«Bottoms up!» – Marius Baumgärtel räumt mit Tabus auf

Der Unternehmer spricht über Analsex und Massenmarkt, Iris Berben als Promoterin von Sauberkeit «hinten rum», die Wichtigkeit von LGBTIQ-Netzwerken – und über Pornos

Der Berliner Unternehmer Marius Baumgärtel
Der Berliner Unternehmer Marius Baumgärtel (Bild: Baumgärtel Berlin GmbH)

Er putzt das Schwule Museum Berlin, redet offen über Analhygiene im Fernsehen und hat Deutschlands Investor*innen bei «Die Höhle der Löwen» erröten lassen: Marius Baumgärtel erklärt, wie Queerness und Unternehmertum zusammenpassen.

Mit seiner Firma Queere Haushaltshilfe (Motto: «still hetero-friendly») sorgt er für frisch polierten Glanz in LGBTIQ-Räumen, mit seinem Produkt anuux für Sauberkeit an Stellen, über die sonst kaum jemand spricht. Marius Baumgärtel ist Unternehmer, Tabubrecher und Community-Personality in einem. Im MANNSCHAFT-Interview erzählt er, warum queere Netzwerke oft die besseren sind – und wie ein bisschen Humor hilft, wenn’s ums Hinterteil geht.

Würdest du sagen, dass es für queere Menschen schwieriger ist, in der Start-up-Welt Fuss zu fassen, als für Hetero-Unternehmer*innen? Ich glaube nicht, dass es für queere Menschen schwerer ist, in der Start-up-Welt zu starten. Ich glaube, es ist schwieriger, wenn es ums Thema Kapital geht, gerade wenn es inhaltlich um eine LGBTIQ-Businessidee geht. Wenn die Idee queer ist, ist es sehr, sehr schwer, an Geld ranzukommen. Denn dann reden wird von einer speziellen Zielgruppe. Solche Geschäftsideen sind meist nicht für den Massenmarkt geeignet und damit für die meisten Investor*innen unattraktiv.

Ich habe selbst für die Business Angels in Berlin gearbeitet, ich habe Unternehmensgründung studiert. Mir ist das Thema nicht fremd: Als queere Person einfach nur etwas zu gründen, ist aus meiner Sicht nicht das Problem. Dass man von seinen eigenen Erfahrungen geprägt ist, kann einen als LGBTIQ sogar widerstandsfähiger machen und resilienter gegenüber den Erschütterungen, die man so durchlaufen muss in den Gründungsjahren. Wenn man ein Start-up starten möchte, ist man darauf angewiesen, auf Netzwerke zurückgreifen zu können.

Heteros haben vermutlich rein mengenmässig grössere Netzwerke – aber sind sie auch besser vernetzt? Das ist eine sehr gute Frage. Die heterosexuelle Welt hat natürlich grössere Netzwerke. Das heisst aber nicht, dass sie qualitativer sind. In unserer Community ist der Vorteil, dass wir, allein deshalb, weil wir eine Community sind, schon mal mindestens eine Gemeinsamkeit haben. Das verbindet! Man hat ähnliche Erfahrungen gemacht, vielleicht hat man auch ähnliche Werte. Die Wahrscheinlichkeit, dass man andocken kann, ist höher. Es gibt sehr viele verschiedene LGBTIQ-Vereine, die Menschen zusammenbringen, wie zum Beispiel den Völklinger Kreis (jetzt Berufsverband VK) oder die Wirtschaftsweiber.

Mein Professor hat schon im ersten Semester gesagt, als ich damals Unternehmensgründung studierte: «Leute, das Wichtigste sind Netzwerke, Netzwerke, Netzwerke. Ihr müsst Kontakte machen, weil nur darauf kann man etwas aufbauen.» Also ich glaube, dass unsere Netzwerke aufgrund von gemeinsamen oder zumindest ähnlichen Erfahrungen und Interesse etwas mehr Zusammenhalt haben. Das gibt es in verschiedensten Bereichen, sei es Religionen, Sexualität usw. Man hält zusammen und sagt: «Ich würde lieber dir den Job geben, weil du Teil meiner Community bist, selbst wenn ich dich noch nicht so gut kenne.»

