«Power Bottom»: Stars wie Lil Nas X über die Lust, penetriert zu werden
Der Kulturchef von Spiegel-Online hatte bereits 2012 festgestellt, dass «der Arsch ein Lustobjekt» sei und «keine Kardinalsünde». Jetzt befeuert Rapper Lil Nas X die Diskussion neu
Kurz nach seinem schlagzeilenmachenden Kuss mit einem anderen Mann bei den BET (Black Entertainment Television) Awards wurde Lil Nas X auf Twitter von einem Follower gefragt, ob er eigentlich Top oder Bottom sei. Darauf antwortete der Rapper kurz und knapp: «Power Bottom.»
Dieses Statement ergänzte er wenig später mit einem Gedicht von Chimamanda Ngozi Adichie, das er jedoch leicht veränderte. Er tauschte das Wort «Girls» gegen «Bottoms» aus. So dass es sich nun so liest:
«We teach our bottoms to shrink themselves, to make themselves smaller. We say to bottoms, you can have ambition, but not too much. You should aim to be successful, but not too successful. Otherwise, you would threaten the top.»
Auf Deutsch heisst das in etwa: «Wir lehren unsere Bottoms, sich zu ducken und klein zu machen. Wir sagen zu den Bottoms, ihr könnt ambitioniert sein, aber nicht zu viel. Ihr solltet probieren erfolgreich zu sein, aber nicht zu erfolgreich. Denn sonst verschreckt ihr die Tops.»
Ob das eine ironisch überspitzte Antwort ist, die als Provokation gemeint ist, sei dahingestellt. Aber dadurch wurde die Bottom-Diskussion neu ins Rampenlicht gerückt. Was wiederum das queere Klatsch-Portal Queerty zum Anlass nahm, verschiedene Celebrities vorzustellen, die in jüngster Zeit ihre «tiefe Liebe fürs Bottoming» öffentlich diskutierten.
Haaz Sleiman: Zwischen Superman und «Sound of Music» Zu diesen Stars zählt der Schauspieler Haaz Sleiman, der in Hollywood Jesus spielte und Teil von vielen erfolgreichen Serien war, u. a. «ER» und «Nurse Jackie». Sleiman hatte sich 2017 via Facebook geoutet und dabei selbst als «total bottom» beschrieben. Als er das 2020 rückblickend beurteilen sollte, sagte er: «Fans auf der ganzen Welt haben sich bei mir dafür bedankt, wie ich mich geoutet habe und dass ich gesagt habe, dass es mir Kraft gegeben hat. Dass ich dabei gesagt habe ‹I’m a total bottom› mag vielleicht einige Studiobosse stören. Aber das ist mir egal. Mein Coming-out hat mich zu einem besseren Schauspieler gemacht. Und das bereue ich nicht. Ich bin bereit auszubrechen und die Debatte zu verändern sowie die Welt, in der wir leben, herauszufordern.»
Seither hat Sleiman 2020 in der neuen Apple-TV-Serie «Little America» den schwulen Sohn Rafiq gespielt, der von seinen Eltern verstossen und brutal misshandelt wird, weil er nicht gängigen Männlichkeitsidealen in der arabischen Welt entspricht – was dazu führte, dass mehrere arabische Länder die Ausstrahlung der Serie untersagten (MANNSCHAFT berichtete).
Derzeit läuft mit Corona-Verzögerung Sleimans romantische Liebeskomödie «Breaking Fast» in US-Kinos und bei verschiedenen Streamingdiensten, wo Sleiman einen musicalbegeisterten schwulen Muslim während des Fastenmonats Ramadan spielt – der von Superman alias Christopher Reeve träumt, wenn er nicht gerade «The Sound of Music» singt. Dinge, die nach altem Macho-Klischee auch innerhalb der schwulen Welt tabu sind bzw. waren, weil als «tuntig» angesehen, Dinge, die Sleiman jedoch mit grosser Lust darstellt und dekonstruiert.
Als Queerty die Bottom-Geschichte jetzt veröffentlichte mit seinem Gesicht auf dem Vorschaufoto, teilte Sleiman sie sofort auf seinen Social-Media-Kanälen und erinnerte daran, dass die Diskussion nach wie vor wichtig sei.
«Teen Wolf»-Star Tyler Posey Queerty listet auch den «Teen Wolf»-Star Tyler Posey auf, der einen OnlyFans-Account betreibt und sich diese Woche als «sexuell fluide» geoutet hat. Als Posey im vergangenen Jahr von einem Abonnenten auf OnlyFans gefragt wurde, ob er schon mal Sex mit einem Mann gehabt habe, sagte er: «Ich hatte nie Sex mit einem Mann. Wir haben uns gegenseitig Blowjobs gegeben, du weisst, was ich meine. Aber nie Sex.»
Bei der gleichen Q&A-Sitzung sagte Posey aber auch, dass er ein grosser Fan von Dildos sei und schon «von einem Strap-on gefickt» worden sei.
Ob der inzwischen 29-Jährige damit seine Freundin meinte, die Singer-Songwriterin Phem, durch die er laut aktuellem Interview mit dem Magazin NME seine sexuelle Identität gefunden habe, bleibt offen: «Sie hat mir geholfen zu erkennen, dass ich unter den queeren Regenschirm passe und dass ich sexuell fluide bin», so Posey zu NME. Er wolle übrigens nicht mehr des «gay baiting» beschuldigt werden, also des Vorspielens, er würde auf Männer stehen, um auf diese Weise schwule Fans zu gewinnen. Die hat er sowieso.
