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Ganz schön queer, das Filmjahr 1994

Kultstreifen wie «Mrs. Doubtfire» und «Philadelphia» werden nun 30

Der bewegte Mann
«Der bewegte Mann» (Foto: Neue Constantin Film)

Tarantinos «Pulp Fiction» gewinnt die Goldene Palme in Cannes und bei den Oscars räumt Spielbergs «Schindlers Liste» ab – 30 Jahre ist 1994 jetzt her. Ist es das beste Filmjahr der Geschichte? Jedenfalls war es recht queer.

Von: Gregor Tholl, dpa

Vor drei Jahrzehnten kamen einige Meisterwerke ins Kino. Glaubt man der Liste der bestbewerteten Filme in der Filmdatenbank IMDb (Internet Movie Database, die global wohl massgeblichste Filmbewertungsstelle), so könnte man 1994 sogar als das beste Filmjahr überhaupt betrachten. Denn: In den Top Ten ist es das einzige Produktionsjahr, das zweimal vorkommt – mit dem Gefängnisfilm «Die Verurteilten» und dem Gangsterfilm «Pulp Fiction».

In den deutschen Kinos mit Abstand am erfolgreichsten war vor 30 Jahren der Disney-Zeichentrick «Der König der Löwen». Wichtige Kultfilme waren ’94 beispielsweise auch Ben Stillers «Reality Bites – Voll das Leben» mit Winona Ryder und Ethan Hawke, Ang Lees «Eat Drink Man Woman», Danny Boyles «Kleine Morde unter Freunden» sowie Krzysztof Kieslowskis «Drei Farben – Weiss» und «Drei Farben – Rot».


Eine Auswahl kleiner und grosser Meisterwerke von 1994:

«Philadelphia»: Er war der erste grosse Hollywoodfilm, der sich kritisch mit dem gesellschaftlichen Umgang mit Aids-Erkrankten und Homosexuellen in den USA auseinandersetzte. Tom Hanks wurde 1994 für seine Rolle in dem Film über einen homosexuellen Rechtsanwalt, der an AIDS erkrankt ist, mit einem Oscar als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet. Heute würde er die Rolle nicht mehr spielen wollen. «Könnte ein Heterosexueller das, was ich in ,Philadelphia‘ gemacht habe, heute tun? Nein, und das zu Recht», sagte Hanks vor eineinhalb Jahren (MANNSCHAFT berichtete).


«Der bewegte Mann»: Erfolgreichster deutscher Kinofilm war 1994 die Verwechslungskomödie «Der bewegte Mann» von Sönke Wortmann. Sie beruht auf Comics von Ralf König, die eigentlich Homos und Heteros karikieren. In der Komödie dominieren dann doch eher die Schwulenklischees. Der Film war der Durchbruch für Til Schweiger. An seiner Seite sind Katja Riemann, Joachim Król, Rufus Beck und Armin Rohde zu sehen. Ralf König sagte später über den Hauptdarsteller und dessen damals beginnende Karriere: «Ich möchte nicht schuld sein an Til Schweiger.» (MANNSCHAFT+)
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«Vier Hochzeiten und ein Todesfall»: In der britischen Liebeskomödie spielen – für damalige Verhältnisse recht lässig – das schwule Paar Gareth und Matthew sowie ein Gehörloser recht wichtige Rollen. Am Ende küssen sich Andie MacDowell und Hugh Grant im strömenden Regen und MacDowells Figur Carrie fragt Charlie: «Regnet’s noch? Ich hatte es gar nicht bemerkt.» (Is it still raining? I hadn’t noticed). Für manche ist das eine der romantischsten Szenen der Filmgeschichte, für andere die schlechteste Dialogzeile aller Zeiten.
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«Mrs. Doubtfire»: Seit der Scheidung läuft nichts mehr wie vorher. Daniel Hillard (Robin Williams) vermisst seine Kinder, und Mama Miranda (Sally Field) weiss nicht, wie sie Beruf – sie ist erfolgreiche Innenarchitektin – und Kids unter einen Hut kriegen soll. Als sie per Anzeige eine Haushälterin sucht, sieht Daniel seine Chance gekommen: Mithilfe seines schwulen Bruders mutiert der chaotische Stimmenimitator im Nu mit viel Schminke und Latex zur resoluten Mrs. Doubtfire, bewirbt sich – und bekommt den Job.

Und sonst?

