USA: Make-up-Artist wegen Tattoos in Mega-Gefängnis abgeschoben
Andry Hernández flüchtete aus Venezuela in die USA und beantragte Asyl. Dort stufte die Einwanderungsbehörde ihn als Gangmitglied ein und schob ihn nach El Salvador ab – ohne Gerichtsverfahren. Nun regt sich internationaler Widerstand.
Der Fall Andry Hernández sorgt international für Schlagzeilen. Der 31-jährige Make-up-Artist aus Venezuela wurde Mitte März 2025 von den USA nach El Salvador abgeschoben – ohne Gerichtsverfahren und ohne Anhörung. Der Grund: zwei Kronen auf seinen Handgelenken, Teil eines Tattoos zu Ehren seiner Eltern und seiner Heimatstadt Capacho Nuevo, bekannt für ihr traditionsreiches Dreikönigsfest.
Die US-Behörden interpretierten die Kronen jedoch als Erkennungszeichen der venezolanischen Bande Tren de Aragua. Damit wurde Hernández zur Zielscheibe der Anti-Gang-Politik der Trump-Vance-Regierung. Diese hatte die Gruppe im Februar zur «internationalen Terrororganisation» erklärt und berief sich bei der Abschiebung auf das Alien Enemies Act von 1798 – ein kaum angewendetes Notstandsgesetz, das Abschiebungen ohne reguläre Verfahren erlaubt.
«Ich bin kein Gangmitglied. Ich bin schwul. Ich bin Friseur.»
Andry Hernández
«Ich bin kein Gangmitglied. Ich bin schwul. Ich bin Friseur.» So zitierte der amerikanische Fotojournalist Philip Holsinger den jungen Mann, kurz nachdem dieser in El Salvadors berüchtigtes Mega-Gefängnis (CECOT) eingeliefert wurde. Hernández sei geknebelt, gedemütigt und geschlagen worden. Er habe geweint, gebetet und um seine Mutter gerufen, berichtete Holsinger in Time. Seither fehlt von ihm jede Spur.
Vom Kostümbildner zum Verdächtigen Hernández wuchs im westvenezolanischen Capacho auf, wo er bereits als Kind beim traditionellen Dreikönigsfest mitwirkte – einer religiös-kulturellen Veranstaltung, die für ihn zur Berufung wurde. Er designte Kostüme, schminkte die Teilnehmer*innen und liess sich schliesslich zwei Kronen tätowieren – das Symbol der Heiligen Drei Könige.
«Wenn ich gewusst hätte, dass diese Krönchen ihn ins Gefängnis bringen würden, hätte ich sie nie gestochen», sagte sein Tätowierer José Manuel Mora der BBC.
Im Mai 2024 verliess Hernández Venezuela in Richtung USA. Dort stellte er im August einen offiziellen Asylantrag an der Grenze in San Ysidro, Kalifornien. Der Grund: Verfolgung wegen seiner sexuellen Orientierung und seiner politischen Haltung. Doch statt Schutz zu erhalten, kam er in das Gefängnis der Polizei- und Zollbehörde (ICE) in Otay Mesa bei San Diego. Dort begann, was Anwält*innen als beispiellosen Bruch rechtsstaatlicher Prinzipien bezeichnen.
Punktesystem für Abschiebungen Ein Mitarbeiter der privaten Gefängnisfirma Core Civic, Auftragnehmerin der US-Regierung, bewertete Hernández mithilfe eines «Score-Systems», um mutmassliche Bandenmitglieder zu identifizieren. Allein seine Tattoos führten zu einer Bewertung von fünf Punkten – genug, um ihn als Sicherheitsrisiko einzustufen. Die Kronen auf seinen Handgelenken wurden als Zeichen der Tren de Aragua interpretiert. Weitere Beweise gab es nicht.
«Bis heute ist das das einzige Dokument, das ihn mit der Bande in Verbindung bringt», sagte Lindsay Toczylowski vom Immigrant Defenders Law Center (IDLC) der BBC. Die Organisation vertritt Hernández juristisch. Die Anwält*innen betonen: Weder hatte Hernández eine Vorstrafe noch gibt es Hinweise auf kriminelle Verbindungen. Die Regierung begründet ihr Vorgehen dennoch mit «nachrichtendienstlichen Erkenntnissen», die sie nicht offenlegt.
