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Holocaust-Überlebende: Alle Opfergruppen verdienen Anerkennung

Die AfD sieht keinen Grund, sich im Jahr 2023 für Nazi-Verbrechen gegen Homosexuelle zu entschuldigen

Nationalsozialismus
Eine Inschrift zum Gedenken an die Verfolgung von Homosexuellen während des Nationalsozialismus (Foto: picture alliance / dpa)

Die Holocaust-Überlebende Rozette Kats hat dazu aufgerufen, alle Opfergruppen des Nationalsozialismus gleichermassen anzuerkennen.

«Jeder Mensch, der damals verfolgt wurde, verdient achtungsvolle Erinnerung», sagte die 80 Jahre alte Niederländerin am Freitag bei einer Gedenkstunde des Bundestags für die Opfer des Nationalsozialismus.

In ihrer emotionalen Rede bezog sich Kats unter anderem auf Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität von den Nationalsozialisten verfolgt wurden und im Mittelpunkt der Gedenkfeier standen. Unter anderem Homosexuelle wurden von den Nazis massiv verfolgt nach Gesetzen, die noch lange Jahrzehnte auch in der Bundesrepublik galten.

Opfer Nationalsozialismus
Rozette Kats im Deutschen Bundestag (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Kats zufolge war es bei vergangenen Gedenkveranstaltungen jedoch teilweise unerwünscht, an homosexuelle Opfer zu erinnern. Sie halte das für falsch. «Wenn bestimmte Opfergruppen gar als weniger wertvoll als andere angesehen werden, dann bedeutet das am Ende nur eins – dass die nationalsozialistische Ideologie weiterlebt und leider bis heute weiterwirkt», mahnte die sichtlich bewegte 80-Jährige.


AfD-Politiker stellt Gedenkveranstaltung in Frage
Am Donnerstag sagte hingegen der AfD-Abgeordnete Stephan Brandner im Bundestag, es sei unklar, was «dieser Bundestag» mit der Verfolgung von Homosexuellen in der NS-Zeit zu tun habe und wofür man sich «im Jahr 2023» eigentlich entschuldigen solle. Zudem arbeitete sich Brandnerin seiner Rede an Magnus Hirschfeld als «Eugeniker und Sozialdarwinist mit widerlichen Phantasien und Plänen» ab.

Der SPD-Politiker Jan Plobner beklagte hingegen die «Kontinuität der Verfolgung queerer Menschen» und erinnerte an das Schicksal von Karl Gorath, dessen Biografie sich der Schauspieler Jannik Schümann in der Gedenkstunde am Freitag zuwenden wird (MANNSCHAFT berichtete).

Jannik Schümann
Der Schauspieler Jannik Schümann in Berlin-Mitte (Foto: Jens Kalaene/dpa)

Gorath wurde 1946 von dem gleichen Richter verurteilt, der ihn bereits 1938 nach dem Paragrafen 175 zu Zuchthaus verurteilt hatte. Er «schäme sich so sehr» dafür, auch für die «erschreckende Kontinuität» im Wegdrängen queerer Menschen aus dem Gedächtnis, so Plobner.


«Schwulsein gilt bei NS-Opfern bis heute als ehrenrührig»
Schümann sagte zur Berliner Zeitung, dass der Text, der er vorlesen werde, von Lutz van Dijk geschrieben wurde, der Gorath persönlich kannte. «Seine Lebensgeschichte ist einfach so tragisch, dass man schon verstehen kann, warum sie ausgesucht wurde», so Schümann. «Ich finde den Text wunderschön. (…) Gorath und van Dijk sind 1989 mit einer Gruppe von Homosexuellen nach Auschwitz gereist, um dort unter anderem nach Zeugnissen von Paragraf-175-Häftlingen zu suchen.» Schümann sagte auch, dass sein Freund am Freitag im Bundestag dabei sein werde – «als emotionale Stütze».

Neben Schümann einnerte die Schauspielerin Maren Kroymann im Bundestag auch an die Lebensgeschichten von verfolgten Lesben, konkret an Mary Pünjer.

Maren Kroymann
Maren Kroymann, Schauspielerin, Kabarettistin und Sängerin (Foto: Andreas Arnold/dpa)

«Liebe Mary Pünjer, eigentlich solltest du hier stehen und berichten», sagte Kroymann, die sich 1993 als lesbisch outete, zu Beginn ihrer Rede. Doch Pünjer, die Jüdin war, kann nicht berichten – sie wurde wegen «lesbischen Verhaltens» angeklagt und 1942 in der Tötungsanstalt Bernburg (Saale) in Sachsen-Anhalt ermordet.

Auf die Ausgrenzung der homosexuellen Opfer des NS-Terrors durch jüdische KZ-Überlebende hatte zuletzt in grossem Rahmen die Ausstellung «Homosexualität_en» im Deutschen Historischen Museum in Berlin mit einer eigenen Abteilung hingewiesen. Später verwies die Historikerin Anna Hájková darauf, dass KZ-Überlebende sich weigerten, einen Aufruf in einem Newsletter zu veröffentlichen, in dem Hájková nach Menschen suchte, die Informationen zum schwulen Paar Jan Mautner und Fredy Hirsch hätten, zu denen sie forscht. «Schwulsein gilt bei NS-Opfern bis heute als ehrenrührig», schrieb 2018 der Tagesspiegel.

Umso wichtiger jetzt das öffentliche Statement von Kats.

Paragraf 175
Zur Erinnerung: Mehr als ein Jahrhundert lang sind homosexuelle Männer in Deutschland unter dem Strafrechtsparagrafen 175 verfolgt worden. Seit 1871 wurde im Deutschen Reich «widernatürliche Unzucht» zwischen Männern mit Gefängnisstrafen bedroht. Unter den Nationalsozialisten wurde der Paragraf noch einmal verschärft. Nach Angaben des Lesben– und Schwulenverbands gab es in der Nazi-Diktatur bis 1945 an die 50’000 Verurteilungen.

§175
Der Spiegel-Cover von 1969, zur Änderung des §175 (Foto: Der Spiegel)

In der Bundesrepublik galt die Regelung aus Zeiten der Diktatur bis 1969 unverändert weiter. Die DDR kehrte dagegen zur Fassung der Weimarer Republik zurück, hier wurde der Paragraf 175 im Jahr 1968 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. An seine Stelle trat der Paragraf 151, der für homosexuelle Handlungen ein höheres Schutzalter als für heterosexuelle Kontakte vorsah.

Dieser hatte bis zum Sommer 1989 Bestand – kurz vor Fall der Mauer wurde die Sonderregelung für Schwule aus dem Strafrecht gestrichen. Auch in Westdeutschland galten besondere Schutzrechte für Jugendliche, sexuelle Handlungen unter erwachsenen Männern waren aber nicht mehr strafbewehrt. Im vereinigten Deutschland dauerte es aber noch bis 1994, bis der berüchtigte Paragraf gestrichen wurde.

Im Kinofilm «Grosse Freiheit» spielt Franz Rogowski einen schwulen Mann, der erst von den Nazis ins Gefängnis gesteckt wird und dann in der Nachkriegszeit immer wieder neu verurteilt wird wegen seiner Homosexualität (MANNSCHAFT berichtete).

 


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