Die «mystische Vollmondmagie» von schwulem Werwolfsex
Die erfolgreichen Fantasy-Bücher des US-Bestsellerautors TJ Klune rund ums Alpha-Rudel der Familie Bennett erscheinen jetzt auch auf Deutsch
Mit grösserer zeitlicher Verzögerung erscheinen nun endlich die vielgeliebten Bücher der «Green Creek»-Reihe in Übersetzung auch bei uns. Sie laden dazu ein, sich intensiver mit dem Autor Travis John Klune zu beschäftigen.
Als der in Rosenburg, US-Bundestaat Oregon geborene TJ Klune die literarische Weltbühne betrat – das war im Jahr 2011 –, waren in seinem Debütroman «Bear, Otter, and the Kid» (dt. «Bär, Otter und der Junge») noch keine Fantasy-Elemente zu finden, die er später zu seinem Markenzeichen machen sollte. Stattdessen war sein Erstling eine MMM-Romance, also eine raffiniert erzählte Liebesgeschichte zwischen drei Männern, wobei ein zentraler Aspekt dabei das Alter und das Familienverhältnis der drei ist.
Denn: Klune beschriebt die Brüder Derrick («Bear») und Tyson («The Kid»), die sich jeweils in einen deutlich älteren Mann verlieben. Bear in den älteren Bruder seines besten Freundes, Oliver Thompson («Otter»), den er bewundert und dem er sich nahefühlen möchte, was dieser aber zuerst gar nicht bemerkt und dann vehement zurückweist, u.a. weil eine Beziehung zu einem Minderjährigen strafbar wäre.
Tyson verguckt sich derweil in den schweigsamen Dominic Miller («Dom») auf seiner Strasse, der mit niemandem redet nach einer traumatischen Erfahrung mit seinem Vater. (Der Dominics Mutter erschlagen hat, weswegen Dom jetzt bei Pflegeeltern aufwächst.) Aber er redet mit Tyson. Die beiden werden beste Freunde, und es wird schnell klar, dass hier unterschwellig sehr starke sexuelle Gefühle mitschwingen.
Anders als beispielsweise Simon James Green in seinem Buch «Sleep-Over. Take-Over» (MANNSCHAFT berichtete) beschreibt Klune die Erregung der jungen Charaktere nicht als eine vage Ahnung, für die es noch keinen wirklichen Namen gibt, sondern konkret als Begehren – er nimmt dieses homosexuelle Erwachen ernst, macht daraus jedoch keine «Lolita»-Geschichte. Keinen (Pädo-)Skandal. Keinen Tabubruch (MANNSCHAFT berichtete über das Thema). Sondern er gibt seinen jungen Figuren Zeit erwachsen zu werden (in diesem Fall 18), bevor aus den Sehnsüchten tatsächlich «mehr» wird.
Wahlfamilie vs. biologische Familie Das zweite grosse Thema, das bereits in «Bear, Otter, and the Kid» ausführlich behandelt wird, ist das der Wahlfamilie, die so viel wichtiger (und besser) ist als die biologische, besonders wenn Eltern überfordert sind mit der Erziehungsarbeit und flüchten – in Alkohol oder Drogen bzw. einfach verschwinden, weil sie mit der Verantwortung nicht klarkommen. Was bei den Kindern tiefe Schäden hinterlässt, was der Fall ist bei den McKenna-Brüdern Derrick und Tyson.
«Bear, Otter, and the Kid» ist ein zutiefst anrührendes Buch übers Überwinden von Traumata, die von einer Mutter verursacht werden, die sich aus dem Leben ihrer Jungs verabschiedet, als der eine 16 und der andere 9 ist. Die Dynamiken zwischen Derrick und dem superintelligenten Tyson greifen ans Herz, als Bruderliebe- bzw. Fürsorgegeschichte, aber auch die Darstellung, wie der ältere Oliver dazu kommt – und später der Nachbar Dominic (aus dem dann ein super-macho Polizist wird, der die Welt schützen will vor Dingen, die ihm mit seinem Vater einst selbst passiert sind).
