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Janis McDavid: «Es gibt keinen Fetisch, den es nicht gibt!»

Der Motivationstrainer und LGBTIQ-Aktivist war zu Gast beim Salon Schinkelplatz

Janis McDavid
Janis McDavid (l.) mit Moderator Manuel Koch (Foto: Salon Schinkelplatz/ Alexander Hildebrand)

Der Blogger, Buchautor und Motivationstrainer Janis McDavid – ohne Arme und Beine zur Welt gekommen – war diese Woche Gast im Salon Schinkelplatz. Er sprach dort über seinen «unbändigen Lebenswillen», übers Anderssein, aber auch über sein schwules Sexleben.

Der Salon Schinkelplatz ist ein neues Talkformat von TV-Moderator und Wirtschaftsexperten Manuel Koch, zuletzt war u.a. Helge Fuhst dort zu Gast und sprach darüber, wieso LGBTIQ-Sichtbarkeit in Nachrichtenformaten wie Tagesschau und Tagesthemen wichtig ist (MANNSCHAFT berichtete).

Genau so offen, wie Koch dem Tagesthemen-Chef auf den Zahl fühlte, wie es für ihn als schwuler Mann denn ist, in einem weitgehend heteronormativen Umfeld nicht-heterosexuell zu sein, genauso offen befragte Koch auch McDavid, wie offen die LGBTIQ-Community für ihn ist, wenn es um seine sexuellen Sehnsüchte geht – gerade, wo innerhalb der Szene so viel über Ausgrenzung gesprochen wird.

Janis McDavid
Janis McDavids Buch « Dein bestes Leben» von 2019 (Foto: Herder Vlg.)

Warum Koch McDavid einladen wollte zu seinem Talk erklärte er gegenüber MANNSCHAFT so: «Ich habe Janis zum ersten Mal vor einigen Jahren im SchwuZ gesehen. Da ist er mit seinem Rollstuhl an mir vorbeigeflitzt und hat mächtig Eindruck hinterlassen. Vor einem Jahr hab‘ ich ihn dann als Speaker bei einer Veranstaltung vom Völklinger Kreis erlebt und war gleich total von seinem Charisma begeistert. Ich konnte mich gleich identifizieren mit der Suche nach dem Sinn unseres Lebens und nach Selbstwertschätzung.»


«Ein normales Interview reicht nicht»
Damals hatten die beiden sich länger unterhalten. Und Koch war klar: «Ich finde ihn total faszinierend, aber ein normales Interview reicht nicht.» So sei der Gedanke aufgekommen, ihm einen ganzen Abend zu widmen. «Salon Schinkelplatz ist da das richtige Event», meint Koch. «In einer Stunde kann man viel in niveauvoller Atmosphäre besprechen und danach mit den Zuschauern beim Empfang vertiefen.»

Janis McDavid
Janis McDavid im Gespräch mit Manuel Koch (Foto: Salon Schinkelplatz/ Alexander Hildebrand)

Koch weiter: «Und klar, auch die Fragen nach Beziehung, Dating-Apps und seinem Sex-Leben hab‘ ich ihm gestellt. Es ist ein wichtiger Teil unseres Lebens, warum sollte ich nicht auch bei ihm mal nachhaken. Ich denke es ist nur eine Frage wie und nicht ob man das macht.»

In seinem Berufsalltag hält McDavid sogenannte Impuls- und Erlebnisvorträge, oft bei grossen Wirtschaftsunternehmen. Daher auch die Verbindung zum Völklinger Kreis und zu Koch, den viele von Inside Wirtschaft kennen werden. Auf seiner Visitenkarte, die McDavid beim Salon Schinkelplatz verteilte, werden drei solche Vorträge aufgelistet: «Dein bestes Leben» («Mit Bewusstsein, Mut und Willen das Leben in eine positive Richtung lenken»), «Mut, Grenzen zu sprengen» («Warum manche Menschen lebenslang träumen und andere ihre Träume täglich leben») und «Selbstschätzung» («Wie wir entdecken können, was wirklich in uns steckt»). Diese Themen standen denn auch am Anfang des Gesprächs mit Manuel Koch.


Nachdem der 1991 in Hamburg geborene McDavid von seinem Begleiter und Mitbewohner Sven hereingetragen wurde und Platz nahm vor der Kamera, ging es erstmal um seinen biografischen Hintergrund. Und darum, wie er es schaffte, sich vom Leben nicht behindern zu lassen – was u.a. dazu führte, dass er 2021 mit zwei Freunden den Kilimandscharo bestieg. In einem Rucksack, den seine Freunde auf dem Rücken trugen.