Gilt umgekehrt: Wer queer ist, hat’s in heterosexuellen Netzwerken schwerer? Ich selbst habe, was das angeht, keine negativen Erfahrungen gemacht. Aber ich habe auch nicht versucht, mich in heterosexuelle Netzwerke einzubringen. Jedoch ist das das Thema, worum es bei anuux in Zukunft geht: dass wir uns dem Heteromarkt gegenüber öffnen. Das funktioniert aktuell ganz gut. Und jetzt ist die Frage: Wie können wir uns dort in Netzwerken etablieren und seriös rüberkommen? Ich meine, ich kann als Homosexueller schlecht in einem Netzwerk punkten, wo es um Sex mit Frauen geht. Das ist halt nicht so mein Thema… (lacht)

Das Analhygieneprodukt Anuux
(Bild: anuux.de)

Dein Produkt anuux dreht sich um Analhygiene – inzwischen ein Riesenthema auch bei Frauen. Sind sie mittlerweile deine Hauptkundinnen? Genau. Frauen sind mittlerweile die grösste Kundschaft für mein Produkt (MANNSCHAFT berichtete über Frauen und Analsex). Auch in der Schweiz ist das so, wo wir inzwischen einen eigenen Vertriebspartner haben.

Vertrauen Frauen beim Thema Analhygiene lieber auf schwule Expertise – so nach dem Motto: Die wissen, wie’s läuft? Das kann ich auf jeden Fall unterschreiben. Ich würde natürlich auch eher, wenn ich eine Frau wäre, ein Produkt für Frauenhygiene von anderen einer Frau kaufen als von einem Heteromann. Einfach, weil eine andere Frau eher weiss, worum es geht und wie sich das anfühlt, wenn es doof ist. Viele Frauen denken sich: «Im Fall von Analsex haben die Jungs schon genug ausprobiert. Die wissen, wie es läuft.»

Sagt das auch jemand direkt zu dir? Also es gibt jetzt keine Frauen, die sagen: «Hey, ich vertraue dir, weil du schwul bist oder weil du mit Männern schläfst.» Das passiert nicht. Aber man merkt schon, dass sie neugierig sind und dass sie mit mir einen leichteren Zugang haben, weil ich das Thema Analsex und Analsauberkeit so locker angehe. Nicht zu wissenschaftlich, nicht zu prüde, aber auch nicht so, dass es einen vor den Kopf stösst. Stattdessen mit Humor und so offen, dass wir direkt beim Thema sind und nicht um den heissen Brei herumreden.

Wenn der Grossteil deiner Kund*innen Frauen sind, wie drückt sich prozentual aus? Ich würde sagen, 60:40. Aber das ist auch erst seit der TV-Ausstrahlung bei der Seundung «Die Höhle der Löwen» bei VOX diesen Sommer so extrem. Vorher war es 30 Prozent Frauen und 70 Prozent Männer. Jetzt hat es sich gedreht.

Der Berliner Unternehmer Marius Baumgärtel
Schnappschuss von Marius Baumgärtel (Bild: Baumgärtel Berlin GmbH)

Was hat dich dazu bewogen, mit anuux an eine grössere Öffentlichkeit zu gehen? Zum einen hatte ich mir das Ziel gesetzt: Ich möchte mich dieser Jury von Investor*innen bei «Die Höhle der Löwen» stellen. Ich will diesen Mut aufbringen. Und ich musste mich tatsächlich dreimal bewerben, weil die ersten beiden Male haben sie mich im Sande verlaufen lassen. Ich habe Dokumente ausgefüllt, Videos geschnitten und rübergeschickt. Aber auf meine Nachfrage kam nie eine Antwort. Man hat mich einfach geghostet.

