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Frankfurt: Ein «Safe House» für queere Geflüchtete

LGBTIQ wagen in Flüchtlingslagern oder Gemeinschaftsunterkünften oft kein Coming-out und müssen dort in Angst leben

Irak
Eine Gruppe junger Menschen aus dem Irak (Symbolfoto: Levi Meir Clancy / Unsplash)

Hessen gehört zu jenen Bundesländern, die besondere Angebote für queere Geflüchtete haben. Denn eine sichere Zuflucht ist eine wichtige Voraussetzung für ein selbstbewusstes Leben, schreibt Eva Krafczyk.

Wer in einem neuen Land ein neues Leben beginnt, womöglich ganz ohne Sprach- und Ortskenntnisse, ist meist froh, in der Fremde auf Landsleute zu stossen. Für queere Geflüchtete gilt das nicht. (MANNSCHAFT berichtete über «Im Dazwischen leben», ein Bildband über queere Geflüchtete.)

Menschen, die etwa ihre Homosexualität oder trans Identität in den Herkunftsstaaten aus Angst um Leben und Unversehrtheit verstecken mussten, wagen auch in Flüchtlingslager oder in Gemeinschaftsunterkünften kein Coming-out.

Die Ängste sind nicht unbegründet, wie die Armenierin Meri Petroschian kürzlich auf einer Fachtagung in Frankfurt berichtete. Zweimal habe sie die Unterkunft wechseln müssen. «Ich wurde angespuckt, beleidigt», sagte sie. Das Sicherheitspersonal der Unterkunft hätte Schlimmeres verhindert.


Rainbow Refugee Support
Doch nicht immer sind Sicherheitsleute, Betreuer*innen oder Helfer*innen rechtzeitig zur Stelle, weiss Knud Wechterstein vom Beratungsnetzwerk Rainbow Refugee Support. Er kennt Berichte über queere Geflüchtete, die angegriffen oder zusammengeschlagen wurden, von Vergewaltigungen, psychischem Druck, dem Versteckspiel und der Angst, als «anders» erkannt zu werden. (MANNSCHAFT berichtete über den Film «Allah weiss, dass ich schwul bin», der vom Geflüchteten Hadi aus dem Libanon erzählt.)

Sicherheit und eine Möglichkeit, endlich sie selbst sein zu können, finden queere Geflüchtete, die meisten von ihnen schwule junge Männer, in «La Villa», einem sicheren Haus in Frankfurt. Die Stadt richtete das Safe House Anfang April 2018 ein. Es ist das einzige dieser Art in Hessen.

Elke Voitl
Die Frankfurter Sozialdezernentin Elke Voitl (Foto: Stadt Frankfurt am Main / frankfurt.de)

Die Frankfurter Sozialdezernentin Elke Voitl (Grüne) ist überzeugt: Ein sicherer Ort, wo die Menschen zur Ruhe kommen und sich in Deutschland orientieren könnten, sei wichtig. Dies gelte gerade für Menschen, die nicht nur durch Krieg und Konflikte traumatisiert sind, sondern wegen ihrer sexuellen Identität zusätzlichen Repressionen ausgesetzt sind: Drei Viertel aller Menschen, die in Deutschland Asyl suchten, kämen aus Ländern, in denen Homosexualität unter Strafe stehe. (MANNSCHAFT berichtete über die Situation von queeren Geflüchtete in Österreich, die von BFA-Mitarbeiter*innen teils explizit nach Sexualpraktiken und Vorlieben gefragt werden.)


Obdachlose Jugendliche aus Hessen
Erst vor kurzem ist «La Villa» in ein grösseres Gebäude nahe der Innenstadt umgezogen. Hier leben derzeit 28 Geflüchtete statt bisher 21.

Unter ihnen sind auch drei obdachlose Jugendliche aus Hessen, die nach ihrem Coming-out von den Eltern auf die Strasse gesetzt wurden beziehungsweise auf der Strasse lebten, weil die Spannungen zu Hause unerträglich wurden.

