«Queer Exile Berlin»: Jochen Hick vollendet seine Doku-Trilogie
Der neue Film des Regisseurs feierte jetzt Premiere
Der Filmemacher Jochen Hick hat seine LGBTIQ-Dokumentarfilmreihe über Berlin mit «Queer Exile Berlin» jetzt zu einer Trilogie erweitert. Seit Donnerstag ist der Film in 17 deutschen Städten im Kino – allein in der titelgebenden Hauptstadt in sechs.
Als Regisseur hat Jochen Hick sich in seinen Dokus schon mit vielen Themen aus dem LGBTIQ-Spektrum beschäftigt, zum Beispiel mit der schwulen Pornobranche in «Sex/Life in L.A.» (1998) und in «Cycles of Porn» (2005), mit Fetisch in «Menmaniacs – The Legacy of Leather» (1995), mit der Ost-West-Thematik in «East/West – Sex & Politics» (2006) oder in «DDR unterm Regenbogen» (2011) oder «Der Ost-Komplex» (2016).
Im letzten Jahrzehnt waren es vor allem Hicks Berlin-Dokus, die viel Aufmerksamkeit erregten. Los ging es 2013 mit «Out in Ost-Berlin», gefolgte von «Mein wunderbares West-Berlin» 2017 als Pendant. In beiden Arbeiten geht es um einen historischen Rückblick auf eine Zeitphase, die abgeschlossen ist. D.h. man sieht Akteur*innen «von damals» darüber sprechen, was sie in Zeiten von maximaler Ausgrenzung und gesellschaftlicher Ächtung getan haben, um an dieser Situation etwas zu ändern.
«Befreiung durch Kapitalismus» Ein sehr einprägsamer Moment in «Mein wunderbares West-Berlin» ist das Gespräch mit Wolfgang Theis, Mit-Gründer Schwulen Museums und Anfang der 1970er-Jahre ein junger Aktivist, der aus Westdeutschland nach Berlin gekommen war, um hier freier leben zu können. Er war beim ersten CSD in Berlin dabei und bei vielen weiteren historisch bedeutenden Demos. An einem Punkt sagt er in der Doku, es sei letztlich der Kapitalismus gewesen, der die Befreiung der Schwulen ermöglicht habe – weil sie als kaufkräftige Gruppe entdeckt worden seien, die man nicht weiter verprellen wollte, wenn man stattdessen auch ihr Geld haben könnte.
In der neuen Doku kommen die sieben Protagonist*innen ebenfalls von weither nach Berlin, um ihren Traum von Freiheit ausleben zu können, allerdings unter gesamtgesellschaftlich komplett anderen Bedingungen als Theis & Co.. In 104 Minuten erzählen sie, warum sie aus Syrien, Portugal, Russland, New York, Polen oder Köln an die Spree gekommen sind – und wie sie hier als queere Personen aufgenommen wurden.
Die älteste Person in diesem Kontext ist die bekannte Dragqueen Gloria Viagra, die in den frühen 70ern mit ihrer Mutter vorm gewalttätigen Vater nach Berlin floh und in linken Kreisen in Kreuzberg zwischen Hausbesetzer*innen aufwuchs, ständig zu Demos mitging und politisch aktiv erzogen wurde.
Natürlich ist ihre Sicht auf die Entwicklungen in Berlin – über vier Jahrzehnte – eine komplett andere als die von trans Frau Eunice aus Portugal, die als Anfang-20-Jährige vergleichsweise kurz in der Stadt ist, um hier ihre Transition zu durchleben.
Putzen und Partyszene Für Eunice ist «Freiheit» gleichbedeutend mit ihrem Weg zu sich selbst. Und der besteht u.a. darin, dass sie verschiedene Schönheits-OPs vornehmen lässt, um grössere Brüste und ein schmaleres Gesicht zu bekommen. Wie sie das finanziert – als jemand, der als «Putzkraft» arbeitet – erfährt man nicht. Weil man sie nie arbeiten sieht. Stattdessen sieht man, wie sie sich in die Partyszene von Berlin stürzt. Eine Szene, von der Eunice selbst sagt, dass die Gefahr besteht, dass man sich da verlieren und abstürzen könne. Sie kenne viele, die dann von Berlin nach einem oder zwei Jahren wieder ausgespuckt würden und die Stadt verlassen würden, um «zuhause» eine Entzugskur zu machen.