Deshalb bin ich nach Hamburg zum Live Pitch gefahren und habe dort bei der Redaktion vorgesprochen. Das hat dann geklappt. Offensichtlich hat es persönlich gefunkt zwischen uns, was schriftlich vorher nicht der Fall war.

«Wenn man zur besten Sendezeit über anale Dinge spricht, kann man drauf wetten, dass Eltern beim Sender anrufen und sich beschweren»

Marius Baumgärtel, Unternehmer

Würdest du sagen, dass anuux vorher abgelehnt wurde, weil das als vermeintlich «schwules» Thema angesehen wurde oder weil man es als zu provokativ angesehen hat, etwas zu Analsex zu machen? Ich kann nur mutmassen. Die Redaktion war in der Tat sehr zögerlich, was das Thema angeht. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass das auf Widerstand gestossen ist: Analverkehr im Free-TV ist ja schon ein gewisses Novum. Als wir dann in der Produktion waren, haben sie gleich gesagt: «Pass auf, wir wissen nicht, ob wir dich ausstrahlen, das wissen wir nie vorher. Das entscheidet der Sender, nicht die Produktionsfirma, wir produzieren immer mehr, als die später brauchen.»

Man sagte mir auch, dass ich – wenn überhaupt – erst ganz zum Schluss drankäme, nach 22 Uhr, wenn die Kids im Bett sind. Damit es keine Beschwerden gibt, dass wir Teenagern zeigen, wie Analshygiene geht. Die Sendung beginnt ja um 20.15 Uhr. Wenn man da gleich zur besten Sendezeit über anale Dinge spricht, kann man drauf wetten, dass Eltern beim Sender anrufen und sich beschweren.

Du stehst als Unternehmer nicht nur für dieses Analreinigungsprodukt, sondern machst auch andere Sachen. Genau. Das erste Mal selbständig gemacht habe ich mich mit 19, da war ich Abiturient. Dann war ich jahrelang nebenberuflich selbständig, habe auf Teilzeit Unternehmensgründung studiert in Berlin-Schöneberg an der HWR (Hochschule für Wirtschaft und Recht), und ich habe halt immer alles Mögliche ausprobiert. Erst habe ich Kosmetik verkauft, dann hatte ich eine Werbeagentur für Printprodukte, später war ich Vollzeit in einer IT-Firma, habe dort Beschwerdemanagement gemacht und die ganzen ausgerasteten Kund*innen bedient. Das war richtig gut, denn ich habe die glücklich gemacht. (lacht) Es ging darum, Lösungen zu finden, wo der normale Customer Service keine mehr hatte, und es ging darum, sich mal wirklich Zeit für diese Kund*innen zu nehmen. Dann habe ich für ein queeres Berliner Stadtmagazin Anzeigen verkauft.

Als mein Vater krank wurde, wollte ich gerade anuux gründen. Die Diagnose für meinen Vater (der selbst Unternehmer ist) war, dass er Krebs hat und bald sterben würde. Da habe ich ihm angeboten: «Pass auf, du hast eine kleine Reinigungsfirma. Wenn du möchtest, kann ich die übernehmen. Dann kannst du an guten Tagen zur Arbeit kommen und an schlechten bin ich da», wissend, dass mein Vater irgendwann wirklich gehen würde.

Mitten in den Verhandlungen hat er sich das jedoch alles anders überlegt und wollte doch keine Nachfolge und lieber selbst weiterarbeiten. Was ich verstehen kann. So habe ich es auch im Studium gelernt. Wir haben ja Unternehmensgründung und Nachfolge als Fach gehabt. Ich wusste also, dass es Senioren sehr oft schwerfällt, ihr Baby loszulassen. Also hab ich mein eigenes Ding gemacht.

Aus unserer Community heraus gründete ich nach dem ersten Corona-Lockdown dann die Queere Haushaltshilfe. Wir bieten Haushaltshilfe und Gebäudereinigung mit queeren Menschen an und sind dabei heterofriendly. Die Analreinigung als Produkt kam erst später dazu.

