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Gestalkt und gedemütigt: Cybermobbing über Dating-Apps

Die Ausmasse musste der 24-jährige Lukas am eigenen Leib erfahren

Cybermobbing
Lukas (24) ist Opfer von Stalking und Cybermobbing. (Bild: Screenshot Youtube: Y-Kollektiv)

Lukas‘ Leben läuft aus dem Ruder, als auf verschiedenen Dating-Apps Fake-Profile mit seinen Bildern auftauchen. Er wird gestalkt und erniedrigt, seine Handynummer wird veröffentlicht. Was das Cybermobbing mit ihm macht, hat er dem Y-Kollektiv erzählt.

Als seine Freunde ihn mit den Fake-Profilen konfrontieren, ist Lukas gerade im Urlaub. Es ist Sommer 2020, als für den heute 24-Jährigen aus Köln der Horror seines Lebens anfängt: Seine Identität wurde gestohlen, Bilder veröffentlicht und seine Handynummer und Adresse rausgegeben. Auf Plattformen wie Instagram und Dating-Apps wie Hornet, Grindr und PlanetRomeo tut jemand so, als wäre er Lukas. Mit schweren Folgen.

Denn die Profile sind keine herkömmlichen Dating-Profile. Sie tragen Profilnamen wie «Fuck me» und rufen explizit dazu auf, Lukas zuhause zu besuchen, um mit ihm Sex zu haben. Die Hashtags unter den Fake-Profilen auf Instagram reichen von #BottomBitch bis #FreeSex; sie suggerieren, dass Lukas jederzeit verfügbar ist. Auf manchen Plattformen wurden seine Adresse und Handynummer veröffentlicht, was dazu führte, dass Lukas Anrufe und anzügliche Nachrichten von fremden Männern bekam.

In den ersten drei Sekunden bist du wie einbetoniert.

In einem besonders krassen Fall, hat einer seine Wohnung aufgesucht. «Der ging in die Wohnung rein und hat angefangen, mich anzufassen», erzählt Lukas dem Reporter Nico Schmolke. «In den ersten drei Sekunden bist du wie einbetoniert». Der Mann war sich sicher, dass das so abgemacht war, schliesslich haben sie ja miteinander geschrieben. Als der Irrtum klar wird, entschuldigt er sich und rät Lukas, sich bei der Polizei zu melden. Doch wie sich herausstellt, ist das Problem leider nicht so einfach gelöst.


Wegen der Corona-Pandemie darf Lukas nicht auf die Wache. Ihm wird geraten, online Anzeige zu erstatten, er solle sich aber nicht allzu grosse Hoffnungen machen. «Da fühlt man sich wirklich im Stich gelassen», sagt Lukas. Das war im Juli 2020, im Dezember meldet sich die Polizei bei ihm und meint, sie können keinen Täter ermitteln. Sie bestätigen, dass seine Bilder illegal hochgeladen wurden, weitere Ermittlungen versprächen aber keinen Erfolg. Das ist entmutigend.

Was für Lukas folgt, sind depressive Phasen. Er zieht sich zurück und reduziert seinen Freundeskreis, da er nicht mehr weiss, wem er trauen kann. Als es ihm besonders schlecht geht, findet er sich auf einem Bahnsteig wieder. «Ich wollte mich vor den Zug werfen», erzählt Lukas. Denn: «Keiner kann mir helfen, ich werde nur angegriffen und ich kann nichts dagegen machen.» Was ihn davon abhält, sind Gedanken an seine Mutter, die das vermutlich nicht verkraften würde.

Lukas wechselt seinen Nebenjob, weil auch sein Arbeitsplatz veröffentlicht wurde und er manchmal unangenehmen Besuch erhält. Kurz nachdem die Aufnahmen mit Lukas von Y-Kollektiv gemacht wurden, wird Lukas zu einem Gespräch auf der Wache eingeladen. «Im Endeffekt haben sie gesagt, dass ich selber Schuld bin, weil ich meinen Nachnamen auf Facebook veröffentlicht habe und meine privaten Bilder hochgeladen habe», so das Fazit von Lukas.


