Von Trash-TV zu Ultramarathon: Emanuel Brunner braucht den Kick
1500 Sexpartner*innen? Der ehemalige Bachelor-Kandidat bereut die Schlagzeile von damals
Emanuel Brunner kommt im Dschungel an seine Grenzen. Was Realityshows mit Sportevents gemeinsam haben und warum es ihn immer wieder in Extremsituationen zieht.
Zwei Zehennägel sind ihm ausgefallen, sein Hals ist durch einen Insektenstich stark angeschwollen.
Als Emanuel Brunner im Juni 2024 im peruanischen Dschungel im Ziel ankommt, ist er am Ende. Der Körper ist entkräftet, der Kopf leer. Nur ein Gedanke setzt sich durch: Er hat es geschafft.
Die Ultramarathon-Serie «Beyond The Ultimate» besteht aus vier Laufveranstaltungen, die jeweils in der Natur unter extremen Bedingungen durchgeführt werden: im Dschungel, in der Wüste, im Polarkreis und im Gebirge. Teilnehmende legen 230 Kilometer in fünf Etappen während fünf Tagen zurück. Die Verpflegung muss selbst mitgebracht und getragen werden. Neben Ausdauer sind auch Kraft, Koordination und Durchhaltewillen gefragt.
Das Zitat mit den 1500 Sexpartner*innen Emanuel ist in der Öffentlichkeit nicht in erster Linie als Extremsportler bekannt, sondern als Realitystar. 2015 war der Zürcher in der ersten Schweizer «Bachelorette»-Staffel mit Frieda Hodel zu sehen, wo er mit seiner Vorliebe für FKK und seiner Bisexualität für Schlagzeilen sorgte. «Interessanterweise störte das meine Mitkandidaten mehr als die Bachelorette selbst», erinnert er sich.
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«Das zeigt, dass es bei heterosexuellen Männern immer noch als Tabu gilt.» Glücklicherweise habe sich seit 2015 viel getan. Im Reality-TV seien LGBTIQ-Personen viel mehr präsent, mit «Prince Charming» gebe es nun auch queere Datingshows. 2021 nahm Emanuel bei der Trash-TV-Show «Reality Shore» teil und lieferte mit seiner Aussage, bereits über 1500 Sexpartner*innen gehabt zu haben, für weitere Klicks auf Boulevardportalen.
«Der Journalist nahm meine Antwort als Headline und die Ironie ging verloren. Aber was will ich machen, ich habe es ja gesagt. Es ist sogar auf Video.»
Emanuel Brunner
Das Zitat sei komplett aus dem Kontext gerissen worden, sagt Emanuel. «Es war als Witz auf eine blöde Frage des Journalisten gemeint», sagt er. «Der Journalist nahm meine Antwort als Headline und die Ironie ging verloren. Aber was will ich machen, ich habe es ja gesagt. Es ist sogar auf Video.»
Das Zitat sorgt heute noch für Gesprächsstoff, zum Beispiel in der Mittagpause beim Arbeitsplatz. Emanuel ist bei der SBB in der Kundeninformation tätig. «Ich verüble es niemandem, heutzutage lesen alle ja nur die Schlagzeile.»
«Reality Shore» bleibt Emanuel vor allem wegen des ausufernden Alkoholkonsums in schlechter Erinnerung. In der Show teilten sich attraktive Menschen eine Villa in Kroatien, es wurde viel geflirtet und getrunken. Während der Dreharbeiten habe er so viel Alkohol getrunken wie in den letzten zehn Jahren zusammen.
Für den ernährungsbewussten Emanuel, der sich damals in der Vorbereitung für einen Ironman befand, war das kontraproduktiv. Es habe Wochen gedauert, bis er seinen Trainingsrückstand aufgeholt habe. Vor Sendestart habe man als Kandidat nicht gewusst, worum es genau gehe und wer alles dabei sei. «Als ich das Konzept der Sendung erfuhr, hatte ich den Vertrag bereits unterschrieben», sagt er.
Dem Adrenalin nachjagen Einfach mal mitmachen und schauen, was passiert. Mit dieser Einstellung meldet sich Emanuel auch für den 230-Kilometer-Lauf im Dschungel an, der anspruchsvollste aus der «Beyond the Ultimate»-Serie. Ohnehin zieht der 34-Jährige mehrere Parallelen zwischen einer Realityshow und einem Ultramarathon.