«Nimmst du unsere anuux-Pillen, brauche ich weniger Zeit, um später dein Klo zu schrubben. Also optimiert das Ganze auch meine Arbeitszeit»

Marius Baumgärtel, Unternehmer

Sauber von aussen und von innen? Genau. Es ist ein ganzheitliches System. Nimmst du unsere anuux-Pillen, brauche ich weniger Zeit, um später dein Klo zu schrubben. Also optimiert das Ganze auch meine Arbeitszeit. (lacht)

Ihr reinigt auch das Schwule Museum Ja. Seit Jahren. Das Schwule Museum kam auf uns zu und hat gesagt: «Wir wollen euch.» Wir waren darauf erst gar nicht vorbereitet, so was Grosses zu putzen, jeden Tag. Aber mittlerweile hat sich das etabliert. Wir geben, so wie bei anderen LGBTIQ-Institutionen, einen Community-Rabatt. Ansonsten macht es natürlich Sinn, als queeres Unternehmen auch für die queere Community zu arbeiten, aber grundsätzlich sind wir für alle da.

Wir haben mittlerweile über 60 Angestellte. Unser Schwerpunkt ist, Arbeitsplätze schaffen, nicht nur für queere Menschen, sondern für alle Menschen, gerade für jene, denen es schwerfällt, in Arbeit zu kommen. Menschen nach Entzug zum Beispiel, die gerade aufgehört haben zu konsumieren. Da können wir die Arbeitszeit so gestalten, dass sie begleitend zu ihrer Therapie kommen. Wenn sie bei uns etwas mit eigenen Händen machen, haben sie sofort wieder einen Selbstwert und spüren, dass sie etwas geschafft haben. Und das ist meist ein sehr guter Neustart.

Würdest du sagen, dass es wichtig ist, dass Institutionen wie das Schwule Museum ein queeres Unternehmen zum Putzen hat, weil die Mitarbeitenden dort anders damit umgehen, wenn Dildos oder homoerotische Kunst an der Wand hängt? Das ist tatsächlich ein Riesenthema. Wir haben eine lesbische Journalistin als Kundin, die sagte zu mir: «Marius, das war so schlimm. Da kam diese Frau zu uns zum Reinigen, sieht uns beide Frauen, wie wir die Tür öffnen, bekreuzigt sich das erste Mal und anschliessend vor jedem einzelnen Bild in unserem Haus. Ich habe mich noch nie so unwohl in meinem eigenen Haus gefühlt. Das möchte ich nicht mehr.»

Die Mitarbeitenden meiner Firma haben keine derartigen Berührungsprobleme. Du brauchst nichts wegräumen, du brauchst nichts verstecken vor ihnen. Das macht was in deinem Leben, wenn du das Gefühl hast: «Der*die bewertet mich nicht, der*die verurteilt mich nicht für meinen Lebensstil und ich muss mein Privatleben in meinem Zuhause nicht in irgendeine Kammer sperren, wenn die Putzkraft kommt.» Ob wir jetzt besser reinigen, weil wir schwul oder queer sind, das wage ich zu bezweifeln, weil wir haben auch viele Heteros bei uns, die einen fantastischen Job machen.

Aber Queers putzen vielleicht mit anderen «Werten»? Wir haben auch hier wieder diesen Fakt: Wir haben mindestens eine Gemeinsamkeit, wir sind Teil derselben Community, und damit haben wir wahrscheinlich ähnliche Erfahrungen im Leben gemacht, was uns möglicherweise verbindet oder zumindest einen Gesprächsanfang bietet.