Eunices Ehefrau Alyha Love – eine trans Frau aus den USA, die als DJane in Berlin arbeitet – erzählt nebenbei, dass sie fast täglich «G» (GHB) konsumiere, um den richtigen Berlin-Vibe zu spüren (MANNSCHAFT berichtete). Die beiden Frauen bezeichnen sich als so etwas wie Schwestern im Geiste bzw. Seelenverwandte, die hätten keinen Sex miteinander, wollten aber ihr Leben miteinander verbringen. Deswegen begleitet das Kamerateam sie zur Hochzeit in Schweden, wo scheinbar die bürokratischen Hürden für eine Eheschliessung einfacher sind. Man sieht die strahlenden Bräute in Weiss, auch die angereiste Mutter von Eunice aus Portugal. Ob diese Eheschliessung etwas mit dem Visum oder der Aufenthaltsgenehmigung der US-Ehefrau zu tun hat, wird nicht angesprochen.
Auf dieses Thema geht allerdings der syrische nicht-binäre Künstler*in Darvish ein. Darvish kam mit einem auf drei Jahre begrenzten Studentenvisum nach Berlin und konnte so dem Krieg und Militärdienst in der alten Heimat entfliehen. Darvish arbeitet als tanzende*r Performer*in. Inzwischen im dritten Berlinjahr – was die Frage aufwirft, wie es mit der Aufenthaltsgenehmigung weitergehen könnte. Und welche Optionen es gibt zwischen Asylantrag, Heiraten usw.
Von den Hürden der deutschen Ämter spricht der in Haiti geborene Künstler Jean-Ulrik Désert, der in den frühen 2000ern von New York nach Berlin kam und in einer geräumigen Wohnung mit Aussenklo und Kachelofen lebt, wo die Miete entsprechend niedrig ist. Etwas, was viele ältere Berliner*innen noch kennen: diese teils gigantischen Altbauwohnungen, die so gut wie nichts kosten, wenn sie unrenoviert sind, die aber heute extrem schwer zu finden sind. Weil die Stadt nach dem Mauerfall aus ihrem langen Dornröschenschlaf erwache, und nun an allen Ecken und Enden gebaut wird, so wie in anderen Metropolen auch, wo viele Menschen hinziehen wollen. Entsprechend kann man die Gentrifizierung beklagen – aber Leute wie Eunice, Jean-Ulrik und andere sind hier diejenigen, die das mit vorangetrieben haben bzw. vorabtreiben.
Man lernt in der Doku auch Mischa Badasyan aus Russland kennen, der mit seinem in Berlin realisiertn Kunstprojekt «Save the Date» bekannt wurde, in dessen Rahmen er ein Jahr lang täglich mit einem anderen Mann Sex hatte (MANNSCHAFT berichtete). Die Kamera begleitet ihn teils zu den Dates – und fängt Momente ein, die die Abgründe diese Projekts zeigen, wo man fast glauben könnte, Mischa sei suizidal. Allerdings ist es Mischa, der sich dann auch aus dieser betont queeren Berlin-Bubble rauszieht, um ein vergleichsweise «bürgerliches» Leben zu führen, mit festem Partner. Er wirkt dabei glücklich. Was berührend und schön zu sehen ist.
Sein bestes Leben jetzt leben Kämpferisch gibt sich Monika Tichy, die für LGBTIQ-Rechte in Polen streitet und versucht, ihr Familienleben in Berlin mit Kindern und junger queerer Partner*in in Einklang zu bringen. Sie spricht über die Situation in Polen (MANNSCHAFT berichtete), man sieht auch mehrere polnische Queers, die ihrerseits davon träumen, nach Berlin zu kommen, um hier endlich frei zu leben – schliesslich sei man nur einmal 20 und wolle nicht darauf hoffen, dass es irgendwann mal besser werde, sondern jetzt sein bestes Leben leben.