 

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McDavid erzählte eindrücklich, wie er mit acht Jahren erstmals merkte, dass er «anders» war als seine Geschwister und Menschen in seinem Umfeld. Er begriff, was seine fehlenden Arme und Beine bedeuteten. Und er fing an, seinen Körper zu hassen. Als er in die Pubertät kam und merkte, dass er auch noch schwul ist, intensivierte sich dieser Hass, so McDavid im Salon Schinkelplatz.

«Wenn man sich schämt, kann man nicht drüber reden»
Er habe sich in seinem Körper fremdgefühlt und diesen lange abgelehnt, so McDavid. Mehr noch: Er schämte sich für seinen Körper. Es war eine doppelte Scham, denn er hat sich auch dafür geschämt, dass er sich geschämt hat. Er sagt heute: «Wenn man sich schämt, kann man nicht drüber reden.» Und ohne drüber zu reden, wird es nicht besser.


Mehr zum Thema: Diskriminierung und Feindseligkeit gegen LGBTIQ kommen oft auch von Menschen aus den eigenen Reihen und sind vielfach geprägt von Selbsthass


McDavid stellte sich mit 16 immer wieder die Frage «Wieso gerade ich?». Auch seiner Pflegemutter stellte er diese Frage. Heute konstatiert er rückblickend: «Das ist eine zerstörerische Frage, denn es gibt darauf keine Antwort.» Man komme damit schnell in eine «Negativitätsspirale». Aus dem entsprechenden «Opferdenken» habe ihn seine Mutter dann aber glücklicherweise herausgerissen.

McDavid hatte grosses Glück mit seiner Pflegefamilie, wie er sagt. Sie machten ihm klar, dass er sich darauf konzentrieren solle, was er mit seiner besonderen Situation machen könne – und was er aufgrund seine Erlebnisse an die Welt zurückgeben könnte.

Erst wollte er Motorradpolizist werden («Daraus wurde aber nichts!»), dann zog er von Bochum nach Berlin, weil die Stadt für ihn «schon immer eine magische Ausstrahlung» hatte. In Berlin lernte er auf einer Party Sven und Thorsten kennen. Sie boten ihm ihr Gästezimmer an, und aus ersten kurzen Besuchen wurden immer längere Aufenthalte, bis McDavid ganz bei den beiden einzog.

«Das ist das, was Freundschaft auszeichnet»
Mit ihnen hat er auch die Reise zum Kilimandscharo unternommen. Thorsten habe ihn auf dem Rücken getragen, was immerhin bedeutete, ein Gewicht von 30 Kilo den Berg hoch zu bekommen. «Das ist das, was Freundschaft auszeichnet», so McDavid heute.

Mit einem ironischen Lächeln ergänzt er, dass er sich auch einen Transport auf einer Sänfte hätte vorstellen können. Getragen von vier oberkörperfreien Muskelmännern mit Sixpack. Aber wegen des vielbeklagten Fachkräftemangels sei daraus nichts geworden.

Janis McDavid
Janis McDavids neues Buch «Alle anderen gibt es schon» (Foto: Herder Vlg.)

Als McDavid merkte, dass er schwul ist, dachte er zuerst: «Ist das nicht eine Randgruppe zu viel?» Er hatte sein Coming-out mit 16, «als alles in meinem Leben chaotisch war», wie er heute sagt. Er fragte sich damals, als er noch im Ruhrgebiet lebte: «Wie trifft man in Bochum andere Schwule?» Er konnte nicht einfach allein in eine Disco gehen oder zu einem Date fahren. Um mit anderen in Kontakt zu kommen, musste er sich also zuerst gegenüber seinem Umfeld outen, sprich: seiner Familie. Viele LGBTIQ tun das meist als letzten Schritt, nachdem sie zuvor die LGBTIQ-Szene sondiert und Partner/Freunde dort gefunden haben. Bei McDavid lief es genau andersrum.

Nach dem erfolgreichen und positiven Coming-out gegenüber der Familie war es eine «Riesenherausforderung», einen Partner zu finden. McDavid war viel auf Dating-Apps unterwegs, wie er sagt. Und er habe sich gefragt, welche Strategie er dabei fahren sollte: Nur Facepic? Oder den ganzen Körper?