In dem ehemaligen Hotel wohnen die Bewohner*innen in Einzelzimmern, gerade traumatisierte Menschen haben so ausreichend Rückzugsmöglichkeiten. Auch für das neue Gebäude gibt es schon eine Warteliste, sagt Herbert Drexler von der AIDS Hilfe Frankfurt. «Es gibt viele, die darauf warten, dass wieder jemand auszieht und ein Zimmer frei wird.»

Das Haus steht für eine sichere Zuflucht – und für das Ende eines Versteckspiels, das häufig nicht nach der Flucht endete. (MANNSCHAFT berichtete über den geflüchteten YouTuber Abdulrahman Akkad, der LGBTIQ-Aufklärung auf Arabisch betreibt.)

Vorbildfunktion
Für Sozialminister Kai Klose ist das Safe House in Frankfurt über Hessen hinaus ein «Highlight» für queere Geflüchtete. «Es gibt nur wenige Bundesländer, die über vergleichsweise Angebote verfügen», betonte er auf der Frankfurter Fachtagung. Da habe Hessen durchaus Vorbildfunktion.

Kai Klose
Hessens Sozialminister Kai Klose (Foto: HMSI)

«Ich kann endlich ich selbst sein», sagt etwa Abdel-Karim, einer der Bewohner*innen von «La Villa». 20 Jahre lang konnte der Algerier seine Homosexualität nur heimlich leben, musste Familie und Freunden vormachen, er habe eine Freundin, Lügen über nun sicher bald anstehende Heiratsabsichten erfinden. Auch in der Gemeinschaftsunterkunft, in der er nach seiner Flucht über die Balkanroute lebte, outete er sich nicht – aus Angst vor Übergriffen etwa durch eigene Landsleute.

Auch für Meri Petroschian, die heute in Wiesbaden lebt, war die Flucht im Jahr 2017 der Beginn eines neuen Lebens, das mit dem Kauf ihrer ersten Regenbogenflagge und dem Besuch einer Gay-Pride-Parade auch die Erfüllung eines Traums bedeutete.

«Ich habe das in Filmen gesehen, aber ich konnte so etwas nicht haben», erzählte sie. «Mein ganzes Leben lang habe ich geträumt, an einer Gay Pride teilnehmen zu können.»

Keine genauen Zahlen
Es gibt keine genauen Zahlen, wie viele der in Hessen lebenden Geflüchteten eine LGBTIQ-Identität haben. Die Erfahrung zeige, dass queere Geflüchtete sich erst zu erkennen geben, wenn sie sich sicher fühlten – das aber sei häufig nicht der Fall, so Wechterstein.

Das Beratungsnetzwerk Rainbow Refugees Support hat allein in Frankfurt jährlich immer über 100 Klient*innen, so Wechterstein. «Etwas die Hälfte kommt davon nicht aus Frankfurt, viele leben in den angrenzenden Landkreisen zum Beispiel Main-Taunus-Kreis, Hochtaunuskreis, Landkreis Offenbach, Landkreis Gross Gerau.» Einige kämen auch aus der Wetterau, dem Landkreis Limburg, dem Vogelsbergkreis und dem Rheingau-Taunus-Kreis.

Die bedarfsgerechte Unterbringung sei «noch sehr verbesserungsbedürftig», bedauert Wechterstein mit Blick auf die Gesamtsituation. Es müsse gar nicht immer ein Safe House sein, bereits das Angebot einer Wohngemeinschaft für queere Geflüchtete wäre ein Fortschritt. (MANNSCHAFT berichtete darüber, dass lesbische Geflüchtete aus Afrika in Deutschland fast immer abgelehnt werden.)

«Wir werden weiter bei unseren Kontakten in den Kommunen dafür werben, dass sich hier noch etwas bewegt und bieten auch an, zu beraten.»


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