«Sozialwerk.LGBT+»: Verfahren gegen Jugendtreff-Leiter eingestellt

Foto: Rebekka Weber, Vorstand sozialwerk.LGBT+
Der «treff.LGBT+» war die erste Anlaufstelle für Queers in Chur. (Bild: Rebekka Weber, Vorstand sozialwerk.LGBT+)

Die Vorwürfe gegen Holger S. liessen sich nicht belegen. Für den einstigen Leiter queerer Jugendtreffs ist die Angelegenheit dennoch nicht ausgestanden, wie er gegenüber MANNSCHAFT sagt.

Die Anschuldigungen waren massiv und schlugen in der Schweizer LGBTIQ-Community hohe Wellen. Betroffen war der Verein sozialwerk.LGBT+, der in Chur und Buchs Treffs für queere Jugendliche führte. Sie galten als Vorzeigeprojekte und wichtige Anlaufstellen, die sowohl von den Kantonen St. Gallen und Graubünden als auch von der Stadt Chur und mehreren Stiftungen finanziell unterstützt wurden.

Die schockierenden Schlagzeilen machten im April 2024 die Runde: Gemäss Tages-Anzeiger sollen der damalige Leiter Holger S. und das damalige Vorstandsmitglied Björn N. (sein Ehemann) sexuelle Kontakte zu Minderjährigen gehabt haben (MANNSCHAFT berichtete).

Tatbestände liessen sich nicht nachweisen Eine Dreiecksbeziehung mit einem 17-Jährigen glaubte die Tamedia-Zeitung besonders detailliert belegen zu können. Zusätzlich wurden dem Ehepaar Machtmissbrauch, Unprofessionalität und moralisch verwerfliches Verhalten vorgeworfen. Der Tages-Anzeiger stützte sich bei seiner Recherche auf die Aussagen von 15 Personen, von denen die meisten «aus Angst» vor dem Paar anonym bleiben wollten. Ende 2024 löste sich der Verein «sozialwerk.LGBT+» als Folge dieser Anschuldigungen auf. Björn und Holger hatten bis zu diesem Zeitpunkt nach eigenen Angaben 80'000 Franken in den Verein investiert.

Die St. Galler Staatsanwaltschaft eröffnete schliesslich gegen Holger ein Strafverfahren. Dieses wurde nun am 3. April 2025 eingestellt. Aus der Einstellungsverfügung, die MANNSCHAFT mit einigen geschwärzten Stellen vorliegt, geht hervor, dass noch zahlreiche andere Delikte im Raum standen: unter anderem Körperverletzung und Tätlichkeiten, Veruntreuung von Vereinsgeldern, sexuelle Nötigung und Pornografie.

Kein einziger dieser Tatbestände liess sich durch die Ermittlungen nachweisen. Alle befragten Personen aus dem Vereinsumfeld gaben den Behörden gemäss der Einstellungsverfügung an, dass «alles in Ordnung» gewesen sei.

Eine «beschissene Situation» für das Ehepaar Kann das Ehepaar nun dieses unschöne Kapitel endgültig abschliessen? Nein, sagt Holger gegenüber MANNSCHAFT. Die Situation sei weiterhin «beschissen». Er habe zwar inzwischen in Buchs eine eigene Beratungspraxis eröffnet, sei aber momentan nicht in der Lage, den Beruf als Fachperson für Beziehungsberatung und Sexuelle Bildung auszuüben. Dafür sei er psychisch noch nicht genug gefestigt.

Auch die Ehe mit Björn wurde auf eine harte Probe gestellt: Björn hatte nämlich tatsächlich eine sexuelle Beziehung zu einem 18-jährigen Jugendlichen ausserhalb des Vereins, weswegen es 2023 zu einer Anzeige bei der Polizei in Bern gekommen war. Die Staatsanwaltschaft entschied jedoch schon im Dezember 2023, kein Verfahren zu eröffnen, da kein Machtmissbrauch festgestellt wurde.

Das wiederum habe zwei Vorstandsmitglieder auf den Plan gerückt, die das Ehepaar wegen dieser fragwürdigen Affäre und wegen Streitigkeiten innerhalb des Vereins loswerden wollten. Ihre Anzeige führte zum inzwischen eingestellten Verfahren gegen Holger – und letztlich zur Vereinsauflösung.

Schmerzhaft war für Holger besonders die «Vorverurteilung durch LGBTIQ-Organisationen»: Die drei vorab durch die Zeitung informierten nationalen Dachverbände Pink Cross, Transgender Network Switzerland (TGNS) sowie die Lesbenorganisation Schweiz (LOS) hätten die Mitgliedschaften des Vereins bereits im April 2024, kurz vor Erscheinen des Berichts, gekündigt.

Nicht strafbar = nicht problematisch? Die Einstellung des Verfahrens gegen Holger S. bedeutet juristisch, dass kein strafbares Verhalten festgestellt werden konnte. Dennoch erwähnt die Staatsanwaltschaft in der Einstellungsverfügung einzelne Situationen, die sie zwar nicht als strafbar einstuft, die aber aus Sicht Dritter als grenzwertig empfunden werden könnten. In einem Fall etwa wird geschildert, dass Holger die Beine eines Jugendlichen im Treff berührte und dazu eine persönliche Bemerkung machte. Laut Verfügung erfüllt dieses Verhalten nicht den Tatbestand der sexuellen Belästigung.

Geschichte ist noch nicht abgeschlossen Ein weiterer Vorwurf der Anzeigesteller: Bei Holger gehe es immer nur um Sex. Dass er während des Verfahrens eine «Praxis für Beziehungen, Liebe, Partnerschaft & Sexualität» eröffnet hat, passte für manche in dieses Bild. Darüber kann Holger aber nur den Kopf schütteln. «Es kamen dauernd Fragen zu Sex von den Jugendlichen, da musste ich gar nicht selbst mit dem Thema anfangen.» Auch dass der Verein auf Wunsch für die Jugendlichen sicheres Sexspielzeug erworben habe, sei gerechtfertigt und sinnvoll. «Einmal besuchte sogar der Bischof von Chur den Treff – und blieb zwei Stunden lang! Ich glaube, wenn es ein so sexualisierter Raum gewesen wäre, hätte er es kaum so lange bei uns ausgehalten.»

Was Holger im Interview mit MANNSCHAFT ebenfalls deutlich macht: Mit der Einstellung des Verfahrens ist die Geschichte für das Paar weder emotional noch juristisch abgeschlossen. Die beiden prüfen nun nämlich ihrerseits rechtliche Schritte wegen Rufschädigung und übler Nachrede.

Mehr: Promis wie Bettina Böttinger unterstützen neue Stiftung für queere Jugendliche (MANNSCHAFT berichtete)

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