Schon bei seinem Erstling weitete Klune den Erfolg nach und nach aus in eine grössere Buchreihe. Um genau zu sein: in vier Romane, die die Story in der sogenannten «Seafare»-Serie fortspinnen und die Perspektive wechseln (Buch 3, «The Art of Breathing»/«Die Kunst des Atmens», wird 2014 aus Sicht von The Kid erzählt, Buch 4, «The Long and Winding Road», dann 2017 wieder vom Point of View von Bear, davor kommt 2012 «Who We Are»/«Familiengründung, Artenschutz inbegriffen» als besonders tragkomisches Highlight der Serie und Must-read).
Dabei gibt es – auch dass eine seltsame Klune-Besonderheit, die sich später wiederholt in anderen Reihen – teils endlose Wiederholungen, statt echten neuen Stoff. Was auf schlechtes Editing hindeutet oder den Zwang, einen Erfolg bis zur allerletzten Neige auszumelken. Auch wenn dem Autor nichts wirklich spannendes Neues einfällt.
«How to Be a Normal Person» Ein anderes frühes Buch, das sehr persönlich und autobiografisch wirkt, ist «How to Be a Normal Person» aus dem Jahr 2915, wo ein asuexller Fantasy-Autor namens Casey in ein kleines Städtchen in Oregon zieht (auch die «Seafare»-Bücher spielen in Oregon) und da einen verschlossenen, eigenbrötlerischen Mann namens Gustavo Tiberius kennenlernt, der nach dem Tod seines geliebten Vaters in einer eigenwilligen Wahlfamilienkonstellation mit seinem Frettchen Harry S. Truman, drei alten Lesben mit Motorrädern und einer schrägen Nachbarin lebt. Hier wie in den Büchern der «Seafare»-Serie ist bemerkenswert, dass viele Probleme rund um «Gus» abgehandelt werden – Neurodivergenz, die Frage, wie man mit einem Asexuellen eine erfüllte Liebesbeziehung führen kann, was Familie wirklich bedeutet und wie man mit Verlust umgeht.
Eines jedoch ist niemals ein Problem: Homosexualität. Sie wird mit der grösstmöglichen Selbstverständlichkeit durch diese wie jede andere Klune-Geschichten gewoben. Was etwas ungemein Erfrischendes hat. Für LGBTIQ-Leser*innen, weil ihnen signalisiert wird, dass ihre Sexualität das natürlichste der Welt ist, egal was sonst alles in ihrem Leben schiefläuft, zum anderen wird Nicht-LGBTIQ-Personen im Rahmen dieser Geschichten vorgeführt, wie das problemlose Zusammenleben von homo- und nicht-homosexuellen Menschen wunderbar funktionieren sollte – damit man sich aufs Überwinden der «wirklichen» Probleme des Alltags stürzen kann. Das kann man als brillante Form von LGBTIQ-Aktivismus bezeichnen, besonders wenn die Bücher von Klune fast alle Bestseller – weltweit – sind.
In «How to Be a Normal Person» berichtet der erfolgreiche Fantasy-Autor Casey von sich, dass seine Romane – die er selbst als aberwitzig und unglaubwürdig bezeichnet – vor allem von pubertierenden Teenager-Girls verschlungen würden. Was vermutlich auch eine realistische Selbstauskunft des ebenfalls asexuellen Klune über sein Oeuvre ist. Auch, dass er davon träumt, wie bei Casey, Hollywood möge auf die Geschichten aufspringen und sie verfilmen. Was in Klunes realem Leben bisher noch nicht passiert ist, aber vermutlich nur eine Frage der Zeit ist.
Auch von «How to Be a Normal Person» mit seiner tiefbewegenden Beziehungsgeschichte zwischen Gus und Casey gab es 2019 eine Fortsetzung («How to Be a Movie Star»), die aber bei allem selbstironischen Humor und Erzähltalent Klunes so unbedeutend bzw. belanglos geriet, dass Klune die Reihe nach dem zweiten Buch abbrach. Und nicht durch alle Nebenfiguren weiterspinnt.
