Minderheiten oder unterrepräsentierten Gruppen.

Eva Kreienkamp
(Bild: Britta Pedersen/dpa)

Eva Kreienkamp war bis April 2023 Vorstandschefin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), dann wurde sie freigestellt (MANNSCHAFT berichtete).

*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

Als erste offen nicht-binäre Person in der Moderation hatte es Janboris Rätz beim SWR nicht leicht. Im Interview mit MANNSCHAFT+ geht es um diskriminierende Strukturen, feindliche Vorgesetzte – und warum es sich trotzdem lohnt, sichtbar zu sein.

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