Sex mit einem schwulen Superhelden: TJ Klunes «Extraordinaries»
Der US-Autor behandelt in seiner Romantrilogie das Superhelden-Genre erfrischend queer
Keine Frage: Der Anblick von supermuskulösen superheissen Superheld*innen in hautengen Outfits kann die sexuelle Fantasie der Betrachtenden schon stark stimulieren.
Bekanntlich belassen es die Comic-Giganten Marvel und DC meist bei solcher Stimulation, denn tatsächlichen Sex haben ihre Superheld*innen selten, schon gar keinen queeren. Ausnahmen bestätigen die Regel, das Schwule Museum Berlin zeigte diese 2016 in der Ausstellung «Superqueeroes». Damals wurde klar, dass explizit queerer Sex gern in sogenannten Paralleluniversen und Sonderreihen verlegt wird, damit der heterosexuelle Mainstream nur ja nicht «irritiert» werden könnte.
Um ihrer Fantasie trotzdem freien Lauf zu lassen und homoerotisch aufgeladene Gedanken rund um Superheld*innen – in Wort und Bild – mit anderen zu teilen, hat sich schon lange eine blühende Fan-Fiction-Kultur etabliert. Wo all das stattfindet, was Marvel und DC nicht zeigen wollen (MANNSCHAFT berichtete). Einer, der selbst früh entsprechende FF-Geschichten schrieb, war der US-amerikanische Erfolgsautor TJ Klune. Er schaffte mit «Mr. Parnassus Heim für magisch Begabte» 2020/21 den Durchbruch auf dem internationalen Fantasy-Buchmarkt und etablierte LGBTIQ-Themen in diesem Bereich mit grösstmöglicher Selbstverständlichkeit. Was viele überraschte.
Hormone auf Schleudergang Jetzt ist seine erste (und bislang einzige) schwule Superheld*innentrilogie in deutscher Übersetzung erschienen: «The Extraordinaries: Die Aussergewöhnlichen». Sie basiert teils als Klunes eigenen alten FF-Texten, adaptiert, so dass sie nun um einen Jungen namens Nick kreisen, der als 16-Jähriger mit Hormonen auf Schleudergang total verknallt ist in Shadow Star, den verboten-attraktiven Helden, der seine Stadt schützt. Gleichzeitig findet Nick aber auch den vermeintlichen Bösewicht und Shadow-Star-Gegenspieler Pyro Storm ziemlich geil (wegen dessen Oberschenkeln). Er träumt davon, seine Helden/Antihelden zu küssen. Und noch weit mehr mit ihnen zu tun. Was Klune minutiös beschreibt.
Gleichzeitig sind da Nicks bester Schulfreund Seth, bisexuell, bei dem sich Nick lange weigert, «mehr» zu sehen, als er sich eingestehen möchte, denn gleichzeitig ist da noch sein Ex Owen, ebenfalls in der Schule, der einen Men’s Health-artigen Körper hat und von dem Nick noch immer fantasiert. Auch wenn Owen ein Arschloch ist, mit dem er die toxische Beziehung beendet hat. Aber zwischen beiden bleibt eine «Verbindung». Die von beiden Seiten gepfelgt wird.
Als eine Art roter Faden gibt Nicks alleinerziehender Vater – der bei der Polizei arbeitet – ihm wiederholt lange Lektionen zum Thema Safer Sex, die Nick total peinlich sind. Cringe pur. Die aber schlussendlich auf die grosse Liebe und Fürsorge des Vaters zurückzuführen sind, die Nick auch als solche erkennt. Warum der Vater die Superhelden-Obsession seines Sohns gar nicht gut findet, erklärt sich nach und nach in Band 2 und 3.
Die lesbischen Freundinnen Gibby und Jazz In diesem ohnehin schon maximal queeren Umfeld tauchen noch die beiden besten lesbischen Freundinnen von Nick und Seth auf, Gibby und Jazz. Und irgendwann auch immer mehr Superheld*innen, die das ganze LGBTIQ-Spektrum abdecken.
Erfrischenderweise hat hier niemand weit und breit ein Problem mit Nicht-Heterosexualität. Stattdessen geht es um unendlich viele andere Themen. Zum Beispiel um Nicks ADHS-Verhaltensstörung (die Klunes Hauptfigur mit ihrem Schöpfer teilt). Klune zeigt einfühlsam, was das für einen Teenager und für erste Liebesbeziehungen bedeutet, neurodivers zu sein (MANNSCHAFT berichtete). Und er tut dies ohne Triggerwarnungen (wie M A. Wardell in seinen Büchern, die leider noch nicht auf Deutsch erschienen sind), sondern schildert, wie man damit souverän leben kann. Ja, ADHS sogar zur eigenen «Superkraft» machen kann. Auch das hat etwas ungemein Erfrischendes.