«Die unterschiedlichsten Menschen treffen aufeinander und niemand weiss, wie es wird. Zudem haben alle unterschiedliche Beweggründe. Sie machen es als persönliche Herausforderung oder damit sie anderen davon erzählen können. Wiederum andere machen es, damit sie gute Fotos und Videos von sich haben», sagt er. Bei Realityshows sei das ähnlich.
«Ich brauche den Kick – Du bist wie auf Nadeln und hast keine Ahnung, was dich erwartet.»
Emanuel Brunner
«Einige kommen, weil sie mehr Follower möchten oder weil sie ihren Onlyfans-Account promoten wollen, während andere wirklich für die Sache kommen und sich im Fall von Bachelorette verlieben möchten.»
Und bei Emanuel? Die Motivation, bei einer Realityshow oder einem Ultramarathon teilzunehmen, ist für ihn dasselbe: die Jagd nach Adrenalin. «Ich brauche den Kick», sagt er. «Du bist wie auf Nadeln und hast keine Ahnung, was dich erwartet.»
Ein Ultramarathon der Extreme Der Dschungel-Ultra gilt daher als anspruchsvollster Lauf der Serie, weil er die unterschiedlichsten Extreme vereint: grosse Höhenunterschiede, unwegsames Gelände, eine hohe Luftfeuchtigkeit, schwankende Temperaturen und die Unberechenbarkeit des Amazonas. Bereits der Startpunkt in Cusco auf knapp 3400 Metern erfordert eine mehrtägige Akklimatisation.
Wer nicht an die dünnere Höhenluft gewöhnt ist, muss mit Kopfschmerzen, Übelkeit oder Schwindel rechnen. Es kommt also nicht von ungefähr, dass der Veranstalter von den Teilnehmenden eine gute körperliche Fitness und mindestens einen Lauf in Marathon-Länge voraussetzt. Maximal 60 Personen können teilnehmen.
Emanuel erfüllt die Kriterien, sportlich war er bereits sein ganzes Leben. Als Jugendlicher spielte er für den FC Zürich Fussball, bis er sich nach einem Kreuzbandriss umorientierte. Er nahm an Laufevents teil, an Halbmarathons und schliesslich auch am herausfordernden Jungfrau-Marathon mit 1953 Höhenmetern. Dazu trainiert er im Fitnessstudio, macht Crossfit und Hyrox.
Neben einer guten Kondition braucht es oft einfach auch eine Portion Glück, die Emanuel bereits am ersten Tag hat. In der ersten Etappe geht es für die Teilnehmenden von einer hohen Lage hinab in den Dschungel. Bei der Überquerung eines Flussbetts rutscht er aus. Sein Stock bricht und verhindert dabei, dass er seinen Kopf an einem Felsen aufschlägt.
Am dritten Tag knickt im Amazonas ein grosser Ast ab und landet unmittelbar vor Emanuels Füssen. Weniger Glück hatte ein Mitstreiter im Jahr zuvor: Wegen Durchfall musste er den Ultramarathon abbrechen, so dass er es nun nochmals versucht.
Ein teurer Spass In Abständen von zehn Kilometern gibt es während den Etappen Checkpoints mit Wasser und einer medizinischen Fachperson. Für alles andere sind die Läufer*innen selbst verantwortlich. Emanuel hat sein Essen für alle fünf Tage, Kleidung und ein Erste-Hilfe-Set stets dabei.
Übernachtet wird in einer Hängematte, die er ebenfalls auf dem Rücken trägt. Gesamtgewicht: 9 Kilo. Der Veranstalter organisiert die Camps und stellt Wasser zum Kochen zur Verfügung. Emanuel ernährt sich während des Ultras von gefriergetrockneten Gerichten, seine Lieblingsmahlzeit: Kartoffelpüree mit Speck.