Bist du mit Queere Haushaltshilfe der Einzige, der so etwas anbietet? Wir waren bis letztes Jahr die einzigen in ganz Europa. Jetzt gibt es eine zweite queere Reinigungsfirma in Berlin, die sich spezialisiert hat auf Menschen mit Pflegegrad. Das Unternehmen wurde aus der queeren Pflege heraus gegründet. Der Bereich Haushaltshilfe ist im pflegerischen Bereich etwas, das immer stiefmütterlich behandelt wird. Wir bieten das inzwischen auch an. Ich habe ein alteingesessenes Team von einem befreundeten Betrieb übernommen. Dieser Betrieb wurde letztes Jahr geschlossen und die Geschäftsführerin und ich, wir sind in einem gemeinsamen Verein, der hauptsächlich heterosexuell ist.

Da ist die Gemeinsamkeit, dass wir alle Haushaltshilfe anbieten. Und sie meinte zu mir: «Marius, willst du nicht meine Mitarbeitenden übernehmen?» Sie wurden nicht zwangsmigriert, wie es bei einer Betriebsübernahme üblich ist, sondern die waren alle schon gekündigt und hatten die Wahl zwischen «Ich suche mir selber was» oder «Ich mache was ganz anderes» oder «Ich nehme das Angebot an».

Welche Erfahrung hast du bei der Gründung deiner LGBTIQ-Reinigungsfirma bezüglich Kapitals gemacht? Wir haben ohne Kapital gegründet, nur mit Fleiss. Einfach kontinuierlich den Job durchziehen, hintereinander weg klare Ziele gesetzt. Dadurch, dass ich damals selbst noch angestellt war, musste ich auch im ersten Jahr nicht bezahlt werden. Ich musste also davon erst mal nicht leben. Der Verzicht auf ein Gehalt war eine gute Anschubfinanzierung. Ich habe von meinem Vater ein kleines bisschen Startkapital gehabt, die Firma zu gründen und mir zumindest fürs erste halbe Jahr das Büro leisten zu können.

Als er dann starb, ein halbes Jahr später, war das genau zu Weihnachten. Da habe ich mir angeguckt, was ich erben würde und gedacht: «Oh mein Gott, auf gar keinen Fall. Ich schlage das Erbe aus.» Er war hochverschuldet, hatte irgendwelche komischen Deals gemacht, die ich nicht verstehen konnte. Es war alles sehr wirr. Ich hatte keine Ahnung, worauf ich mich da eingelassen hätte. Und mein Partner Oliver war Gott sei Dank immer an meiner Seite und ist mit mir zusammen diese ganzen Dokumente durchgegangen.

Denn ich stand natürlich auch völlig neben mir. Es war Weihnachten, mein Vater war gerade tot, die Familie war in Aufruhr. Ich musste eine Beerdigung planen in Corona-Zeiten, wo man nicht in eine Kapelle durfte, wo es jede Woche andere Abstandsregeln gab.

Dann habe ich den anderthalb Mitarbeitern, die es zu dem Zeitpunkt noch in der Reinigungsfirma meines Vaters gab, einen Job bei mir angeboten, zusammen mit der Übernahme der Kunden. Das war echt schwierig, weil die Kunden nicht wussten, dass ich existiere. Und jetzt stell dir vor, du bist bei einer Reinigungsfirma und plötzlich ruft ein wildfremder Mensch an und sagt: «Ich bin der Sohn vom Chef hier. Der ist gerade gestorben. Wollen Sie zu mir wechseln?» Das klingt doch wie Scam. Das würde niemand ernst nehmen. Also habe ich die Reinigungskräfte gebeten, ihre Kunden selbst zu informieren über die Situation.

Und wann kommt die Analreinigung in dieses unternehmerische Gesamtbild? Meine Reinigungsfirma Queere Haushaltshilfe habe ich 2020 gegründet. anuux hatte ich aber schon 2018 entwickelt. Das Produkt hatte ich bei Wettbewerben eingereicht, hatte Kapital gesucht und keines bekommen, habe auch keine Gründungsfinanzierung bekommen wegen des besonderen Themas. Die Förderkredite wurden von den Banken abgelehnt mit der Begründung «zu kleiner Markt, wird sich niemals rentieren».

