Ein Kuss ist nicht demokratiezersetzend – Wenn Facebook sperrt
Es ist zu begrüssen, wenn Soziale Netzwerke gegen Fake News und Hetze vorgehen. Aber warum gegen ein küssendes Männerpaar?
Am Mittwoch endet die Amtszeit von Donald Trump. Der erste US-Präsident, der über Twitter regierte, und der nun ebendort gesperrt wurde. Wenn aber Bilder von küssenden Männern dieselben Strafmassnahmen nach sich ziehen, dann läuft etwas ganz falsch, schreibt Kriss Rudolph in seinem Samstagskommentar*.
Der Aktivist für Atheismus und LGBTIQ-Rechte, Amed Sherwan, hat in den letzten Wochen mehrfach Fotomontagen auf seinen Profilen geteilt, die ihn und den säkularen Aktivisten Mohamed Hisham küssend zeigen, u. a. vor der Kaaba in Mekka. Und zwar als Zeichen der Solidarität mit LGBTIQ-Personen in muslimischen Communitys, wie der Aktivist erklärte, der einst aus Kurdistan geflohen war. Im vergangenen Herbst veröffentlichte er seine Autobiografie mit dem Titel Kafir: «Allah sei Dank bin ich Atheist.»
Seine Kuss-Fotos wurden offenbar massenhaft von fundamentalistischen Muslimen gemeldet, er erhielt zahlreiche Beleidigungen und Morddrohungen und: Wegen der Bilder wurden Ameds Profile auf Facebook und Instagram gesperrt. Bei Facebook ist er wieder aktiv, bei Instagram ist er bis heute nicht erreichbar. Um es klar zu machen: Sie haben das Gebäude im Innenhof der Heiligen Moschee nicht angezündet oder dazu aufgerufen.
Nein, die Morddrohungen ebenso wie die Sperrung seiner Profile erfolgten ganz offensichtlich, weil Amed religiöse Gefühle anderer Menschen verletzt hatte. Wenn Facebook und Co. nur ansatzweise so darum bemüht wären, die Demokratie zu schützen, die Welt wäre in einem besseren Zustand.
«Die Beschimpfung als Schwuchtel fällt unter Hasskriminalität»
«Liebe ist keine Sünde und ein Kuss ist kein Verbrechen! Facebook Inc. sieht das offenbar anders», schrieb er vergangene Woche in einem Beitrag für den Volksverpetzer. Und weiter: «Wenn Hass sich auf Instagram und Facebook durchsetzen darf, während liebevolle Gesten zensiert werden, tragen diese Plattformen im meinen Augen aktiv dazu bei, Gewalt und Hass gegen LGBTTIQ*-Personen zu legitimieren.»
Dass Facebook und Twitter nun auch gegen die Äusserungen von Donald Trump vorgehen ist neu – und richtig. Der «Hater-in-Chief», wie der Spiegel ihn nennt, kann derzeit keine Tweets und Facebook-Posts mehr absetzen. Und das ist, nicht erst seit dem Sturm auf das Kapitol, angebracht und angemessen: Wer seine Macht missbraucht, indem er Lügen verbreitet – unter anderem über einen massenhaften Betrug bei der Briefwahl – und damit die Demokratie untergräbt, muss gestoppt werden, solange von der Demokratie noch etwas übrig ist.
Schon plappert der erste AfD-Mann Trumps Lügen nach: Die etablierten Parteien planten hierzulande angeblich einen gross angelegten Wahlbetrug. Der Landtag von Sachsen-Anhalt beschloss kürzlich, dass auch eine reine Briefwahl möglich sei, falls Urnengänge in der Pandemie aus medizinischen Gründen untersagt werden müssen. Der AfD-Abgeordnete Robert Farle wetterte daraufhin im Plenum: «Diese ganze Pandemie ist ein Schwindel.» Die Neuregelungen zur Briefwahl gebe es nur, «um den grössten Wahlbetrug dieses Landes im nächsten Jahr durchzuführen».