Abgeschoben – trotz laufendem Verfahren Obwohl sein Asylverfahren noch lief, wurde Hernández am 15. März 2025 zusammen mit 260 weiteren Personen nach El Salvador abgeschoben – direkt in das Hochsicherheitsgefängnis CECOT. Die Behörden verweigerten ihm sogar die Teilnahme an seiner eigenen Anhörung per Video.
Am 28. Mai 2025 wurde sein Asylantrag von einem Einwanderungsgericht in San Diego offiziell abgewiesen. Die Begründung: Hernández befinde sich nicht mehr im Land. Ein Berufungsverfahren läuft derzeit vor dem Board of Immigration Appeals.
«Dass ein Mensch aufgrund eines Tattoos verschwinden kann, ohne je vor Gericht gestanden zu haben, sollte uns alle alarmieren»
Lindsay Toczylowski, Immigrant Defenders Law Center
Kritik und Proteste Menschenrechtsorganisationen, queere Gruppen und Politiker*innen kritisieren das Vorgehen scharf. «Dass ein Mensch aufgrund eines Tattoos verschwinden kann, ohne je vor Gericht gestanden zu haben, sollte uns alle alarmieren», sagte Toczylowski in einer Pressemitteilung. «Wenn das Andry passieren kann, kann es jedem passieren.»
Auch Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom und mehrere Abgeordnete der Demokratischen Partei fordern seine Rückholung. Bei einer Reise nach El Salvador erhielten sie jedoch keine Auskunft über Hernández’ Aufenthaltsort oder Gesundheitszustand. Das IDLC führte eine Kundgebung vor dem Supreme Court in Washintgon, D.C. durch, auch in Venezuela protestieren Menschen. In Capacho trugen Teilnehmer*innen bei einer Mahnwache goldene Kronen – als Zeichen der Solidarität.
Angst um das Leben eines Unschuldigen «Ich denke jeden Tag an ihn. Ich frage mich, ob er Wasser bekommt, ob er etwas zu essen hat», sagte seine Mutter der BBC. Die letzte Nachricht, die sie über ihren Sohn erhielt, war ein Foto aus dem Gefängnis, auf dem er mit rasiertem Kopf auf dem Boden kniet.
Seine Freundin Reina Cárdenas berichtete gegenüber NBC, dass Hernández seine Stelle beim staatlichen TV-Sender in Caracas aufgrund seiner Sexualität verloren hatte. «Er träumte davon, einen Schönheitssalon zu eröffnen und seine Eltern finanziell zu unterstützen», sagte sie. Stattdessen sitze er nun unrechtmässig in einem Gefängnis.
Mit den Hashtags #freeandry und #justiceforandry machen Angehörige und Anwält*innen nun auf den Fall Andry Hernández aufmerksam. Die offizielle Website freeandry.org sammelt Spenden und informiert über die weiteren Entwicklungen.
Mehr: Impfstoff gegen HIV – Trump-Regierung stoppt Finanzierung (MANNSCHAFT berichtete)
Das könnte dich auch interessieren
Zürich
In vier Runden zur Königin: So war die Heaven Drag Race 2025
In Zürich wurde die neue Miss Heaven gekrönt: Third Kylie setzte sich gegen fünf Mitstreiter*innen durch und punktete mit ganz viel Swissness: mit Aromat, Kuhglocken und einem von Trachten inspirierten, selbst genähten Outfit.
Von Elena Löw
Unterhaltung
Drag
Schweiz
Religion
LGBTIQ-Wallfahrt in Rom: «Ein Tag grosser Hoffnung!»
Über 1.000 Gläubige aus rund 30 Ländern waren am Wochenende zu einer Wallfahrt in Rom, darunter erstmals ganz offiziell katholische Queers.
Von Newsdesk Staff
News
Serie
«Boots» – Netflix zeigt ersten Trailer zu schwulem Militärdrama
Was passiert, wenn ein queerer Mann in den 1990ern ein Elitesoldat werden will?
Von Newsdesk Staff
News
Kultur
Fotografie
«Elska» zeigt Rom: Queeres Leben im Schatten des Vatikan
Das queere Fotoprojekt zeigt Männer aus der italienischen Hauptstadt – zwischen Tradition, Multikulturalität und katholischem Einfluss. Neue intime Porträts und sehr persönliche Geschichten aus Rom!
Von Newsdesk Staff
Kultur
Schwul