«Werwolf von Hannover»: Vor 100 Jahren starb Fritz Haarmann

Der Kopf des schwulen Serienmörders wurde erst im Jahr 2015 bestattet

Eine nachgebaute Zelle mit einem Foto von Fritz Haarmann im Polizeimuseum Niedersachsen
Eine nachgebaute Zelle mit einem Foto von Fritz Haarmann (Bild: dpa)

Am 15. April vor 100 Jahren wurde Fritz Haarmann in Hannover hingerichtet. Er war einer der brutalsten schwulen Serienmörder des 20. Jahrhunderts.

In die Geschichte eingegangen ist der Fall nicht nur aufgrund der Grausamkeit seiner Taten, sondern auch als Beispiel für zweifelhafte Spitzel- und Verhörmethoden seitens der Polizei. Seine Geschichte beschäftigt die Menschen bis heute. Triggerwarnung: Dieser Text enthält Beschreibung von brutaler Gewalt.

Nach dem Ersten Weltkrieg spiegelt sich die Spaltung der Gesellschaft auch im Stadtbild Hannovers. Das Besitzbürgertum – Bauunternehmer, Fabrikbesitzer, Bankiers – residiert in den «guten Gegenden» der Stadt. Ganze Villenviertel mit parkähnlichen Gärten künden von einem angenehmen Leben ihrer Bewohner. Sie stehen in krassem Gegensatz zur Ärmlichkeit der Bauten und des Lebens in den sozialen Brennpunkten, wie etwa der Leine-Insel in der Altstadt, der Calenberger Neustadt und dem Viertel «hinterm Bahnhof».

Dort haust das sogenannte «Proletenpack» unter menschenunwürdigen Bedingungen: Arbeiter, Tagelöhner, alleinerziehende Kriegswitwen. Die Backsteinhäuser sind schwarz von Deisterkohle, die Tuberkulose breitet sich aus, und die Prostitution bleibt oft die einzige Möglichkeit, sich finanziell über Wasser zu halten. Der jüdische Kulturphilosoph Theodor Lessing beschrieb die schwierigen Lebensverhältnisse in den Elendsvierteln seiner Heimatstadt 1925 eindringlich: «Die aus dem Krieg übrig gebliebene Jugend hatte die Lehre begriffen, dass man um eines Rockes, um ein paar Stiefel willen den Feind töten darf. Und Feind ist jeder andere.»

Friedrich Heinrich Karl Haarmann, geboren am 25. Oktober 1879 in Hannover und von Beruf Altkleiderhändler, war einst vor seinem prügelnden Vater aus der Altstadt geflohen. Nachdem er im Alter von 25 Jahren bereits zehn Jahre Zuchthaus wegen Diebstahls, Betrugs, Unterschlagung, Körperverletzung und sexuellem Missbrauch hinter sich hatte und längere Zeit in psychiatrischen Kliniken eingesperrt war, begann in der Gegend um den Hauptbahnhof seine eigentliche kriminelle Karriere.

Niedersachsen, Nienburg (Weser): Die Lichtbildmappe in der Mordsache Fritz Haarmann wird im Polizeimuseum Niedersachsen gezeigt
Die Lichtbildmappe in der Mordsache Fritz Haarmann wird im Polizeimuseum Niedersachsen gezeigt (Bild: Sina Schuldt/dpa)

In den Jahren 1918 bis 1924 tötete er mindestens 24 Kinder und junge Männer zwischen zehn und 22 Jahren in sexueller Ekstase zumeist mit einem Biss in den Adamsapfel. Nachdem er seine «Pupenjungs» – wie er sie nannte – skalpiert, ausgeweidet und fein säuberlich zertrennt hatte, verbrannte er sie oder warf sie in die Leine. 1924 fand man beim Angeln am Hohen Ufer mehrere Schädel. Lange schenkte die Polizei den Gerüchten keine Aufmerksamkeit. Als aber immer mehr junge Männer vermisst wurden, suchte sie Fritz Haarmann in seiner Dachkammer in der Roten Reihe auf. Es zeigte sich, dass Fussboden und Wände von Menschenblut durchtränkt waren. 

Sein Spitzname war «Vampir» oder «Werwolf von Hannover»

Um Haarmann ein Geständnis zu entlocken, stellte man in der Zelle des abergläubischen Delinquenten präparierte Schädel seiner Opfer auf; hinter den mit rotem Papier bestückten Augenhöhlen brannte eine Kerze. Zusätzlich stattete man die Zelle mit einem Sack aus, der die Gebeine der Ermordeten enthielt. Haarmann sollte glauben, dass ihn die Seelen der Toten heimsuchten. Doch geständig wurde er erst, als man ihn bei Verhören folterte, ihm unter anderem in die Genitalien trat. Erst seit dem Jahr 1960 ist von den zweifelhaften Methoden der damaligen Hannöverschen Justiz.

