Konzert von Maria Callas aus 1958 koloriert im Kino!
Zum 100. Geburtstag wurde der Auftritt in der Pariser Opéra filmisch aufgearbeitet
Am 2. Dezember wäre die Sopranistin Maria Callas 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass erscheint «exklusiv auf der Kinoleinwand» erstmals der vollständige historische Konzertauftritt der LGBTIQ-Ikone aus Paris 1958, in Farbe.
Natürlich muss man dieses Konzert keinem Callas-Fan vorstellen, denn es gibt davon schon lange eine DVD-Ausgabe, ausserdem geistern bei YouTube diverse Arien daraus herum. Aber: Sie waren bislang alle in Schwarzweiss. Was die Wirkung der Callas – als glamouröse Überdiva im Audrey-Hepburn-Look, mit Juwelen behangen und mit einer Intensität singend, die bis heute die gesamte Konkurrenz auf ihre Plätze verweist – nicht schmälert.
2017 hatte Tom Volf bereits in seinem sehr gelungenen Dokumentarfilm «Maria by Callas» Ausschnitte dieses Konzerts in restaurierter Farbe gezeigt.
Nun hat Volf das komplette Konzert zu einem Film von 90 Minuten Laufzeit zusammengestellt. Er heisst schlicht «Callas – Paris, 1958» und kommt am 2. Dezember ins Kino, in der Schweiz (Bern und Bienne) sowie in Deutschland und Österreich.
Juwelen im Wert von einer Million Dollar Das war damals ein aussergewöhnlicher Auftritt in der prachtvollen Pariser Opéra Garnier, den das Fernsehen festhielt.
Neben dem musikalischen Aspekt – die Callas war damals die berühmteste und teuerste Sängerin der Welt, die mit ihrem Privatleben und der Affäre mit Aristoteles Onassis für Schlagzeilen sorgte – war das Konzert auch ein grosses gesellschaftliches Ereignis, an dem «Le Tout Paris» teilnahm, darunter der französische Präsident Coty, Jean Cocteau, der Herzog und die Herzogin von Windsor, Charlie Chaplin, Brigitte Bardot und viele andere, deren Ankunft das Fernsehen natürlich festgehalten hat, und die man hier auch in Vollfarbe sieht.
Callas selbst betrat die wie ein TV-Studio hergerichtete Bühne in eleganter Designer-Garderobe und trug Juwelen im Wert von einer Million Dollar. Sie eröffnete den Abend mit ihrer Paraderolle Norma und der Arie «Casta Diva», ein leise dahingehauchtes Gebet an die Göttin des Mondes, den Menschen Frieden zu schenken.
Es folgen die eindringliche «Miserere»-Szene aus Verdis «Troubadour», bevor Callas die Stimmung wechselt mit dem schelmischen «Una voce poco fa» aus Rossinis «Der Barbier von Sevilla». Der Höhepunkt des Abends kam in der zweiten Hälfte: eine vollständig inszenierte Aufführung des zweiten Aktes von «Tosca», wo Callas als Tosca ihren Widersacher Scarpia niedersticht, als dieser sie vergewaltigen will. Dabei brüllt sie ihm entgegen «Stirb und sei verdammt!».
Aus dem persönlichen Archiv «Zum ersten Mal vollständig in Farbe und in 4K Ultra HD, sorgfältig restauriert von den kürzlich wieder entdeckten originalen 16mm-Rollen und einer neu entdeckten Tonquelle, ist dies eine Gelegenheit, diesen historischen Auftritt wie nie zuvor zu erleben», heisst es in der Pressemitteilung zum Film.
Und weiter: «Die visuelle Restaurierung ist nur ein Teil der Geschichte. Der Ton, ebenso wertvoll, wurde liebevoll in Dolby Atmos restauriert und stammt direkt aus dem persönlichen Archiv von Maria Callas. Jede Note, jede Nuance ihrer unvergleichlichen Stimme wurde für die Nachwelt bewahrt. Die gewissenhafte Tonmischung und das Mastering wurde den erfahrenen Händen der Miraval Studios anvertraut, um sicherzustellen, dass das Hörerlebnis ebenso hinreissend ist wie das visuelle.»