Man muss sich um mein Sexualleben keine Gedanken machen

Auch wenn er es liebe, mit der Ängstlichkeit anderer zu spielen, habe es für sich beschlossen, dass er niemanden treffen wollte, dem er nicht vorher gesagt hatte, was mit ihm sei, erzählt McDavid. Und auch wenn er feststellen musste, dass es bei Gesprächen auf gängigen Dating-Plattformen «wenig Tiefgang» gibt, entdeckte er, dass es eine Szene mit dem Fetisch gibt, mit behinderten Menschen Sex zu haben. In dem Zusammenhang sagt McDavid im Salon Schinkelplatz: «Es gibt keinen Fetisch, den es nicht gibt!» Er ergänzt schmunzelnd: «Man muss sich um mein Sexualleben keine Gedanken machen.»

Janis McDavid
Moderator Manuel Koch (r.) mit McDavid (Foto: Salon Schinkelplatz/ Alexander Hildebrand)

«Wenn ich nur das Leben einer Person beeinflussen kann, hat es sich gelohnt»
Als Manuel Koch ihn fragt, ob er sich nach einem festen Partner sehne, sagt McDavid, das sei eine «schwierige Frage». Aber seine Antwort sei: «Nein.» Er lebe mit Sven und Thorsten, sei viel in der Szene unterwegs, knüpfe gern Kontakte und wolle seine Freiheit beibehalten. Ob sich das in Zukunft ändert, liess der 31-Jährige offen.

Er reise gern und viel. Als Speaker ist McDavid in ganz Deutschland unterwegs. Und es sei ihm wichtig, anderen zu erzählen, dass man aus seinem Leben etwas machen könne, egal welche Hürden einem scheinbar in den Weg gelegt werden. «Wenn ich nur das Leben einer Person beeinflussen kann, eines Kindes, hat es sich gelohnt», so McDavid im Salon Schinkelplatz.

Konkret spielte er dabei auf seinen Jungen an, der ebenfalls ohne Beine und Arme geboren wurde und mit dem McDavid in Kontakt stehe. Der Junge sehe McDavid als sein Vorbild aus, und das mache McDavid sehr glücklich.

Im Salon Schinkelplatz mahnte er, dass Behinderte in Deutschland oft in eine Parallelgesellschaft abgeschoben werden, wo sie vor den Blicken der Mehrheitsgesellschaft versteckt bleiben: in speziellen Kindergärten, Schulen usw. (MANNSCHAFT berichtete). Er selbst finde das «sehr fragwürdig» und plädiert stattdessen dafür, Menschen mit Behinderungen so weit wie möglich in die Gesamtgesellschaft zu integrieren, ihnen zuzuhören, was ihre Ängste und Bedürfnisse sind, sich mit ihnen zu beschäftigen, als Schulkameraden, Freunden und Kollegen. Wenn man sie auf Dating-Apps trifft. Und auch als Lebenspartnern … Gerade innerhalb der LGBTIQ-Community, wo so häufig die Forderung nach mehr Inklusivität lautstark erhoben wird.

 

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Nach dem Talk mit Manuel Koch waren McDavid und sein Begleiter Sven noch lange damit beschäftigt, mit den Gästen im Studio zu sprechen. «Janis war total happy, dass wir ‹alles› besprochen haben», so Koch zu MANNSCHAFT. «Und über den Austausch auch mit den Zuschauern danach.»

Das komplette Interview kann man inzwischen online hier sehen:

Ausstellung zu Queerness und Behinderungen
Das Schwule Museum widmet sich übrigens aktuell in der Ausstellung «Queering the Crip, Cripping the Queer» dem Verhältnis von Queerness und Behinderungen. «Der Titel der Ausstellung ist eine Anlehnung an den 2003 erschienenen, bahnbrechenden Artikel ‹Queering The Crip or Cripping The Queer?› der US-amerikanischen Filmproduzentin und Autorin Carrie Sandahl, die darin herausstellte, dass queere Personen und behinderte Menschen eine Geschichte der Ungerechtigkeit teilen«, schreibt Zofia Nierodzińska diese Woche in nd.

Janis McDavid
Kurator*innen Kenny Fries, Kate Brehme und Birgit Bosold (v.l.n.r.) in «Queering the Crip, Cripping the Queer» (Foto: Patricia Sevilla Ciordia / Schwules Museum)

McDavid kommt in dieser Ausstellung nicht vor, vielleicht, weil er sich weigert, seine Situation als «Ungerechtigkeit» zu sehen. Gerade das macht ihn zu einem derart faszinierenden und überzeugenden (queeren) Motivationsspeaker.

Die Netflix-Serie «Special – Ein besonderes Leben» behandelt den Alltag eines schwulen Mannes mit körperlicher Behinderung in Los Angeles, der von der Generation Grindr komplett ignoriert wird und diese Ausgrenzung mit Humor und Selbstbewusstsein überwindet (MANNSCHAFT berichtete).


heath thorpe

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