Queer sind immer die anderen: Wer florenzt denn hier?
Unsere Kolumnistin reist durch die absurde Geschichte
Vom Florentiner Laster bis zum Winterthurer – seit Jahrhunderten wird Queerness fremd erklärt. Unsere Kolumnistin kontert mit Witz und Wissen – und wünscht sich endlich ein Land, das nach ihr benannt ist.
Ein Kommentar* von Mona Gamie.
Bestimmt ist Ihnen auch schon aufgefallen, liebe*r Leser*in, dass die Diktatoren und Autokraten Osteuropas – in Russland oder Ungarn zum Beispiel – in ihren homo- und transphoben Tiraden die Queerness als westliches Importprodukt darstellen.
So etwas Anrüchiges, meinen sie, gehöre nicht zu ihnen. Das müsse von ausserhalb kommen. Nun ist dieses Argument nicht nur äusserst dumm, sondern auch einfach uralt. So uralt, dass es – wäre die Lage nicht so ernst – schon fast langweilig wäre.
Lassen Sie mich erklären und Sie auf eine Geschichtsstunde mitnehmen! Oder vielleicht eher: auf eine Geografiestunde! Dass queere Lebensweisen immer den anderen in die Schuhe geschoben wurden, ist nämlich ein gängiges Phänomen, das immer mal wieder auftaucht: Im 16. Jahrhundert zum Beispiel nannte man einen schwulen Mann abwertend Florenzer oder jemanden, der florenzt. Dies, weil man nördlich der Alpen gerüchteweise gehört hatte, dass in Florenz so richtig die Post abginge.
Um 1900 wiederum sprach man in Frankreich von dem vice allemand, also dem deutschen Laster, wenn man Homosexualität meinte. Im Schweizerischen Idiotikon, dem Wörterbuch des Schweizerdeutschen, hingegen war ein Homosexueller zu dieser Zeit kein Deutscher, sondern: Winterthurer! Ob sich das wohl die Zürcher*innen ausgedacht hatten?
Der britische Offizier Richard Francis Burton indes verlagerte im 19. Jahrhundert die Queerness in den Süden: Er schrieb in den 1880er-Jahren, dass Homosexualität im südlichen Klima besonders gut gedeihe, ja sogar eine direkte Folge des wärmeren Klimas sei und nannte diese Zone – einen Landstreifen ums Mittelmeer herum – Sotadische Zone.
Seine Beobachtungen stützte er auf antike griechische Quellen und aufs Studium des Märchenbuchs von Tausendundeiner Nacht. Und zuletzt: Das Wort lesbisch – es leitete sich direkt von der griechischen Insel Lesbos ab, auf der die antike Dichterin Sappho gelebt hatte. Sappho war mit ihren homoerotischen Gedichten berühmt geworden.
Was lernen wir nun aus dieser kleinen Rundreise, liebe Leser*innen? Zwei Dinge! Erstens: Queerness den anderen in die Schuhe zu schieben, ist Quatsch. Menschen, die abseits gängiger sexueller und geschlechtlicher Normen gelebt haben, gab es schon immer und vor allem: überall.
Und zweitens: Ist Ihnen auch aufgefallen, dass noch kein Landstrich, keine Stadt, kein See oder kein Fluss nach mir benannt ist? Ein Versäumnis! Gäbe es nämlich ein Land Monagamesien oder die Stadt Monagamia, dann könnten sich deren queere Einwohner*innen stolz Monagamegass*innen oder Monagamianer*innen nennen!
Aber nun gut – vielleicht sollte ich mich zur Abwechslung einfach mal in Bescheidenheit üben und mich damit zufrieden geben, eine Drag Queen zu sein, statt mich zur Königin der Queers aufzuschwingen. Autokratische Alleinherrscher, wie ich sie zu Beginn erwähnt habe, gibt es ja ohnehin genug.
Mann, Frau Mona!
Mona Gamie: Dragqueen mit popkulturellem Schalk und nostalgischem Charme. Diven-Expertin, Chansonnière und queere Aktivistin.
[email protected] Illustration: Sascha Düvel
Weitere Beiträge von Mona gibt's in der Kolumne «Mann, Frau Mona!»
*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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