Im Laufe der Ermittlungen wurde die Vermutung laut, der sogenannte «Vampir» oder «Werwolf von Hannover» sei als Spitzel in Diensten der Polizei unterwegs gewesen; daher sei ein Zugriff erst relativ spät erfolgt. Der Journalist und Autor Kurt Tucholsky nahm im August 1924 in der Wochenzeitschrift Weltbühne Stellung zu diesem Fall, aus dem er auf das korrupte Polizei- und Justizwesen der Weimarer Republik schloss.

Er schrieb: «Dass deutsche Richter niemals die Grundlagen eines Polizeiprotokolls prüfen, sondern dass diese dunkle Brühe ohne Sieb durch die Kanäle der Staatsanwaltschaften läuft, vor den Richter, dem sie klar wie dicke Tinte erscheint, das zwingt neben andern Gründen immer und immer wieder dazu, die Urteile, die von deutschen Gerichten in politischen Strafprozessen – und ganz besonders in Landesverratsprozessen – gefällt werden, mit dem äussersten Misstrauen zu betrachten und aus den Ansichten des Gerichts keinerlei Rückschlüsse auf die tatsächlichen Vorgänge zu ziehen.»

«Die Knochen sollen alle mit mir beerdigt werden und alle Welt soll noch in tausend Jahren von mir sprechen.»

Fritz Haarmann

Fritz Haarmann wurde am 19. Dezember 1924 zum Tode verurteilt, 24 Mal. Am 15. April 1925 wurde er im Hof des hannoverschen Gerichtsgefängnisses durch das Fallbeil hingerichtet. Angeblich hat er sich seine Henkersmahlzeit zweimal bringen lassen. Schon während des Prozesses wünschte er sich folgenden Grabtext: «Zum ewigen Andenken an den Massenmörder Fritz Haarmann und seiner Opfer. Die Knochen sollen alle mit mir beerdigt werden und alle Welt soll noch in tausend Jahren von mir sprechen.»

Dieser Wunsch wurde ihm nicht erfüllt. Stattdessen finden Spaziergänger noch heute ein Ehrengrab für seine Opfer auf dem historischen Stadtfriedhof in Hannover-Stöcken. Die Eltern hatten es der Stadt 1928 nach jahrelangem Ringen abgetrotzt, durften das Wort «ermordet» allerdings nicht auf den Stein meißeln lassen. Erst im Jahr 1975 starb in Hannover Haarmanns ehemaliger Zuhälter und mutmasslicher Geliebter Hans Grans, den er mit den Kleidern der Vermissten ausgestattet hatte.

Wie es der Teufel will, wurde Grans eine fragwürdige Ehre zuteil: Haarmann selbst rettete das Leben. Denn auch gegen Grans wurde zunächst in Hannover zum Tode verurteilt, wegen Anstiftung zum Mord. Dann aber verfasste Fritz Haarmann ein Schreiben, in dem er die Verantwortung für sämtliche Morde auf sich nahm. Bei der Wiederaufnahme des Prozesses wurde das ohnehin umstrittene Urteil gegen Grans in eine zwölfjährige Haftstrafe umgewandelt. 

Das mutmaßliche Tatwerkzeug von Fritz Haarmann
Das mutmassliche Tatwerkzeug von Fritz Haarmann (Bild: dpa)

Im Jahr 1996 brachte Romuald Karmakar sein Kammerspiel „Der Totmacher» in die Kinos. Hauptrolle: Götz George. Die Rolle als Serienmörder in Hannover geriet für ihn zu einem der grössten Triumphe seiner Karriere. Zum Massenthema taugte Haarmann aber nie. 2004 druckten die hannoverschen Stadtwerke in ihrem Kundenmagazin ein Würfelspiel namens «Die Haarmann-Schleife» ab, worauf die Ausgabe eingestampft werden musste. Ebenso zog die Hannover Marketing und Tourismus GmbH 2007 einen Adventskalender zurück, auf dem der dunkle Sohn der Stadt mit Beil abgebildet war.

Das makaberste Vermächtnis Fritz Haarmanns jedoch befand sich bis vor einigen Jahren in Göttingen. In der dortigen Universität wurde der abgetrennte Kopf des wohl berüchtigtsten Serienmörders des 20. Jahrhunderts fast 90 Jahre lang aufbewahrt. Wie das Göttinger Tageblatt berichtete, wurde das Präparat nach jahrelangen Kontroversen über seinen Verbleib verbrannt und im Januar 2015 anonym bestattet. 

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