Der CEO von Piece of Magic Entertainment, Caspar Nadaud, sagt: «Es gibt keine bessere Art, den 100. Geburtstag von Maria Callas zu feiern, als auf der grossen Kinoleinwand. Dies ist das erste Mal, dass das Publikum auf der ganzen Welt die Callas in Farbe und in Dolby Atmos im Kino erleben kann, während sie eines ihrer legendärsten und gefeiertsten Konzerte gibt. Ich bin stolz darauf, dass Piece of Magic bei diesem Projekt mit Tom Volf und Samuel François-Steininger zusammenarbeitet und dass wir gemeinsam mit unseren Kinopartnern ‹Callas – Paris, 1958› dem Kinopublikum auf der ganzen Welt anbieten können.»
«Meine Seele, meine Sehnsucht, mein Schmerz, meine Freude» Die Wucht von Callas als Sängerin fängt dieses Konzert natürlich nur bedingt ein. Der Grund, warum besonders viele schwule Opernfans die am 2. Dezember 1923 in New York City geborene Maria Anna Cecilia Sofia Kalogeropoulou abgöttisch verehren, ist in dem Konzert von 1958 zwar mehr als greifbar – aber die vokale Supernova, für die sie in ihren besten Momenten steht, erlebt man anderswo.
Es gibt niemanden, der sich der Wirkung dieser Stimme und der dramatischen Ausbrüche, die sie mit dieser Stimme erzeugte, entziehen kann. Manchen ist das zu viel. Ich kenne einen eingefleischten schwulen Opernfan, der mir erzählte, dass er seit Jahren keine Callas-Aufnahmen mehr gehört hat, weil sie einfach «zu intensiv» seien und gleichzeitig so in seiner Erinnerung «eingebrannt», dass er sie gar nicht mehr hören muss. Er habe sie so verinnerlicht, dass sie Teil seines Lebens geworden sind – und er auch keine anderen Aufnahmen von Stücken wie «Tosca» oder «Norma» hören kann, ohne immer den Schatten der Callas dabei zu spüren.
Der schwule Regisseur und Produzent Lucas Kazan, der selbst etliche Opern als Pornos umgesetzt hat (MANNSCHAFT berichtete), schrieb auf Anfrage für diesen Artikel, er könne zu Callas nichts sagen, das auch nur annähernd ihre Bedeutung einfangen würde, denn sie sei «mein alles: meine Seele, meine Sehnsucht, mein Schmerz, meine Freude…» Sie sei «der bahnbrechendste Sopran des 20. Jahrhunderts» gewesen, so Kazan. Was man als Statement – ohne jegliche Übertreibung – stehen lassen kann.
Andere schwule Fans, wie der kürzlich verstorbene Terrence McNally (MANNSCHAFT berichtete), haben den Kult um die Callas aus schwuler Perspektive in Theaterstücken wie «The Lisbon Traviata» (1989) eingefangen oder ihr mit dem Stück «Master Class» (1995) ein Denkmal gesetzt, das viele Schauspielerinnen seither genutzt haben, um zu brillieren.
«Oper, Homosexualität und Begehren» Wayne Koestenbaum zelebriert Callas in seinem berühmten Buch «The Queen’s Throat», zu Deutsch «Königin der Nacht: Oper, Homosexualität und Begehren» ebenfalls. Und diese ganz besondere Beziehung schwuler Opernfans zu speziell dieser Diva beschreibt auch Arnold Jacobshagen in seinem neuen Buch zum Callas Geburtstag. In «Maria Callas: Kunst und Mythos» hebt er besonders den Aspekt der Metamorphose hervor, bei dem sich die dickliche und scheinbar ungelenke Frau mit griechischen Wurzeln und der Wunderstimme zu einem Topmodel herunterhungerte, sich neu stylte und zu einer Hollywood-Schönheit wurde.