«Die Verurteilten»: In den Top 250 der IMDb belegt der Film seit 2008 den ersten Platz. Der Film von Frank Darabont beruht auf einer Stephen-King-Geschichte mit dem Titel «Hope Springs Eternal: Rita Hayworth and Shawshank Redemption» (deutscher Titel: «Frühlingserwachen: Pin-up»). Ein Poster von Hollywoodstar Hayworth hat eine relevante Rolle in der Handlung. Der Originaltitel des Films, der auf eine Schlusspointe zuläuft, lautet «The Shawshank Redemption». In dem Drama geht es um die tiefe Freundschaft zweier Gefängnisinsassen (gespielt von Tim Robbins und Morgan Freeman) – und allgemein um Hoffnung.
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«Pulp Fiction»: Chuck Berrys «You Never Can Tell»: Die Tanzszene der Figuren Vincent und Mia (John Travolta und Uma Thurman) mit dem Handzug zweier Finger in Augenhöhe ging in die Filmgeschichte ein. Der groteske Gangsterfilm von Quentin Tarantino war ein Kritikerliebling. Das Werk mit seinen lakonischen Dialogen gewann in Cannes die Goldene Palme. Die schwarze Komödie wartet mit Darstellern wie Samuel L. Jackson, Bruce Willis und Harvey Keitel auf. Die gewaltvolle Handlung besteht aus drei verwobenen Episoden in Los Angeles. Die Handlung voran treibt ein Koffer, dessen Inhalt die Zuschauer nie zu sehen kriegen.
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«Forrest Gump»: Das Leben sei wie eine Schachtel Pralinen, man wisse nie, was man bekomme. Weisheiten wie diese füllen die Tragikomödie von Regisseur Robert Zemeckis («Zurück in die Zukunft»), die in Deutschland im Oktober ’94 ins Kino kam. In dem Märchen wandelt der geistig eingeschränkte Forrest unbedarft auf der Suche nach Glück durch die Zeitgeschichte. Aufsehen erregten die Szenen, in denen mittels Computertechnik Hauptdarsteller Tom Hanks in Originalaufnahmen historischer Ereignisse eingebaut wurde, zum Beispiel John F. Kennedy die Hand schüttelt. Der Film gewann 1995 sechs Oscars. Hanks bekam den zweiten Hauptdarsteller-Oscar in Folge – nach der Auszeichnung für «Philadelphia».
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«Schindlers Liste»: Deutscher Kinostart war Anfang März ’94, bei der Oscarverleihung ein paar Wochen später räumte Steven Spielbergs Holocaust-Drama mit Liam Neeson in der Hauptrolle sieben Preise ab. Im Jahr zuvor hatte Spielberg mit dem Dino-Thriller «Jurassic Park» und dessen Computeranimationen das Blockbuster-Kino auf eine neue Grundlage gestellt. Mit «Schindlers Liste» schuf er ein massgebendes Werk historischer Aufklärung, an dem auch kontrovers diskutiert wurde, ob der staatlich organisierte Völkermord an den europäischen Juden durch Nazi-Deutschland mit filmischen Mitteln überhaupt darstellbar sei.
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«Speed»: Jan de Bonts rasanter Actionfilm mit Sandra Bullock, Keanu Reeves und Dennis Hopper setzte neue Massstäbe in Sachen Spannung. Ein Bus ist mit einer Bombe präpariert, die scharf wird, wenn der Linienbus schneller als 50 Meilen pro Stunde fährt, und sie explodiert, wenn der Bus unter diese umgerechnet etwa 80 Stundenkilometer gerät. «Das Lexikon des internationalen Films» nennt den meisterhaft montierten Film einen «Höhepunkt des Actionkinos». «Nicht nur ein spannender Genrefilm, sondern ein Essay über die Essenz des Kinos: die Bewegung.»
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«Léon – Der Profi»: Der furios geschnittene Gangsterfilm von Luc Besson erzeugt einen Sog und hat einen martialischen Showdown. Es geht um die gefühlvolle Freundschaft des New Yorker Mafia-Auftragsmörders Léon (Jean Reno) mit dem zwölfjährigen verwaisten Nachbarmädchen Mathilda (Natalie Portman). Die Geschichte ist so unwahrscheinlich und unmoralisch, wie sie nur die (Alp-)Traumfabrik erschaffen kann.
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Die Top 10 an den deutschen Kinokassen 1994 (gerundete Besucherzahlen):

    1. «Der König der Löwen»: 11,3 Mio
    2. «Forrest Gump»: 7,6 Mio
    3. «Der bewegte Mann»: 6,6 Mio
    4. «Flintstones – Die Familie Feuerstein»: 6,3 Mio
    5. «Schindlers Liste»: 6,1 Mio
    6. «Mrs. Doubtfire – Das stachelige Kindermädchen»: 5,6 Mio
    7. «Vier Hochzeiten und ein Todesfall»: 4,6 Mio
    8. «Free Willy – Ruf der Freiheit»: 3,4 Mio
    9. «Philadelphia»: 3,3 Mio
    10. «Die nackte Kanone 33⅓»: 3,3 Mio

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