Ansonsten werden viele Klischees aus vertrauten Superheld*innengeschichten bewusst aufgegriffen und queer gegen den Strich gebürstet, was teils extrem komisch zu lesen ist. Man muss ganz grundsätzlich konstatieren, dass Klune ein perfektes Gefühl für Pointen und Comedy hat, die aber immer liebevoll mit den Figuren umgeht. Dabei werden grosse Themen wie Rassismus, soziales Gefälle, Bullying, Konflikte mit bzw. Verlust von Eltern, mörderischer Erwartungsdruck usw. auf empowernde Weise angegangen. Und: Immer mit Humor und Leichtigkeit. Dabei werden Grauzonen ausgelotet, weil eben niemand nur gut oder nur böse ist, sondern es immer zwei Seiten gibt. Mindestens.
Unterhaltsame Plot-Twists Es ist unmöglich auf den Inhalt der gesamten Trilogie einzugehen, weil man dann die wirklich abenteuerlichen und unterhaltsamen Plot-Twists spoilern würde. Und das wäre unverzeihlich. Weil Klune es schafft, über alle drei Bände hinweg immer wieder zu überraschen, besonders dann, wenn man denkt, man wüsste, was jetzt kommt. Am Ende von jedem Buch gibt’s eine Art Zusatzkapitel (nach der Danksagung), das die Brücke zum nächsten Buch schlägt. Und mit einem Mal eine ganz neue Sichtweise eröffnet, die alles Voerherige in Frage stellt.
Ist er vielleicht ein «Power Bottom»?
Ein bemerkenswerter zweiter roter Faden im Buch ist, quasi als Pendant zu den Safer-Sex-Lektionen des Vaters, dass Nick natürlich trotz aller väterlicher Warnungen nonstop von Sex mit seinem Superhelden träumt und zwar so, wie er das aus Pornos kennt. Er fragt sich wiederholt, ob er dafür bereit sei, das akrobatisch durchzuspielen, was ihm in entsprechenden Filmen (und seiner eigenen Fan Fiction) als Ideal vorgegaukelt wurde. Unter anderem fragt er sich in Band 2, ob er Top oder Bottom sei. Oder vielleicht «Power Bottom» – weil er ja selbst Superheld sein will, mit «Superpowers»? Das führt zu einer der grandiosesten Szenen in der ganzen Trilogie, als sein Vater auf Nicks Laptop die Suchergebnisse zum Thema Power Bottom (MANNSCHAFT berichtete) findet und darauf auf höchst unverhoffte Weise reagiert. Als es dann irgendwann (endlich) passiert, also der Analsex, von dem Nick so lange geträumt hat, schafft es Klune, diesen zu einem echten Ereignis zu machen, bei dem man vor Lachen fast vom Stuhl fällt. Weil’s so Herzerwärmend anders ist, als alles was sich Nick jemals hätte ausmalen können.
Anders als in Serien wie «Heartstopper» hat hier niemand Angst davor Sex zu haben, sondern Klunes diverse Teenager wollen experimentieren, sich miteinander ausprobieren, und akzeptieren auch, dass nicht immer alles gleich so funktioniert, wie sie es sich erhofft hatten. Aber sie lernen daraus. Auch das hat etwas ungeheuer Erfrischendes. Man könnte auch sagen: Lebensnahes und Lebensbejahendes.
In einem Interview sagte Klune jüngst: «Fan-Fiction ist nicht nur ein Ort, an dem aufstrebende Autoren ihr Handwerk perfektionieren können, sondern auch ein Ort, an dem sich queere Menschen in Geschichten einbauen können.» Beim Heyne Verlag kommen aktuell die drei Bände der «Extaordinaries»-Reihe sukzessive auf Deutsch heraus (auf Teil 3 muss man noch bis zum 11. September warten). Die Hörbuchversion hat Julian Horeyseck eingelesen. In den USA sind die drei Bücher längst in den Bestsellerlisten der New York Times gelandet. Ob es eine Verfilmung geben wird, hat Klune bzw. der Verlag nicht verraten, die Geheimnistuerei deutet jedoch darauf hin, dass Verhandlungen laufen könnten.
Im Herbst erscheint übrigens mit «Jenseits des Ozeans» die Fortsetzung des LGBTIQ-Bestsellers «Mr. Parnassus Heim für magisch Begabte».
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