Haben die mal bei Amazon geschaut, wie viele Produkte da zu diesem Thema im Angebot sind? Nein, die haben nicht nach Analverkehr geguckt. Die haben nur nach Kapseln für Verdauung geguckt. Das war der Vergleich: Massenmarkt.

Und dann? 2021 ist anuux auf den Markt gekommen, das erste Mal. Damals noch in Dosen, nicht in Tüten, wie heute. Ich dachte: Zwei Dosen klappern, das ist super! (lacht) Wir haben uns dann direkt der Zielgruppe gestellt, indem wir auf Märkte gegangen sind, zu Folsom, aufs Lesbisch-schwule Stadtfest in Berlin.

«Ich dachte: Zwei Dosen klappern, das ist super!»

Marius Baumgärtel, Unternehmer

Wie waren die Reaktionen? Die Menschen beim Stadtfest waren verstört. Grundsätzlich sagten viele Leute: «Das kann nicht funktionieren. Ich glaube nicht daran.»

Was heisst «verstört»? Na ja, so was braucht man nicht oder was soll denn das? Sie haben nicht daran geglaubt und gedacht, das sei ein scheiss Produkt. Dabei ist es ein Produkt zum Scheissen! (lacht) Inzwischen haben wir sogar Mitbewerber, die uns nachahmen. Das hat den grossen Vorteil, dass die Aufklärungsarbeit nicht nur an uns hängen bleibt, sondern jetzt alle Mitbewerbenden solche Arbeit betreiben. Das macht das Leben für mich deutlich leichter.

Wie lief es bei Folsom? Da kauften viele anuux. Das gesamte Setting ist bei Folsom sehr open minded, da man sich dort deutlich aktiver mit sexuellen Praktiken auseinandersetzt. Unser Konzept ist ja relativ einfach: Ich nehme Pflanzenfasern, die viel Ballaststoff enthalten, packe sie in eine Kapsel, sodass die erst im Bauch aufquillt. Diese zeitverzögerte Wirkung sorgt dafür, dass der Effekt besser ist und die Einnahme deutlich bequemer.

Folsom Strassenfest 2021 (Foto: Heinrich von Schimmer)
Blick aufs Folsom-Strassenfest in Berlin mit einer Ansammlung von Fetisch-Fans

Bist du auch zu Folsom nach San Francisco gefahren oder zu anderen internationalen LGBTIQ-Events mit starkem Sexfokus? Aktuell ist das Produkt deutsch. Es gibt auch andere, ähnliche Produkte im Ausland. Wir sind nicht die einzigen Marktteilnehmer. Ich bleibe erst mal im europäischen Markt. Dafür habe ich die Lizenzen, dafür habe ich die Genehmigungen. Seit kurzem sind wir auch bio.

Habt ihr irgendwelche prominenten Kunden, berühmte Porno-Stars, vielleicht auch weibliche, die sich hinstellen und sagen: «Wow, dank Marius ist das jetzt alles viel besser für uns beim Analverkehr?» Wir haben tatsächlich einige Leute, die auf der Venus sind oder auf anderen Erotikmessen, die erzählen, dass sie unser Produkt verwenden und Fans sind, auch trans Content Creator*innen bei OnlyFans, ebenso viele homosexuelle Männer. Bisher haben wir uns aber nicht so sehr auf den Erotikmarkt geworfen.

Iris Berben auf der Berlinale
Schauspielerin Iris Berben (Bild: Harald Krichel)

Haben Iris Berben oder Veronica Ferres schon Werbung für euch gemacht? Noch nicht! (lacht) Ich finde die Vorstellung jedoch sehr lustig, dass Iris Berben Lust auf Analverkehr machen könnte. Aber ich habe bei der Sendung «Höhle der Löwen» wieder gemerkt, wie die Heteros bei solch einem Thema völlig geschockt waren und versuchten, Fassung zu wahren. Das hat man in ihren Augen gesehen. Du kannst dir das noch online anschauen. Also die Gesichtsreaktionen waren schon sehr spannend. (lacht)

Was passierte nach der Sendung? Über Nacht war unser Lager leer und danach waren auch die Produktionsmengen für die nächsten Wochen ausverkauft. Das ist toll. Das war genau der Anschub, den wir brauchten, damit wir wirklich gut weiterwirtschaften können. Jetzt dümpelt das nicht mehr so als Nischenprodukt rum, sondern ist tatsächlich im Mainstream angekommen.

