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«Komm, wir tanzen auf dem Tisch, bis der Tisch zusammenbricht»

Eine Liebeserklärung an die Schlagernacktparty

Schlagernacktparty
Die Zigaretten stecken im Strumpf - wo sonst? (Foto: Kriss Rudolph)

Die Schlagernacktparty in Berlin ist ein Klassiker der schwulen Tanzunterhaltung. Sie findet jetzt schon zum 100. Mal statt. Unser Autor ist Stammgast und widmet ihr seinen Kommentar*.

Angefangen hat alles im Sommer 2003, damals fand die Premiere der Schlagernackt-Party im kleinen, aber legendären Ackerkeller statt, initiiert von DJ Jupiter. Das 20. Jubiläum wurde letztes Jahr bereits gross gefeiert, nun steht die 100. Ausgabe der Party bevor, Gründonnerstag. Die ersten rund 90 Ausgaben habe ich leider verpasst, darum schaue ich, dass ich keine Party mehr auslasse. Sie findet ja ohnehin nur alle zwei, drei Monate statt.

Ja, es heist Schlagernackt, nicht -nacht! Wer danach googelt, wird von den Suchmaschinenspiessern immer verbessert, aber was wissen die schon!

Nachdem man seinen Eintritt bezahlt hat, erhält man einen Stoffbeutel, in dem alle Klamotten verstaut und an der Garderobe abgegeben werden, lediglich Schuhe und Strümpfe behält man an. Manch einer erscheint mit Harness und ist immer noch ausreichend nackt.


Herren aus ganz Deutschland kommen regelmässig angereist, sei es aus Bremen oder Bayreuth, um nackt deutsche Schlager wie «Theo, wir fahr′n nach Lodz!» oder «In Petersburg ist Pferdemarkt» zu zelebrieren. Oder die Hits von Roland Kaiser, dem Meister der schlageresken Schlüpfrigkeit.

Beim letzten Mal traf ich einen Schweizer, der mit einem Freund aus Paris extra nach Berlin gekommen war, um unbekleidet zu deutschen Schlagern und ein paar ESC-Klassikern zu tanzen. Einige betätigen sich auf andere Weise zur Musik – und warum auch nicht, dies ist ein freies Land.

So ist es auch auf der Homepage der Schlagernacktparty nachzulesen: «Männerfrage: Ist es nicht peinlich, wenn ich auf der Party eine Erektion bekomme?» Antwort: «Ganz sicher nicht! Erstens steht Ihr damit nicht alleine da und was soll schon an einer guten Durchblutung verwerflich sein?»


Nackt, darüber habe ich hier schonmal geschrieben (MANNSCHAFT+), das bedeutet: Man ist ohne Handy unterwegs. Man könnte es sich in die Strümpfe stopfen, aber wozu? Es ist ganz befreiend, dieses lästige Ding mal ein paar Stunden von der Backe zu haben. Das ist gut für die Offline-Kommunikation und dient der Flirterei.


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Ausserdem stecken in den Strümpfen oft schon die Zigaretten und das ist leider gar nicht zu empfehlen, denn die Ecken der Zigarettenschachtel piken einem den ganzen Abend über unangenehm ins Fleisch (ich bin Nichtraucher und habe es ausprobiert: es stimmt!).

Wenn ich im Schlagerrausch versinke, huscht bei manchen Songs ein wohliger Schauer über meinen Körper, und an bemerkenswerten Stellen bildet sich eine Gänsehaut. Möglicherweise liegt es daran, dass diese Stellen unbedeckt sind; vielleicht ist es aber auch die Sangeskunst von Juliane Werding oder die Tatsache, dass man «Stimmen im Wind» sonst eben selten auf einer Party hört. (Warum eigentlich nicht? Gibt es eine schönere Textzeile als diese: «Menschen, die sich lieben, sterben nie»?)

Nacktsein – das hat denselben Effekt wie eine Schuluniform. Niemand kann den anderen durch ein noch hübscheres Hemd oder die Hose einer noch tolleren Marke übertrumpfen. Wenn man diesen Wettbewerb braucht, muss man ihn untenrum austragen (ich meine das Schuhwerk). Oder über viele möglichst effektive Besuche im Gym.

Schlagernacktparty
So fing alles an (Foto: Schlagernacktparty / DJ Jupiter)

Ja, auch gut trainierte Herren kommen zur Schlagernacktparty, aber eben auch Vertreter einer Generation, die man sonst nie in Clubs sieht. Männer der Marke Ü60 und Ü70 mischen sich unter das nackte Volk, das macht diese Party auf besondere Weise inklusiv und nimmt einem ein wenig die Angst vorm Altwerden. Denn natürlich möchte ich mich auch in 20 Jahren noch auf dieser Party tummeln.

Um auf die Schlagernacktparty zu gehen, muss man übrigens nicht bis Mitternacht warten so wie bei anderen Partys. Das Schwuz öffnet seine Tore bereits um 19 Uhr, und dann dauert es in der Regel nicht lange, bis sich die Tanzfläche füllt und eine ausgelassene Stimmung herrscht. Man kann um Mitternacht gehen – in der Regel ist das Highlight dann gelaufen: «Moskau» von Dschinghis Khan, zu dem alle im Kreis eine Art Kasatschok darbieten («Komm, wir tanzen auf dem Tisch, bis der Tisch zusammenbricht») –, hat eine Menge erlebt und hängt nicht den ganzen Montag durch. In meinem Aller (ich bin süsse 52) finde ich es herrlich überbewertet, die Nacht durchzufeiern und im Morgengrauen nach Hause zu torkeln.

Dass hier Hunderte junge wie alte, schwule und vielleicht auch bisexuelle Männer – und mittendrin immer auch eine Handvoll tapferer Frauen – zusammen nackt feiern, hat aber noch eine andere Nebenwirkung: Es hält nicht-queere Tourist*innen und Schaulustige davon ab, sich dazuzugesellen. Nun ist an sich nichts dagegen auszusetzen, dass wir Queers unsere Partyräume auch mit Heteros teilen, finde ich (wir haben das neulich erst ausführlich auf MANNSCHAFT+ thematisiert) Das mag teils wirtschaftliche Gründe haben, und die Völkerverständigung kommt auch nicht zu kurz.


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Aber dass es da diese eine Veranstaltung gibt, zu der sich eben kein Junggesellinnenabschied verirrt mit Damen, die um ihren Handtaschenhaufen herumtanzen, und zu der eben mal nicht eine queerfreundliche Besucherin ihren Partner schleppt, um ihm zu zeigen, wie toll die Schwulen feiern können – das finde ich ausgesprochen schön. Einmal unter sich feiern. So wie früher. Und dazu die Gänsehaut am Hintern spüren.

Disclaimer: Unser Autor legt hin und wieder selber im Schwuz als DJ auf.

* Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.


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