Ausstellung zu sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche
Das Schwule Museum setzt sich mit der eigenen Vergangenheit «selbstkritisch» auseinander
Das Schwule Museum in Berlin hat eine «innovative» Ausstellung angekündigt, die die eigene pädophile Vergangenheit konfrontiert. Es ist eine Kooperation mit dem Archiv der deutschen Jugendbewegung und wird gefördert vom Hauptstadtkulturfonds.
In der offiziellen Presseankündigung heisst es: «Das Schwule Museum und das Archiv der deutschen Jugendbewegung setzen sich in einer gemeinsamen innovativen Ausstellung mit ihrem schwierigen Erbe auseinander: dem unkritischen Umgang mit Zeugnissen der Rechtfertigung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in den eigenen Beständen.»
Die Ausstellung «Aufarbeiten: Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Zeichen von Emanzipation» verstehe sich als Projekt der «selbstkritischen Auseinandersetzung mit problematischen Teilen ihrer Sammlungen», heisst es weiter. Und: «Das Schwule Museum (SMU) und das Archiv der deutschen Jugendbewegung (AdJb) sind zentrale Gedächtnisorte von emanzipatorischen Bewegungen, die teils gemeinsame, teils entgegengesetzte Wege einschlugen. Doch in beiden Archiven befinden sich Zeugnisse der Rechtfertigung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in diskursiven Dokumenten und Artefakten.
38 Kisten mit strafbarem Material Lange Zeit lagerten entsprechende Bestände im Archiv des SMU, weitgehend verborgen vor den Blicken der Öffentlichkeit und nur zugänglich für bestimmt Forschungsprojekte. Nach einem schlagzeilenmachenden Medienbericht zu dieser «Pädo-Sammlung» meldete sich dann allerdings die Polizei – und ein Prozess der öffentlichen Auseinandersetzung wurde in Gang gesetzt. Die Vorstandsvorsitzende des Museums, Birgit Bosold (seit 2006 dabei), übergab daraufhin im Jahr 2019 38 Kisten mit teilweise strafbarem Material aus dem SMU-Archiv an die Behörden.
Die weitere wissenschaftliche Aufarbeitung führte 2021 zur Veröffentlichung einer Vorstudie zu den Verbindungen zwischen Homosexuellen- und Pädosexuellenbewegung unter dem Titel «Programmatik und Wirken pädosexueller Netzwerke in Berlin – eine Recherche» (MANNSCHAFT berichtete). Darin liest man: «Die Vorstudie untersucht Strukturen, Organisationsformen, Vernetzungen und Debatten pädosexueller Gruppierungen in Berlin seit den 1970er Jahren. Recherchiert wurde in Beständen staatlicher Archive und Bewegungsarchive sowie privater Sammlungen.»
«Die eingesehenen Dokumente und Gespräche mit Zeitzeuginnen, Zeitzeugen und Betroffenen zeigen den Versuch pädosexueller Gruppierungen, eine deutschlandweite Bewegung zu etablieren und sich international zu vernetzen», erklären die Autor*innen der Vorstudie weiter. «Um ihre pädokriminellen Positionen zu legitimieren, suchten die Aktivisten Bündnispartner nicht nur in neuen sozialen Bewegungen oder bei politischen Parteien, sondern auch in der Wissenschaft. Sichtbar wurde zudem die enge Anbindung an kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen.»
Zeus und Ganymed Zum Thema Pädophilie wurde dem Vernehmen nach im SMU schon lange diskutiert, und Birgit Bosold hatte ihrerseits lange versucht, eine umfassende Ausstellung zum Thema – als geschichtlichen Überblick und mit kritischer Kommentierung entsprechender Elemente in der Schwulenkultur – zu zeigen. Solche Bemerkungen hatte sie etwa im Kontext der erfolgreichen Winckelmann-Ausstellung gemacht, wo u.a. Bilder von Zeus und Ganymed zu sehen waren, als eine Art kunstgeschichtliches Ideal der sogenannten «Knabenliebe», in diesem Fall eindeutig verbunden mit sexualisierter Gewalt (MANNSCHAFT berichtete).
Statt einer solchen Übersichtsausstellung, für die sich scheinbar keine Geldgeber*innen finden liessen, ist Bosold nun zusammen mit Susanne Rappe-Weber vom Archiv der deutschen Jugendbewegung, Tino Heim und Volker Woltersdorff Kuratorin einer Ausstellung, die den Blick fokussiert auf die eigene Institutionsgeschichte und pädokriminelle Aspekte der eigenen Sammlung.