Der vierte und fünfte Tag sind die anstrengendsten des Ultras. Die Strecke der vierten Etappe ist mit rund 36 Kilometern eher kurz, umso herausfordernder ist das Terrain: Es geht über glitschige Felsen, schlammige Pfade und tückisches Gefälle. Als Abschluss wartet eine steile Steigung von 1000 Metern durch den Dschungel. Dornen und Wurzeln säumen den Weg und die Teilnehmenden werden dazu angehalten, auch bei Pausen achtsam zu bleiben – denn Riesenameisen stechen erbarmungslos zu, sobald menschliche Haut in Bodennähe kommt.
«Man fragt sich ständig, weshalb man sich das überhaupt antut.»
Emanuel Brunner
Emanuel spürt an diesem Tag, wie sein Körper immer mehr an seine Grenzen kommt. «Die Beine schmerzen, die Füsse sind ständig nass von den Flüssen und Bächen. Die Luftfeuchtigkeit und die Hitze setzen einem zu», sagt er. «Man fragt sich ständig, weshalb man sich das überhaupt antut.» Die freiwillige Tortur hat ihren Preis: Die Teilnahme am Ultra kostet 3000 britische Pfund, umgerechnet rund 3400 Franken oder 3600 Euro – Reisekosten nach Peru nicht inbegriffen.
Auf der Dopamin-Welle ins Ziel Am fünften und letzten Tag steht mit 92 Kilometern der längste Abschnitt des Ultras auf dem Programm. Hier rennen die Teilnehmenden gegen die Zeit: Wer die ersten 70 Kilometer nicht in einer bestimmten Zeit schafft, muss den Lauf abbrechen und wird nicht gewertet. Damit will der Veranstalter verhindern, dass Teilnehmende in der Dämmerung rennen. Der Grund: Nachts sind Schwarze Kaimane und Jaguare unterwegs.
«Du rennst weiter und weisst, jetzt ist es bald fertig und du hast es geschafft.»
Emanuel Brunner
Emanuel ist körperlich angeschlagen, sein Hals schwillt vom Insektenstich an, er hustet Blut. Doch er schafft den Cut-off. Die Erleichterung darüber sorgt für einen Dopaminschub, der ihn für die restlichen 22 Kilometer befeuert. «Man fühlt sich wie auf Drogen», erinnert er sich. «Du rennst weiter und weisst, jetzt ist es bald fertig und du hast es geschafft.»
Im Ziel als 30. angekommen folgt auf das Hoch zuerst einmal der Kater. Sein Körper ist ausgelaugt und er verkriecht sich für 24 Stunden in die Hängematte. Die Veranstalter organisieren eine Pizza. Zurück in der Schweiz angekommen, sucht er einen Arzt auf. Glücklicherweise sind lediglich die Entzündungswerte erhöht, er kriegt Antibiotika und die Schwellung verschwindet.
Reality-TV schliesst Emanuel nicht aus Was bleibt, ist der Stolz über den abgeschlossenen Ultra. Emanuel meldet sich noch im selben Jahr für die Ausgabe in der Wüste an und absolviert diesen im November 2024 als 17. Im April reist er für einen kleineren Ultra-Marathon in die Highlands von Schottland.
Welche Erkenntnisse zieht Emanuel aus diesen extremen Ausdauer-Erfahrungen? «Im Dschungel wollte ich mehrmals aufgeben, weil es einfach zu anstrengend wurde», sagt er. «Du musst dann versuchen, deinen Kopf auszuschalten und dich nicht von deinen Gedanken leiten zu lassen.» Das sei ihm gelungen, indem er sich auf den Moment konzentriert habe.
«Was später kommt oder am nächsten Tag ansteht, habe ich einfach ausgeblendet und mir gesagt, dass ich dann weiterschaue, wenn es so weit ist. Diese Einstellung hilft mir auch im beruflichen Alltag.»
Ob Emanuel wieder in einer Realityshow teilnehmen würde? «Ich würde es wieder machen», sagt er. Es gehe ihm aber nicht darum, im Fernsehen zu sein. «Ich mache es nicht zum Bekanntwerden, sondern für den Kick.» Zurzeit ist er Single, eine Beziehung kann er sich eher mit einem Mann als mit einer Frau vorstellen. Trotzdem komme für ihn eher keine Datingshow in Frage. «Survivor-Geschichten kann ich mir vorstellen, das würde zu mir und meinem Lifestyle passen.» Er fügt lachend hinzu: «Also nichts mehr mit Alkohol!»
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