Natürlich gibt es bei den Trumps kein Schuldbewusstsein, nicht beim Vater und nicht beim Sohn: Donald Trump Jr. beklagte in einem bizarren Tweet, dass sein Vater ausgeschlossen wurde, obwohl er nicht mal «Homosexuellen getötet» habe (MANNSCHAFT berichtete) Nein, Homosexuelle oder andere Mitglieder der queeren Community getötet hat er nicht, nicht direkt jedenfalls, wohl aber ihnen das Leben schwer gemacht – und das wird auch noch Jahrzehnte nachwirken (MANNSCHAFT berichtete).
Übrigens sieht die deutsche Bundesregierung die Sperrung des Trump’schen Twitter-Kontos kritisch. Die Betreiber*innen sozialer Netzwerke trügen zwar Verantwortung dafür, dass die politische Kommunikation nicht mit Hass und Anstiftung zu Gewalt vergiftet werde, erklärte Regierungssprecher Seibert. Die Meinungsfreiheit als Grundrecht von elementarer Bedeutung könne aber nur durch den Gesetzgeber, nicht nach der Massgabe von Unternehmen eingeschränkt werden.
Zwar hat die Bundesregierung in den vergangenen Jahren viel Druck auf die Online-Plattformen gemacht, um sie zu einem schärferen Vorgehen unter anderem gegen Hassrede zu drängen. Hat der Hass seither abgenommen? Eher nicht.
Lass uns reden!
Dass rechtsgerichtete Parteien den Hass nicht bekämpfen wollen, verwundert nicht. Schliesslich gehören Hass und Missinformation zu ihrem Markenkern. Vergangene Woche hat YouTube hat ein Video mit einer Rede von FPÖ-Klubchef Herbert Kickl gelöscht. Begründung: Verbreitung medizinischer Falschinformationen. Kickl hatte in der Rede Misstrauen gegen Corona-Impfungen geschürt und sie als «Feldversuch der Pharmaindustrie» dargestellt.
Kein Wunder, dass die FPÖ wütend darüber ist, dass sich «mittlerweile amerikanische Medienkonzerne anmassen, sogar die Verbreitung von Plenarreden österreichischer Parlamentarier zu verbieten und sich damit in die Innenpolitik einmischen», so FPÖ-Mediensprecher Christian Hafenecker, Sein Vorschlag: Österreich sollte dem Beispiel Polens schleunigst folgen. In dem Land, wo man sich – ebenso wie in Ungarn und Russland – sehr lange Zeit damit liess, Joe Biden zum Wahlsieg zu gratulieren, plan man nämlich ein Gesetz zur Einschränkung der Macht von Facebook und Twitter. Dem am Freitag vorgestellten Entwurf zufolge sollen die Plattformen künftig daran gehindert werden, Inhalte zu löschen und Konten zu sperren – es sei denn, diese verstossen gegen polnisches Recht.
Ist die Meinungsfreiheit wirklich in Gefahr, die zu schützen das geplante Gesetz vorgibt? Wohl kaum. Ja, es braucht Regeln, die die Politik festlegen muss, aber gerade Parteien wie AfD oder FPÖ brauchen sich nicht zu beschweren, dass sie zu wenig Gelegenheit hätten, ihren homofeindlichen Dreck unters Volk zu bringen. So darf die FPÖ in ihrem YouTube-Kanal über die Wiener Regenbogenparade verbreiten, sie erinnere an eine «Pornomesse unter freiem Himmel». Selbst die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes etwa zum Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare werden in Zweifel gezogen und als Werk der Homolobby diffamiert.
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Übrigens, Hass und Verunglimpfung fangen oft schon vor der eigenen Haustür an, daher lohnt es sich immer auch, in der Kommentarspalten des eigenen Facebook-Profils zu kehren. Als ich kürzlich etwas Unverfängliches über eine deutschen Prominente schrieb, kommentierte ein Facebook- «Freund!» das mit den Worten: «Jahrzehntelang unpenetrierte verzweifelt frustrierte Menopause» (er meinte wohl nicht mich).
Erst habe ich den Kommentar nur verborgen, dann habe ich es mir anders überlegt und ihn direkt gelöscht. Das ging ganz ohne Algorithmus oder ein Gesetz. Da reichte ein wenig gesunder Menschenverstand, eine Portion Empathie und vielleicht war sogar so etwas wie Nächstenliebe im Spiel. All das, was den Trumps und Kickls dieser Welt abgeht.
*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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