Trans Mann Bug und Urgrossmutter Judy vor der US-Wahl
Die Situation vorm 5. November aus queerer Familienperspektive
Der Bundesstaat Pennsylvania wird die US-Wahl mitentscheiden. Im Kernland Amerikas spaltet der Kulturkampf ganze Familien. Eine Frau und ihren Urenkel bringt er näher zusammen.
Judy und Bug trennen 61 Jahre, drei Generationen und 15 US-Präsidentschaftswahlen. Judy prägte ihren Glauben nach dem Krieg. Bug ist 18 und Kirche «nicht sein Ding». Sie sah ihn als «perfektes kleines Mädchen» aufwachsen. Dann eröffnete Bug seiner Urgrossmutter, dass er trans ist.
Trotz allem zog er in Judys kleines Haus in Altoona. Das Städtchen liegt im tiefsten Pennsylvania, einem der bei der anstehenden Präsident*innenwahl besonders hart umkämpften Swing States. Am Küchentisch streiten beide darüber, ob Donald Trump Amerikas Zukunft ist.
Es ist einer der letzten warmen Tage in Altoona, zwei Stunden östlich von Pittsburgh. Die Sonne scheint auf bescheidene Häuser einer ruhigen Wohnsiedlung mit akkurat gestutzten Rasenflächen. Ein kleines Vordach bietet Schatten, als Judy Wood - gestützt auf ihren Gehstock - im Türrahmen erscheint. Ein Wahlkämpfer der Demokraten hatte bei ihr geklopft, um sie von Kamala Harris zu überzeugen.
Judys Gesicht nimmt einen Ausdruck zwischen Zweifel und Verzweiflung an. «Das ist die verwirrendste Wahl, die ich je, je, je erlebt habe. Und ich bin 79 Jahre alt», klagt sie. Den bombastischen Trump möge sie zwar nicht (MANNSCHAFT berichtete), doch auch Harris sei «einfach ein bisschen zu viel».
Dem Reporter, der die Szene beobachtet, bietet die ehemalige Krankenschwester an, später wiederzukommen. Dann sei auch ihr Urenkel aus der Schule wieder zuhause.
«Habe Trump in Erwägung gezogen»
Wohnzimmer und Küche des Bungalows sind vollgestopft mit Papieren, Döschen, Boxen und Krimskrams, zwischen dem sich Katzen den Nachmittag vertreiben. Bug steht an der Spüle und meidet zunächst den Blick. Dann setzt er sich neben Judy an den Holztisch, das runde Gesicht nachdenklich bis ernst, dunkler Kapuzenpulli, zwei Piercings in der Unterlippe.
Auf Judys T-Shirt dagegen stehen die Worte Glaube, Hoffnung und Liebe. «Ich bin katholisch», betont sie so, als müsste damit eigentlich alles gesagt sein. Auch über ihre Haltung zu Harris. Diese sei schliesslich eine Befürworterin der Abtreibung. Trump dagegen berief jene Richter des Supreme Courts, die das landesweite Recht auf Schwangerschaftsabbruch 2022 kippten.
Der Republikaner sei trotz seines Geldes weniger elitär, findet Judy. Er sei einer, der auf den Tisch hauen könne wie normale Leute auch. Eigentlich müsse so einer das Land regieren. «Ich habe Trump manchmal in Erwägung gezogen», sagt sie.
Bug Novaks Stirn liegt in Falten, als er zuhört (MANNASCHAFT berichtete über die Bedeutung queerer Wähler*innen in den USA). Keine Frage, dass er bei seiner ersten Wahl für Harris stimmt, auch wenn diese nicht kritisch genug gegenüber Israel sei. «Ich habe beide Debatten gesehen, aber die mit ihr und Trump war verrückt, sie redet viel professioneller als er», sagt der 18-Jährige. «Er redet wie ein Kind und er ist so komisch und so nervig. Ich hasse ihn.»
Eine Stadt wie eine aufgelöste Party
Judy hat Altoonas Niedergang über Jahrzehnte miterlebt. Eine Reise dorthin gleicht dem Besuch einer längst beendeten Party. Einst florierte die Stadt als Eisenbahnknotenpunkt, an dem Ingenieure 1854 die Appalachen überwanden und Routen nach Westen ermöglichten. 1930 gab es hier über 80‘000 Menschen, eine imposante Kathedrale entstand.
Themen wie Inflation, Abtreibung und Migration dominieren, oft mit Schuldzuweisungen
Benno Schwinghammer, dpa
Mit dem Ausbau der Highways verlor Altoona jedoch an Bedeutung. Heute lebt nur noch die Hälfte der einstigen Bevölkerung in den sanften Hügeln des konservativen Kernlandes, oft abgeschnitten vom Reichtum der Küsten.
Pennsylvania, der wichtigste Swing State und früheres industrielles Zentrum, könnte das politische Schicksal der USA entscheiden. Konservative ländliche Bezirke stehen liberalen Städten wie Philadelphia gegenüber. Umfragen zeigen Harris und Trump gleichauf. Wer hier gewinnt, ist dem Weissen Haus ganz nah.
