Warum 2025 das Jahr von Wolfgang Tillmans ist
Der Berliner Künstler zeigt an drei Orten seine Bilder: Remscheid, Dresden und Paris
Remscheid, Dresden, Paris – dem schwulen Fotografen Wolfgang Tillmans, der in Berlin lebt, sind derzeit drei grosse Ausstellungen in Europa gewidmet.
Der Turner-Preisträger hat nicht nur queere Ikonen wie Frank Ocean, Jodie Foster und viele sportliche Männer fotografiert, sondern auch den Sternenhimmel, Stillleben und das Meer. Im Centre Pompidou wird jetzt die dritte Tillmans-Ausstellung in diesem Jahr eröffnet.
Den Anfang machte das Albertinum in Dresden, in den gleichen Räumen war nur wenige Wochen zuvor eine grosse Ausstellung zu Caspar David Friedrich zu sehen. Es folgte das neu eröffnete Haus Cleff in Tillmans Geburtsstadt Remscheid und an diesem Freitag setzt der Kunststar den Höhepunkt im Centre Pompidou in Paris. Tillmans (56) ist dort die letzte grosse Schau vor der fünfjährigen Schliessung des Museums gewidmet.
In Remscheid belebt er ein Museum, in Paris schliesst er den Reigen. Ein Geschenk, wie er sagt. Und doch: auch Herausforderung. Und nicht zuletzt eine Premiere. Denn Tillmans bespielt nicht etwa einen der üblichen Ausstellungsräume, sondern die leer geräumte Bibliothek des Kunst- und Kulturzentrums – eine monumentale Fläche von rund 6’000 Quadratmetern.
Dieser ungewöhnliche Ort ist kein Zufall: Bücher und Zeitungen gehören seit jeher zu Tillmans’ zentralen Motiven und Inspirationsquellen. Die Ausstellung zeichnet fast 40 Jahre künstlerischen Schaffens nach und umfasst das gesamte Werk Tillmans': Fotografie, Musik, Video und persönliches Archiv – frei von Chronologie, im Dialog mit dem Raum.
Der Titel, der bis 22. September dauernden Werkschau: «Rien ne nous y préparait – Tout nous y préparait» (Nichts hat uns darauf vorbereitet – Alles hat uns darauf vorbereitet; englisch: Nothing could have prepared us – Everything could have prepared us). Das klingt wie eine nüchterne Diagnose der Gegenwart – und ist genau so gemeint.
Für den Künstler beschreibt er das Paradox unserer Zeit: dass viele Krisen – ob politisch, ökologisch oder gesellschaftlich – uns überraschen, obwohl sie absehbar waren. Man hätte manches voraussehen können – und wollte es vielleicht nicht, sagt Tillmans.
«Ich sehe keine Grenze, wie politisch Kunst sein darf», sagt Tillmans im Gespräch. Für ihn ist das Private nie unpolitisch – und das Politische persönlich. Seine Werke wollen nicht belehren, sondern öffnen: zum Sehen und Nachdenken. Das zeigt sich in seinen Motiven – etwa russische Soldaten vor einem Dior-Geschäft, der innige Kuss zweier Männer oder die schwer gesicherte Grenze der USA zu Mexiko.
Wer nicht bis nach Paris reisen will: Noch bis 4. Januar 2026 sind im denkmalgerecht sanierten Haus Cleff in Remscheid auf 600 Quadratmetern Werke Tillmans aus mehreren Jahrzehnten zu sehen.
Tillmans liess sich einen Schlüssel für das Bürgerhaus im typischen Stil des Bergischen Lands geben und kuratierte selbst. 3’000 Besucher*innen hätten in den ersten Wochen nach der Wiedereröffnung die Schau gesehen, berichtet Museumsleiterin Gisela Parak.
In seiner Geburtsstadt hat Tillmanns Arbeiter der Werkzeugindustrie porträtiert, die Remscheid zur Grossstadt gemacht hat. Sie stehen dort nun genauso im Kontrast zu seinen Porträts von Kate Moss und Lady Gaga wie die Fotos der alten Werkshallen zu denen der Serverparks im Silicon Valley.
Nur noch bis 26. Juni ist Tillmans in Dresden zu sehen: Die mit «Weltraum» überschriebene Schau vereint dort rund 200 Fotografien und Videoarbeiten, darunter auch bisher nicht in einem Museum gezeigte Werke. Die lebenslange Liebe zur Astronomie habe ihn das Sehen gelehrt und die Wichtigkeit der genauen Beobachtung, hatte Tillmans gesagt. Den rund einstündigen Audioguide hat er selbst eingesprochen und den Katalog zur Ausstellung bietet er zum Selbstkostenpreis von 8 Euro an.
Wer schon im Berliner Club Berghain war, erinnert sich vielleicht an ziemlich explizite Bilder an den Wänden – auch von Wolfgang Tillmans.
So zieht sich der Bezug zu Himmel und Sternen durch die Präsentation, von Bildern aus dem Kernforschungszentrum Cern in der Schweiz bis zu Phänomenen wie dem seltenen Venus-Transit vor der Sonne. Tillmans gehört zu den bedeutendsten deutschen Künstlern der Gegenwart, wurde im 2023 von TIME zu den 100 einflussreichsten Künstlern gezählt, gewann im Jahr 2000 als erster Deutscher den renommierten Turner-Preis und ist Träger des Goslarer Kaiserrings.
Zuletzt widmete ihm 2023 das MoMA (Museum of Modern Art) in New York eine grosse Ausstellung. Seine Bilder der Nacht- und Clubszene und von Berühmtheiten der Popkultur machten ihn bekannt. «Die Zeit» nannte ihn einst den «einfallsreichsten Bilderfinder der Gegenwart». Wer schon im Berliner Club Berghain war, erinnert sich vielleicht an ziemlich explizite Bilder an den Wänden. Auch das waren Werke von Wolfgang Tillmans.
Text: Sabine Glaubitz und Frank Christiansen, dpa
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