«Walking Dead»: Nico Tortorella Auch Nico Tortorella, aus dem «Walking Dead»-Ableger «World Beyond» bekannt, hat sich als queer und genderfluide geoutet (mit den Pronomen «they/them»). Ob Tortorella lieber top oder bottom sei, hänge vom Tag ab («depending on the day»), hiess es in einem Interview.
Wenig später teilte Tortorella eine Instagram-Story mit einer Illustration, an der man ablesen könne, was die Sitzhaltung einer Person über ihre vermeintlich bevorzugte sexuelle Position aussage. Auch wenn Tortorella selbst eher wie ein Top sitze, zeigt ein zweiter Pfeil auf die versatile-Position. Dabei wiederholte Tortorella die Abhängigkeit von Tagesform bzw. -laune.
«Special»-Star Ryan O’Connell Weiter geht es mit Ryan O’Connell: Alle, die die neue Staffel von «Special» gesehen haben, in der O‘Connell seine eigene Geschichte als schwuler Mann mit Behinderung erzählt, wissen, dass das Top-Bottom-Thema dabei auch behandelt wird. In einem Interview sagte O’Connell 2019, dass er eine «Power Bottom Bitch» sei, die es liebe «die Kontrolle zu übernehmen». Demnach schätze er zwar die Missionarsposition besonders, setze sich aber auch gern «oben auf». O’Connell erwähnt dabei nebenbei, dass er etliche «amazing experiences» mit Sexarbeitern gehabt habe.
Tadzio Müllers Chemsex-Traum «nur noch Loch» zu sein Der deutsche Sexarbeiter und Klimaaktivist Tadzio Müller, der in der Doku des Y-Kollektivs «Chemsex – Warum einige Schwule auf Drogen Sex haben» zu sehen ist, die im Juni 2021 für Diskussionen sorgte (MANNSCHAFT berichtete), sagt in dem Film vor laufender Kamera, sein Traum sei es nach einer anstrengenden Arbeitswoche im Kampf gegen den Klimawandel «nur noch Loch» zu sein. Was ihm dann über den Konsum von Crystal Meth zumindest vorübergehend zu gelingen scheint. Damit treibt er das Bottoming-Phänomen ins Extreme. Meint aber, es sei sein «Menschenrecht» dies in dieser Form ausleben zu dürfen.
Troye Sivans Ode an den Analsex Von Queerty wird noch der Popsänger und Schauspieler Troye Sivan («Boy Erased») angeführt. Denn dieser hatte 2018 die Single «Bloom» veröffentlicht, die laut Queerty «im Grunde eine Ode darauf ist, es sich anal besorgen zu lassen».
Kurz nachdem der Song veröffentlich worden war, erzählte Sivan im Interview mit der Zeitschrift them, er habe das Lied geschrieben «nach einer bestimmten Erfahrung», die er gemacht habe. Aber auf diese wolle er sich nicht «für immer» festlegen.
Festgelegt hat sich allerdings die MANNSCHAFT-Kolumnistin Anna Rosenwasser, die meint, die Weise, wie Lil Nas X LGBTIQ-Themen öffentlich behandelt, «ein Geschenk des Himmels an die queere Community» sei. Denn er ist «out and proud and in your face schwul» (kursiv im Original).
Dazu passt Lil Nas Xs «Power Bottom»-Statement. Es holt die Diskussion über Männer, die sich gern anal befriedigen lassen, aus der LGBTIQ-Ecke heraus und bietet sie auch einem heterosexuellen Millionenpublikum als Denkfutter. Was speziell in der manchmal homophoben Rap-Szene nicht ganz selbstverständlich ist.
Überholte Aktiv-Passiv-Muster durchbrechen Bereits im Dezember 2012 machte der spätere Ressortleiter Kultur von Spiegel-Online, Enrico Ippolito, in dem Essay «Rock the Butt» den damals neuen Trend aus, dass «der Arsch ein Lustobjekt» sei und «keine Kardinalsünde». Und: Dass «neuerdings» auch «sogenannte Machos» entdeckten, «dass es an der Zeit ist, überholte Aktiv-Passiv-Muster zu durchbrechen und sich der eigenen Lust nicht zu schämen».
Das Thema griff dann – ausgerechnet – das Militärhistorische Museum Dresden 2018 in seiner grossen Ausstellung «Gewalt und Geschlecht» auf, wo’s im Katalog den Essay gab «Erektion beim Appell» über Militärfantasien im Schwulenporno. Dabei ging es auch darum, wie es in den 2010er-Jahren zunehmend selbstverständlich wurde, dass hypermaskuline Männer in Soldatenszenarios auch Bottom-Positionen übernehmen – und daran (a) Spass zu haben scheinen und das (b) ihrer «maskulinen» Aura in keiner Weise Abbruch tat.
Die Schlusspointe im Text war die, dass solche Filme zunehmend von heterosexuellen Frauen gedreht werden, denen es gefällt, Männer in diese Positionen zu bringen. Der Katalog fragte, ob das eine «queerfeministische Revance» sei. Vielleicht sollte man Lil Nas X dazu mal befragen?
Der Kurator und Leiter des Museums, Gorch Pieken, wurde anschliessend übrigens versetzt. Die Proteste gegen die Ausstellung und behandelten Themen waren enorm.
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