Reporter Nico will wissen, wie schwierig es sein kann, Stalker*innen im Internet zu finden und wendet sich an die Dating-Plattform PlanetRomeo. Sven Voges vom Community Management berichtet ihm, dass die IP-Adressen von Faker*innen nur dann herausgeben werden können, wenn der Fall über Interpol an die niederländische Polizei weitergeleitet wird. Denn der Sitz von PlanetRomeo ist in den Niederlanden. Vielen Polizeidienststellen sei dieser Weg nicht klar. Voges denkt auch, dass Fälle wie der von Lukas von einigen als normales Dating-Verhalten in der schwulen Szene abgetan und deshalb nur lasch ermittelt wird.

Wer auch immer sich hinter den Fake-Profilen versteckt, muss Lukas gut kennen. Neben Namen, Adresse und Handynummer sind auch Arbeitsorte und sonstige Plätze, an denen er sich regelmässig aufhält, veröffentlicht worden. Doch auch Schwulensaunas und Cruisingplätze werden aufgeführt, auch wenn Lukas dort nie ist. Er soll damit als Schlampe dargestellt werden. Lukas denkt darum, dass sein Ex-Freund dahinter stecken könnte, auch wenn er es eigentlich niemandem zutraut.

Sein Kumpel Robert beobachtet, dass Lukas viel ruhiger und verängstigt ist. Unter dem Video von Y-Kollektiv auf Youtube erzählt er, dass er und Lukas ein schlimmes Jahr hinter sich haben. «Lukas hatte immer mehr Angstzustände und Depressionen. (…) Teilweise hatte er Angst, die Wohnung zu verlassen und überhaupt in seiner Wohnung alleine zu sein.» Lukas überlegt sich, aus Köln wegzuziehen, da er auf der Strasse erkannt und beschimpft wird. Ausserdem hat er seinen Job gekündigt und will seinen Nachnamen ändern lassen.

Die Polizei ermittelte indes immer noch nur wegen Kunst- und Urheberrechtsverletzung, da Lukas‘ Fotos verbotenerweise hochgeladen wurden. Das, obwohl in seinem Fall eine Ermittlung gegen Stalking, Rufmord und Cybermobbing eigentlich angebrachter wären und härter bestraft würden.

Dating-Apps können süchtig machen und negative Gefühle verstärken. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie der Universität Ohio, die mit 269 Studierenden durchgeführt worden war. Die Anonymität im Internet und auf Dating-Apps öffnet zudem immer wieder Tür und Tor für Gewaltverbrechen. So wurde in Grossbritannien ein 44-jähriger Mann über eine Dating-App angelockt und dann mit einer Überdosis getötet. Der Täter erhielt eine lebenslange Haftstrafe.

In den USA schwebte ein 18-Jähriger in Lebensgefahr, nachdem er von seinem Date mit mehreren Messerstichen verletzt wurde. Der mutmassliche Täter scheint ein Bewunderer des Serienmörders Jeffrey Dahmer zu sein. Mittlerweile hat sich der Teenager von seinen Verletzungen erholt.

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Brauchst du Hilfe? Wende dich in der Schweiz telefonisch an die Nummer 143 oder schreibe an die Berater*innen von Du-bist-Du.ch. In Österreich hilft die HOSI Wien (zu Büroöffnungszeiten) unter (+43) 660 2166605, das Kriseninterventionszentrum oder für LGBTIQ die psychosoziale Beratungsstelle Courage. In Deutschland gibt es die Notfall-Nummer 19446, zudem hilft u.a. der Verband für lesbische, schwule, bisexuelle, trans, intersexuelle und queere Menschen in der Psychologie, in Städten wie Köln kann man sich an Rubicon wenden.


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