Preise, Abtreibung, Migrant*innen
Soziale Medien und TV-Sender erwecken den Eindruck, dass Amerikaner endlos und erbittert über Politik streiten. Auch in Altoona ist das Gegenteil wahr: Die meisten verfolgen den Wahlkampf nicht intensiv. Doch die Spaltung der USA zeigt sich in den Gesprächen der Wahlkämpfer*innen an den Türen. Themen wie Inflation, Abtreibung und Migration dominieren, oft mit Schuldzuweisungen.
Einige sehen in Harris eine Gefahr für die Sicherheit durch offene Grenzen, andere werfen Trump Eingriffe in Frauenrechte vor. Auffällig ist, dass angespannte Gespräche oft ruhiger und verständnisvoller werden. Ist «die andere Seite» vielleicht nicht so anders? Einigkeit ist selten, aber ein Handschlag oft möglich.
Ein ungleiches Paar
Am Küchentisch im vollgestopften Bungalow betont Judy, dass sie und ihr Urenkel zwar auch ein «ungleiches Paar» seien, sie jedoch sehr viel von Bug halte. Anders als andere Jugendliche benutze der seinen Kopf. Vor vier Jahren war er zu ihr gezogen. Anfangs, weil seine Mutter in eine Nachbarstadt ging. Bug blieb. «Sie ist ziemlich entspannt», sagt er über Judy. «Wir machen einfach jeder unser Ding.»
Judys Haus zeugt von einem gelebten Leben. Vor gut zehn Jahren pflegte sie hier ihre an Alzheimer erkranke Mutter, bis diese ins Heim musste und starb. Heute hängen am Kühlschrank religiöse Sprüche, Kinderfotos von Bug und Familienbilder aus verschiedenen Jahrzehnten.
«Meine Welt war ganz anders, als ich aufwuchs», sagt sie nachdenklich. Eine Härte schleicht sich in ihre Stimme, die an jene älteren Menschen erinnert, die die Welt nicht mehr verstehen. «Die Jugend von heute wird ohne Respekt vor Erwachsenen, vor Führung erzogen», schimpft Judy. Sie könne verstehen, «warum die Leute in der heutigen Welt für Trump stimmen». Und für sein Versprechen, Amerika wieder zu alten Werten und Stärke zurückzuführen.
Bug unterbricht: «Es ist eher so, dass man dir beigebracht hat, Leute zu respektieren, ohne darüber nachzudenken.» Judy: «Richtig.»
Bug: «Heute wachsen die Leute mit dem Gedanken auf, andere mit Respekt zu behandeln, wenn sie dich respektieren.» Judy denkt nach. «Du hast recht. Du hast sehr recht», sagt sie dann. Ihre Miene hellt sich auf.
«Perfektes kleines Mädchen»
Als Bug seine Lehrer bat, ihn fortan als Jungen anzusprechen, wurde sein Leben schwieriger. Einige sträubten sich. Mitschüler*innen nannten ihn «Schwuchtel». Doch dabei blieb es nicht. «Ich benutze jetzt schon seit einiger Zeit die Jungentoilette», erzählt er. «Und einmal, als ich während der Mittagspause hineinging, versuchten ein paar Kinder, meine Tür einzutreten».
Bugs Erlebnisse sind kein Einzelfall. In den USA werden die Rechte von trans Personen immer wieder infrage gestellt (MANNSCHAFT berichtete). Sie sind Ziel der Rechten und Thema für Trump. Judy ist stolz darauf, wie Bug den Angriffen trotzt. Zwar sei ihr Enkel in Altoona oft allein, online aber habe er Freund*innen gefunden.
Judy nennt Bug noch immer «Abbi» - auch wenn sie weiss, dass das falsch ist
Benno Schwinghammer, dpa
Judy nennt Bug dabei noch immer «Abbi» - auch wenn sie wisse, dass das falsch ist. «Sie war meine erste Urenkelin, und ich erinnere mich an sie, als sie mit Puppen spielte und ein perfektes kleines Mädchen war», erklärt sie. «Ich erinnere mich an dieses kleine Mädchen, und jetzt ist sie dieses grosse Mädchen hier -». Sie unterbricht sich und sagt: «Dieser grosse Transsexuelle hier». Bug meint, ihm reiche das, solange seine Urgrossmutter ihn ansonsten machen lasse.
«Personifizierte amerikanische Wut»
Zum Wahllokal gehen beide am 5. November gemeinsam. Bugs Entscheidung ist klar, Trump sei schliesslich die «personifizierte amerikanische Wut». Judy sagt, der Ex-Präsident sei zwar ein Kämpfer, doch verdiene nach dem Sturm aufs Kapitol keinen Respekt.
Judy: «Trump sagt die Dinge, wie sie sind». Bug: «Wie er sie sieht!» Judy: «Wie er sie sieht - und wie viele andere Leute, in Amerika sie sehen, glaube ich. Aber er ist kein Anführer. Er ist keiner.» Kurz hält Judy inne und sagt: «Ich werde für sie stimmen».
Von Benno Schwinghammer, dpa
Beim Demokraten-Parteitag traten auch frühere Unterstützer*innen von Donald Trump auf, um für Kamala Harris zu werben. Darunter Stephanie Grisham, Trumps Ex-Sprecherin, deren schwuler Sohn sich für sie und ihren Job schämte (MANNSCHAFT berichtete).
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