Jacobshagen dazu: «Auch in der Schwulenszene, die einen besonders hohen Anteil an Callas-Verehrern verzeichnete, wurde die Metamorphose mit Staunen registriert. Als einer der Ersten hat Wayne Koestenbaum das queere Potential der Sängerin thematisiert – und dabei freilich wieder andere Zahlen benannt: Wir lieben die Callas, weil sie ihren Körper völlig umgestaltet hat. In drei Jahren ist sie von 79 Kilo auf 54 abgesunken und hat sich vom hässlichen Entlein in eine Glamourqueen verwandelt. Körper lassen sich nicht immer abändern, aber die Selbstrevision der Callas lässt uns – wie eine Geschlechtsumwandlung – an die Kraft des blossen Wunsches glauben.»
Und weiter: «Für die queere Lesart der Callas-Legende war zudem auch die tragische Erfahrung des Stimmverlusts bedeutsam. Weitere Metamorphosen folgten: erst der komplette Rückzug von den Bühnen der Welt, dann das überraschende Comeback mit einer Konzerttournee mit Giuseppe Di Stefano. Body Shaming ist heute im Musikbetrieb ein Tabu. Dennoch wird in der Szene immer häufiger primär nach Optik besetzt. Das war nicht immer so. In den fünfziger und sechziger Jahren waren übergewichtige Opernsängerinnen völlig normal. Es gab weder gesellschaftlichen Druck für einen zwanghaften Schlankheitskult noch eine Body-Positivity-Bewegung. Das vorherrschende Schönheitsideal orientierte sich eher an Marilyn Monroe als an Audrey Hepburn. Erst recht galt das für die altmodische Opernwelt. Niemand störte sich daran, wenn Butterfly oder Salome von Primadonnen fortgeschrittenen Alters gespielt wurden, deren Körpermasse nicht eben der geläufigen Vorstellung jugendlicher Anmut entsprach. Und dabei gehörte Maria Callas in keiner Phase ihrer Karriere zu den besonders dicken Primadonnen.»
«Adrenalinstoss für die Ewigkeit» Jacobshagen hält fest: «Erst infolge ihrer körperlichen Metamorphosen fiel es den meisten Leuten auf, dass sie früher einmal üppiger gewesen war. Ihre Diät war der nächste und konsequente Schritt ihrer fortwährenden Selbstoptimierung. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass nicht allein ihre Stimme, sondern auch ihre szenische Darstellungskunst für ihren Erfolg ausschlaggebend war. Für die Glaubwürdigkeit der meisten ihrer Rollen würde sich eine deutlich schlankere Erscheinung als vorteilhaft erweisen.»
Das Grandiose an Callas ist, dass sie die Glaubwürdigkeit und die seelischen Abgründe ihrer Figuren auch rein vokal vermitteln konnte. Und so gibt es unzählige atemberaubende Aufnahmen von ihr – live und im Studio. Besonders live kann man dabei immer wieder ihre Superstunts erleben, mit denen sie speziell in der Frühphase ihrer Karriere um 1950 die Konkurrenz schlicht wegpustete. Ein berühmtes Beispiel ist ihr Auftritt als Aida in Verdis gleichnamiger Oper in Mexico City.
Am Ende der sogenannten Triumpf-Szene, wo die Bühne mit Chormassen und Extras, Solisten und allem möglichen anderen bevölkert ist, schiesst Callas ganz am Ende mit einem interpolierten hohen Es eine Leuchtrakete ab (die Verdi nicht in der Partitur vorsieht) und übertönt damit – alle und alles. Das Publikum in Mexiko flippt aus und bricht noch vor Ende der Musik in Bravogeschrei aus. Der Stimmexperte Jürgen Kesting spricht von einem «Adrenalinstoss für die Ewigkeit».
Liebesschmerz und Liebesekstase Es ist eine Form von Selbstbehauptung – ein Durchsetzen gegen alle Widrigkeiten, ein Schlag ins Gesicht alle jener, die ihr den Platz im Rampenlicht streitig machen wollten (in diesem Fall der Tenor Kurt Baum, erzählt die Legende). Und es sind solche Momente, die viele queere Fans an Callas besonders bewundern.
Geliebt wird sie aber wegen ihrer vokalen Darstellung von Liebesschmerz und Liebesekstase. Und von Liebeswahnsinn. Wer einmal ihre Aufnahme der «Lucia di Lammermoor» aus dem Jahr 1955 gehört hat, mit Dirigent Herbert von Karajan und Partnern wie Di Stefano live in Berlin, der wird das nie wieder anders hören wollen. Und selbst das eher konservative und Belcanto-Oper gegenüber skeptische deutsche Nachkriegspublikum kann sich der Wirkung dieser Stimme und Art dieses Singens nicht entziehen.