«Beide Institutionen (SMU und AdJb, Anm.) haben sich einer konsequenten Aufarbeitung des verstörenden Tatbestands verschrieben, dass die Gemeinschaften, deren Erbe sie bewahren, sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche Raum boten und ihrer Verharmlosung oder ideologischen Rechtfertigung zuarbeiteten», erläutert die SMU-Pressemitteilung. «Die Ausstellung will damit einen Beitrag zur Auseinandersetzung leisten. Sie stellt zur Diskussion, wie es möglich war, dass Bewegungen, deren Kernanliegen die Selbstbestimmung von Menschen ist, so anfällig waren für die Rhetoriken der Täter*innen, so unsolidarisch mit den Betroffenen und beklemmend desinteressiert an deren Schicksal.»
Als kulturhistorische Einrichtungen würden es SMU und AdJb als ihre besondere Aufgabe sehen, die spezifischen und unterschiedlichen diskursiven Formationen zu rekonstruieren, die sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Kontext der homosexuellen und der jugendbewegten Emanzipationsbewegungen theoretisierten, ästhetisierten und damit legitimierten. SMU und AdJb würden damit «ausdrücklich im Sinne der Forderungen von Betroffenen und ihren Verbänden» handeln, Aufarbeitung «nicht auf die strafrechtliche Verfolgung von Täter*innen zu reduzieren», sondern «gesellschaftliche Zusammenhänge in den Blick zu nehmen». Dies geschehe «aus eigener Initiative» im Interesse einer verantwortungsbewussten Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, so die Pressemitteilung.
Stimmen von Betroffenen Das Aufarbeitungsprojekt nutzte das Format einer Ausstellung, um damit eine breite Öffentlichkeit und «die involvierten Communities» zu erreichen, heisst es. Weil es historische Forschung und kollektive Aushandlungen bisher nur in Ansätzen gebe, könne die Ausstellung «kein gesichertes Resümee» präsentieren. Vielmehr würde «thesenhaft zugespitzt» zur Diskussion gestellt, wie dieses «verstörende Kapitel der eigenen Geschichte» in Erinnerungskultur und Geschichtsschreibung eingearbeitet werden konnte.
Da das Format das einer Ausstellung ist, fragt man sich, welche Objekte im SMU zu sehen sein werden, wenn die, um die es geht, nicht öffentlich gezeigt werden dürfen. Dazu erfährt man: «Präsentiert werden Exponate aus den Beständen der beiden Archive.» Aber: «Es wird darauf verzichtet, die in der visuellen Kultur so einschlägig normalisierten und normalisierenden Darstellungen sexualisierter Körper von Kindern und Jugendlichen auszustellen.» Im Zentrum der Ausstellung würden stattdessen «dokumentarisches Material und die Stimmen von Betroffenen von sexualisierter Gewalt» stehen, heisst es.
Man darf davon ausgehen, dass diese Ausstellung maximalen Medienwirbel und viele Diskussionen auslösen wird, auch innerhalb der LGBTIQ-Community. Und auch Fragen aufwirft: Zum Beispiel die, wie genau «Jugendliche» definiert wird und was exakt mit «Gewalt» gemeint ist. Wird die Definition aus Gesetzestexten angewandt, und falls ja, Texte von heute oder historische (etwa aus dem 19. Jahrhundert)? Wie grenzt man Kinder von Jugendlichen ab (auch im historischen Rückblick) und wer entscheidet, was «sexualisierte Gewalt» ist? Zählt ein Wilhelm-von-Gloeden-Foto dazu (auch im SMU-Archiv vorhanden) als Teil der «gesellschaftlichen Zusammenhänge», die in den Blick genommen werden sollen? Wird ein Gemälde von Zeus und Ganymed neuerlich zur Diskussion gestellt und neu kontextualisiert? Und werden den «Stimmen der Betroffenen» auch Stimmen gegenübergestellt, die dieses Material einst hergestellt und möglicherweise bewundert haben, geht es also um einen Dialog auf allen Ebenen?
Wie differenziert und reflektiert die Ausstellung mit all diesen Aspekten umgeht, erfährt man ab dem 5. Oktober 2023, dem Abend der Eröffnung. Danach ist die Ausstellung bis zum 26. Februar 2024 in Berlin zu sehen und mit einiger Sicherheit die am meisten diskutierte Schau, seit «Homosexualität_en» 2015, damals in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Historischen Museum gezeigt und allein schon wegen des Posters ein Aufreger.
Zur Ausstellung «Aufarbeiten: Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Zeichen von Emanzipation» hat das SMU bislang keinerlei Bildmaterial für Pressezwecke veröffentlicht, ausser zwei nüchterne Ansichten des Archivs im Keller. Im Ankündigungstext wird auch das Wort «Pädo» komplett vermieden, was man so deuten könnte, dass sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche weitergefasst interpretiert werden soll. Man muss es abwarten.
Wolfgang Cortjaens hat unter dem Titel «Queer Archeology» ein Buch zur LGBTIQ-Antikenrezeption herausgegeben, in dem geht es auch um sogenannte Knabenliebe und die Diskussion darüber (MANNSCHAFT berichtete).
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