Hat der TV-Auftritt zu Follow-up-Angeboten geführt? Wir haben unglaublich viel Feedback bekommen. Also ich komme gar nicht hinterher mit dem Beantworten aller E-Mails. Das ist wunderbar. Und ich denke, wir werden unser Sortiment ausweiten in andere Richtungen.

«Mit 16 ist es ja verwirrend, mit solchen Bildern im Kopf zum ersten Date zu gehen»

Maurius Baumgärtel, Unternehmer

Was heisst «andere Richtungen»? Dass wir noch mal eine Variation haben, die sich mehr auf Darmgesundheit spezialisiert, speziell für Menschen mit Vorerkrankungen. Grundsätzlich finde ich es erstaunlich, dass es so viele Jahre dauerte, bis wir in Deutschland halbwegs normal über das Thema Analreinigung sprechen können. Dieses Land bewegt sich generell sehr, sehr langsam, wenn es darum geht, Tabus zu überwinden.

Als ich selbst zum Beispiel über das Thema Analdusche oder Analreinigung aufgeklärt wurde, war ich 18. Ein Freund von mir, der etwas erfahrener war, hat mir davon erzählt. Ich war völlig überrascht, dass es so etwas überhaupt gibt – und dass man das tatsächlich macht. Ich konnte damals gar nichts damit anfangen. Also habe ich mir im Internet eine Analdusche bestellt, wusste aber weder, wie man sie richtig bedient, noch worauf man achten sollte. Es hat allerdings nicht lange gedauert, bis ich den Dreh raus hatte (lacht).

Ich glaube, dass wir durch Pornos und Co. heute in der Mitte der Gesellschaft mehr über Analsex nachdenken – aber Pornos zeigen halt kein realistisches Bild von Sexualität. Das ist das Problem. Sie vermitteln eine sehr verzerrte Vorstellung davon, wie Sex und auch wie Dating funktioniert.

Als ich noch gedatet habe, bevor ich meinen Partner Oliver kennenlernte, war das oft so, dass Leute wirklich mit Vorstellungen aus Pornos kamen: «Ja, ich ziehe mich schon mal im Lift aus, dann stehe ich nackt vor deiner Tür, und du machst auf – oder die Tür ist schon angelehnt …» Das kann spannend sein, aber es kann auch ziemlich cringe werden. Mit 16 ist es ja total verwirrend, mit solchen Bildern im Kopf ans erste Date zu gehen.

Und in Pornos siehst du definitiv nie, wie sich jemand anal reinigt. Dabei gehört das einfach dazu – das kann ich heute mit 34 mit absoluter Sicherheit sagen. Jede und jeder kennt diesen Moment: Du bist zu Hause, die Stimmung ist gut, und du möchtest Analverkehr haben. Dann sagst du zu deinem Partner oder deiner Partnerin: «Ich gehe noch kurz für zehn Minuten ins Bad und drehe die Musik laut. Wir sehen uns gleich wieder.»

Wenn du Pech hast, dauert es länger als zehn Minuten. Und wenn du noch mehr Pech hast, ist die prickelnde Stimmung bis dahin verflogen. Das ist die Realität. Mit anuux hat man den Vorteil, dass man sich die Analdusche fast komplett sparen kann. So kommen wir dem Ideal eines romantischen Abends ohne «Analduschen-Unterbruch» ein Stück näher.

Das ist doch das perfekte Schlusswort. Danke für das Gespräch.

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