Nach dem krachenden Sextett – einem Wunschkonzert-Highlight, das mit einem dieser Leuchtraketentöne der Callas endet – gibt es so viel tosenden Applaus im Theater des Westens, dass Karajan das Ganze schlichtweg nochmal spielen lässt. Und die Callas bei der Wiederholung noch grösser auftrumpft und dann den Spitzenton am Schluss einfach ein zweites Mal in den Raum schleudert. Danach ist im Publikum kein Halten mehr; was man auf dem Radiomitschnitt hören kann. Es bleibt eindrucksvoll, diese Interaktion zwischen Bühne und Zuschauerraum zu erleben, bis heute.
Biopic mit Angelina Jolie Dass zu Callas auch zum 100. Geburtstag noch nicht alles gesagt ist, zeigt neben den vielen neuen Publikationen und neu aufgelegten Aufnahmen auch die Tatsache, dass Hollywood sich jetzt wieder mit ihr beschäftigt. Ein Biopic mit dem Titel «Maria» und mit Angelina Jolie wird mit dem chilenischen Regisseur Pablo Larraín gerade gedreht. Er handelt von den letzten tragischen Tagen kurz vor Callas‘ Tod in Paris 1977, im Alter von nur 53 Jahren.
Larraín ist bekannt für starke Kinoporträts bedeutender Frauen wie «Jackie» (Jackie Kennedy, mit Natalie Portman) und «Spencer», in dem Kristen Stewart Diana Spencer spielte. Das Drehbuch stammt von Steven Knight («Peaky Blinders», «Spencer»). Neben Jolie gehören zum Cast Leute wie Alba Rohrwacher, Kodi Smit-McPhee («The Power of the Dog») and Valeria Golino.
Bis der Film ins Kino kommt, lohnt das neue Jacobshagen-Buch als fundierte und übersichtliche Zusammenfassung der wichtigsten Aspekte der Callas-Legende («Leben», «Kunst», «Mythos»). Das kolorierte Pariser Konzert von 1958 und die Tatsache, dass es jetzt ins Kino kommt, macht vielleicht auch eine jüngere Generation auf diese Sängerin neuerlich neugierig, die man immer wieder entdecken kann. Und die man gerade als junger Queer kennen sollte.
Warum? Weil sie ein so essenzieller Teil der LGBTIQ-Geschichte ist, wegen ihrer Zusammenarbeit mit berühmten schwulen Künstlern wie Luchino Visconti, Franco Zeffirelli oder Leonard Bernstein (zu dem das Biopic «Maestro» ebenfalls im Dezember ins Kino kommt); vor allem aber, wegen der Heerscharen von schwulen Fans, für die Callas mehr war als nur eine Stimme, sondern Ausdruck ihres Innern, das sie sonst niemandem anvertrauen konnten.
Rosa von Praunheim illustriert das wunderbar in seiner Doku «Operndiven – Operntunten» von 2020, die leider noch nicht auf DVD erschienen ist, aber ab und zu durch die Mediatheken des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geistert. In dem Film spricht Praunheims Jugendfreund, der Regisseur Werner Schroeter (1945-2010), von seiner Callas-Leidenschaft. Und natürlich fängt «Operndiven – Operntunten» genau damit an.
Und natürlich gibt es den cineastischen Moment-der-Momente, als im Aids-Drama «Philadelphia» die von Tom Hanks gespielte Figur Denzel Washington als Anwalt erklärt, was die überwältigende Kraft von Oper ist – und ebenfalls natürlich tut er das mit einer Callas-Aufnahme, «La mamma morta» aus «Andrea Chénier». Das bleibt singulär. Und Callas at her absolute best.
Im slowakischen Košice sorgt eine Inszenierung von Wagners «Tannhäuser» schon vor der Premiere für Aufregung, weil darin die Geschichte des Titelhelden als Biografie des schwulen Wagner-Sohns Siegfried erzählt wird (MANNSCHAFT berichtete).
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