Dafür hat er von den Nebenfiguren in der «Seafare»-Reihe noch eine weitere Reihe gestartet, die «At First Sight»-Serie. Was dann … wirklich ein bisschen viel vom Selben ist. Muss selbst ich als Superfan konstatieren.
Warten auf Hollywood Aber Klune ist ein Vielschreiber. Und vermutlich muss er in solchen Reihen denken, um genügend Geld zu verdienen. Zumindest so lange, bis Hollywood sein Schaffen endlich auf das nächsthöhere Einkommenslevel hebt.
Bevor er das Serienprinzip mit seiner jugendlichen queeren Superheldensaga «The Extraordinaries» 2020-2023 perfektionierte, wo die drei Bände nahtlos ineinander übergehen und die Geschichte sich genial über die Einzelbücher spannend fortentwickelt (MANNSCHAFT berichtete), hat Klune auf Englisch zwischen 2016 und 2020 eine Werwolf-Saga verfasst, die er die «Green Creek»-Serie nannte, nach dem entlegenen Ort, an dem sie spielt (könnte wieder Oregon sein).
Darin geht es in Buch 1 («Wolfsong») abermals um einen Jungen, der sich schon mit zehn Jahren in einen etwas älteren Nachbarn namens Oxnard Matheson («Ox») heranschmeisst und ihn zu seinem Lebenspartner und Seelenverwandten auserwählt, was den Beifall seiner Eltern findet – auch wenn dann bis zum «Vollzug» dieser präpubertären Liebe in einer wilden Werwolfsexnacht etliche Jahre vergehen und Joe Bennett dann 18 ist. («Barely legal» würde das in Porno-Jargon heissen.)
Und auch hier erzählt Klune seine Geschichte über die verschiedenen Figuren aus dem Bennett-Familienuniversum in jedem weiteren Buch aus einer anderen Perspektive. Wobei auch hier wirklich nervtötend ist, dass es zu endlosen Wiederholungen kommt, bevor die Geschichte dann – allerdings mit wirklichem Wums – spannend weitergeht.
Prädikat «Extrem schwul» Jetzt ist diese Serie mit Verzögerung endlich auch in deutscher Übersetzung erschienen. Nach den Welterfolgen «The Extraordinaries – Die Aussergewöhnlichen» und nach «Mr. Parnassus‘ Heim für magisch Begabte». Die Bücher werden auf Deutsch allerdings mit zeitlichem Abstand auf den Markt gebracht, nachdem im Frühjahr bereits «Das Lied des Wolfes» herauskam, folgt nun im August «Das Lied des Raben», für den Herbst sind «Das Lied des Bruders» und für Anfang 2026 «Das Lied des Herzens» angekündigt.
Worum geht es? Die Green-Creek-Saga rund ums Alpha-Rudel der Familie Bennett verdient wie alle Klune-Bücher das Prädikat «Extrem schwul». Und die Art und Weise, wie die Geschichte erzählt wird, beeindruckt mit vielen popkulturellen Referenzen aufs Fantasy/Romance-Genre, was für viel Komik sorgt, besonders wenn Klune die «beschissenen, glitzernden Vampirfilme» der «Twilight»-Serie (MANNSCHAFT berichtete) aufs Korn nimmt, von denen er sich mit seinem sexpositiven Ansatz deutlich unterscheidet. Sein sprachlicher Witz überträgt sich allerdings nicht so richtig ins Deutsche. Das merkte man dem «Lied des Wolfes» an, der vom Teenageraussenseiter Ox und dem traumatisierten Kinderwerwolf Joe erzählt, die sich unsterblich ineinander verlieben und nach und nach Teil einer grossen Wahlfamilie werden.
Nun geht es im «Lied des Raben» weiter mit der männlichen Hexe Gordo und Joes Onkel Marc. Also mit zwei deutlich erwachseneren Figuren, die sich allerdings auch schon als Kinder begegneten – und zwischen denen es damals bereits heftig funkte. Sie finden Jahre später – nach vielen emotionalen Verletzungen und Enttäuschungen – wieder zueinander. Und werden zu einem Team, das die attackierten Bennetts vor der Auslöschung retten müssen.