Insgesamt prallen in «Queer Exile Berlin» stark kontrastierende Welten aufeinander. Das merkt man vor allem an den Aufnahmen von Demos, wo die trans Community u.a. mit einzelnen Teilnehmer*innen des Dyke March zusammenstösst, die als «TERFs» beschimpft werden. Was zu wütenden und tränenreichen Auseinandersetzungen führt. Auf die Hintergründe geht Hick nicht ein, man muss sie kennen, was vielleicht von LGBTIQ-Zuschauer*innen erwartet werden kann, da es sich um aktuelle LGBTIQ-Geschichte handelt. Alle, die nicht voll drin sind in diesen Auseinandersetzungen, werden eher nicht nachvollziehen können, was hier Streitgrund ist.
Vielleicht ist es gerade dieses Unkonkrete, das die jungen Queers in «Queer Exile Berlin» charakterisiert
Auch die Tatsache, dass Hick selten zeigt, wie und was seine Protagonist*innen zum Geldverdienen tun, bleibt ihr Leben in vielen Fällen unkonkret. Was sehr anders war bei den Interviewpartner*innen in «Mein wunderbares West-Berlin», wo immer erwähnt wurde, was diese «im richtigen Leben» – also jenseits ihrer aktivistischen Tätigkeit – machen. Aber vielleicht ist es gerade dieses Unkonkrete und Fluide, schwer Greifbare, das die jungen Queers in «Queer Exile Berlin» charakterisiert.
Einer der (zumindest für mich) nachhaltigsten Momente war gegen Ende eine Szene mit Gloria Viagra, die es schafft, von den Anfeindungen gegen sie in Kreuzberg-Neukölln zu sprechen, ohne die jungen Männer genauer zu beschreiben, die sie angehen. Stattdessen hält sie einfach die Handykamera drauf … und wir sehen in der Doku eine Szene, die vielen LGBTIQ vertraut vorkommen dürfte. Es gibt in solchen Zusammenhängen häufig den Aufschrei, so etwas zu thematisieren und zu benennen sei «rassistisch» und «anti-muslimisch». (Die Liste liesse sich erweitern.) Hick bzw. Gloria Viagra lösen das halbwegs geschickt, sie legen dennoch ihren Finger auf einen wunden Punkt. Der besprochen werden muss. Die Frage ist nur: wie?
Meisterhaft geschnitten Vorher im Film erzählt Darvish, dass er*sie nach der Ankunft in Berlin nicht in Nachbarschaften leben wollte, die stark von arabischstämmigen Menschen geprägt sind. Denn er*sie wollte nicht nochmals die Ausgrenzungen durchleben müssen, die er*sie in Syrien erlebt hatte. Wie ein Echo hallen diese Worte im Finale durch die Szenen mit Gloria Viagra.
Man könnte über den Film noch viel sagen. Er ist meisterhaft geschnitten. Verliert sich aber manchmal in Erzählsträngen, die nicht zu Ende erzählt werden. Und belässt vieles im Vagen, was allerdings zum eigenen Weiterdenken anregt. Zwischendurch gibt es emotional bewegende Momente (etwa wenn Darvish vom Coming-out gegenüber der Verlobten des Bruders erzählt, die kurz darauf bei einem Unfall ums Leben kommt). Es gibt Momente, sie irritieren. Und dann auch schockieren (z.B. die brutalen Szenen von CSDs in Russland und Polen, wo Anti-LGBTIQ-Protestierende am Strassenrand stehen und «Ave Maria» beten, bevor Schlägertrupps aufmarschieren, um die «Perversen» aufzumischen). Gerade angesichts solcher Szenen ist es schon seltsam von den jungen zugezogenen Queers in Berlin Klagen zu hören, wie sie hier «diskriminiert» würden. Und damit ist nicht Gloria Viagra gemeint, die nicht klagt, sondern zeigt, wie sie sich in solchen Momenten zur Wehr setzt.
Auf alle Fälle ist «Queer Exile Berlin» eine wichtige Momentaufnahme des Berlins hier und heute. Zumindest des Berlins, das Menschen von ausserhalb gern sehen wollen, dreckig und abgefuckt, wie man es aus Hollywoodfilmen und Serien kennt. Vielleicht dreht Jochen Hick ja auch noch eine Berlin-Doku und schaut jenseits von Mitte, Neukölln und Kreuzberg, wie LGBTIQ dort in einem ganz anderen Berlin leben, das gern ignoriert wird, aber auch dazugehört?
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