«Gottes Ordnung der Welt» Leider ist da wiederum viel Wiederholung aus Buch 1 drin, bevor es (dann allerdings wirklich superspannend) zum Showdown mit den fanatisierten Werwolf-Jäger*innen kommt, die sich auf «Gottes Ordnung der Welt» berufen, um vermeintlich «Andersartige» zu eliminieren, deren Lebensweise sie nicht verstehen.
Auch Gordo und Marc sind ein ergreifendes Liebespaar, die die «mystische Vollmondmagie» von Werwolfsex erleben, wie jemand im Buch schmunzelnd sagt.
Teil 3 folgt im November, da geht’s dann um Joes Werwolf-Bruder Kelly und den aus Washington geschickten «Beamten» Robbie, der die Bennetts kontrollieren sollte, statt sich in einen der Söhne zu verknallen. Teil 4 erscheint im Februar auf Deutsch und erzählt vom dritten Bennett-Bruder Carter, der eigentlich hetero ist. Was bei Klune ein «eigentlich» in Anführungszeichen ist.
Klune hat es geschafft, Unterhaltungsliteratur mit wichtigen LGBTIQ*-Botschaften zu verfassen, mit spannenden Figuren, die einem als Leser*in nahegehen. Es ist bedauerlich, dass der subtile Sprachwitz, die stets mokante Erzählweise, im Deutschen nicht so richtig eingefangen wird. (Wenn man schon so viel Zeit verstreichen lässt, um die Bücher auf Deutsch rauszubringen, dann könnte man auch perfektere Übersetzungen hinkriegen, oder?)
Konkurrenz weit abgehängt Auf alle Fälle steht Klune mit seinen Fantasy- ebenso wie mit seinen Male-Male-Romances weit – sehr weit! – über dem, was die Mehrzahl der deutschsprachigen Autor*innen in den Bereichen zu bieten haben. Was oft wie ein bemühter, aber harmloser Abklatsch von anglo-amerikanischen Vorbildern wirkt. Zumindest ist das mein Eindruck (MANNSCHAFT berichtete).
Auch Klune recycelt viel, aber er tut dies bewusst und nutzt es für humorvolle Auseinandersetzungen mit den berühmten Vorbildern. Und: Er hat niemals Angst vor sexuell deutlichen Darstellungen, die sich immer real anfühlen, was man besonders im MM-Romance-Bereich bei vielen heterosexuellen weiblichen Autorinnen nicht sagen kann, die schwulen Sex beschreiben, als hätten sie die Details aus irgendeinem Ratgeberbuch abgeschrieben. Was meist unfreiwillig komisch ist, aber auch zutiefst nervig. Mir geht es jedenfalls so. Weil man merkt, dass die Autorinnen von der Welt, die sie da beschreiben wollen, keine Ahnung haben. Was man von Klune niemals behaupten kann.
Auf die Netflix- oder Amazon-Prime-Studios-Version der «Green Creek»- und «Seafare»-Serien wird man wohl noch warten müssen. Aber immerhin tauchen immer wieder Gerüchte auf, dass der Roman «The House in the Cerulean Sea» (also «Mr. Parnassus‘ Heim für magisch Begabte») verfilmt werden soll und sich in der Hollywood-Entwicklung befinde.
Bis dahin kann man sich in den schier unendlich vielen Klune-Titeln weiter verlieren. Und obwohl mich persönlich irgendwann die endlos ausgewalzte Saga der Werwölfe – wegen der Wiederholungen – entnervt hat, entwickelt Klune einen solchen Sog mit seinen einprägsamen Geschichten/Charakteren, dass ich doch immer wieder zurückgekehrt bin, um weiterzulesen. Nach einer Verschnaufpause. Insofern ist die Entscheidung des Heyne-Verlags, die deutsche Ausgabe mit zeitlich grösseren Abständen auf den Markt zu bringen, vermutlich sehr clever.
Jannik Schümann startet Ende August einen Buchclub-Podcast und stellt seine Lieblingstitel vor (MANSCHAFT berichtete).
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