Out im Gefängnis: Schutz vor Misshandlungen nötig
Dazu läuft ein neues Forschungsprojekt
Queere Personen in Haft sind mit grosser Wahrscheinlichkeit Gewalt und Misshandlungen ausgesetzt. Ein Wiener Forschungsprojekt will bessere Schutzmassnahmen ausarbeiten.
Das Projekt hat im Frühjahr begonnen und läuft noch ein knappes Jahr.
Wie sieht die Situation von queeren Personen in europäischen Gefängnis aus? Ist es ratsam, sich zu outen? Oder ist dann die Gefahr, von Mithäftlingen und vom Gefängnispersonal misshandelt zu werden, grösser? Gibt es für queere Personen in Haft spezielle Schutzmassnahmen? Wenn ja, wie sehen diese konkret aus? Mit diesen und anderen Fragen beschäftigt sich gerade das Ludwig Boltzmann Institut für Grund- und Menschenrechte in Wien. Das Forschungsprojekt «LGBTIQ in Haft - Stärkung der Rechte von LGBTIQ-Personen in Haft in der EU» läuft bis September 2025.
Ziel ist es, eine Bestandsaufnahme der rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen in der EU durchzuführen. Gleichzeitig sollen die Herausforderungen und allfällige Lücken in Bezug auf die Behandlung und Betreuung von queeren Personen in Haft thematisiert werden. Auch sollen Politiker*innen und die Öffentlichkeit für dieses Thema sensibilisiert werden. Als Ergebnis soll ein Analysebericht mit Empfehlungen zur Stärkung von queeren Personen in Haft veröffentlicht werden.
Schwerpunkt auf Österreich und Italien
Anlass für das Forschungsprojekt ist der Aufruf der EU-Kommissionen an alle Mitgliedsländer, die besonderen Bedürfnisse von queeren Personen in Haft zu berücksichtigen, um Gewalt und andere Misshandlungen zu verhindern. Denn es ist davon auszugehen, dass queere Häftlinge mit grosser Wahrscheinlichkeit Belästigungen, Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt sind. Das Forschungsprojekt des Ludwig Boltzmann Instituts richtet sich an alle EU-Mitgliedsländer, wobei es einen besonderen Schwerpunkt auf vier Länder (Österreich, Griechenland, Italien und Ungarn) gibt. In diesen vier Ländern werden Wissenschafter*innen unter anderem Interviews und Fokusgruppen mit Expert*innen und Vertreter*innen von queeren Organisationen durchführen. Eine grosse Fokusgruppe findet in Wien an diesem Donnerstag statt. Zu dieser Veranstaltung wurden alle Personen in Österreich eingeladen, die Erfahrung und Expertise zur Situation von LGBTIQ-Personen in Haft haben. Die Einladung erging auch an alle wichtigen queeren Organisationen in Österreich.
«34 Prozent der geouteten bisexuellen und 39 Prozent der schwulen Männern werden von Mitinsassen misshandelt.»
Wie wichtig das Forschungsprojekt ist, zeigen Erfahrungen in den USA. So erklärte Jean-Sébastien Blanc, ein Experte, der sich viel mit diesem Thema auseinandergesetzt hat, in einem früheren Interview mit dem Schweizer Magazin der Menschenrechtsorganisation Amnesty. «Nach Angaben des US-Statistikamts werden Inhaftierte, die ihre sexuelle Orientierung als schwul, lesbisch oder bisexuell definieren, am häufigsten durch Mitinhaftierte misshandelt. Waren laut der Studie 'nur' gerade 3,5 Prozent der heterosexuellen Männer von sexuellen Misshandlungen durch Mithäftlinge betroffen, traf es 34 Prozent der geouteten bisexuellen und 39 Prozent der schwulen Männer», so Blanc.
Eine grosse Gefahr stelle auch das Gefängnispersonal dar. «So hat beispielsweise in US-Gefängnissen das Personal die Hälfte aller Übergriffe auf LGBTIQ verübt, sei es in Form von physischer Gewalt, Blossstellung, Vergewaltigung oder anderen sadistischen Verhaltensweisen», sagt Blanc. «Die Betroffenen zeigen die Misshandlungen nur selten an – aus Mangel an Vertrauen in den Staat oder aus Angst vor noch schlimmerer Rache durch die Angezeigten.»
Auch ist es sehr schwierig, genaue Daten über queere Personen in Haft zu erhalten. Das zeigt eine Anfrage von MANNSCHAFT an das österreichische Justizministerium zeigt. So erklärte Claudia Simon, Referentin im Justizministerium, dass dem Ministerium leider kein Überblick über LGBTIQ-Personen in österreichischen Gefängnissen vorliege. Bei den Schutzmassnahmen für queere Personen setzen die Verantwortlichen in den Justizanstalten auf «rechtskonforme und individuelle Lösungen im Einzelfall», wie das österreichische Justizministerium betont.
«Die Generaldirektion für den Strafvollzug und den Vollzug freiheitsentziehender Massnahmen hat sich bereits frühzeitig im Rahmen einer Fachgruppe mit den Rechten, Bedürfnissen sowie mit internationalen Standards im Hinblick auf ein identitätskonformes Leben von LGBTIQ Personen im Vollzug auseinandergesetzt», sagt Claudia Simon vom Justizministerium gegenüber MANNSCHAFT. Dies sei unter Beteiligung von Wissenschaft, Mediziner*innen und anderer Fachexpert*innen geschehen. «Im Wissen, dass es sich bei diesen Personen in Haft um eine besonders vulnerable (von der Anzahl geringen) Personengruppe handelt, ist es besonders wichtig, eine rechtskonforme und individuelle Lösung im Einzelfall zu finden sowie eine grösstmögliche Handlungssicherheit im Straf- und Massnahmenvollzug zu fördern», betont das Ministerium.
«Das Vorgehen beziehungsweise die Entscheidung, wo beispielsweise eine transgender Person anzuhalten ist, ist unter Abwägung aller Umstände stets individuell im Einzelfall zu treffen», betont Simon. «Mit einer Personenstandsänderung einer transgender Person im zentralen Personenstandsregister kommt es zu einer Änderung des Geschlechtseintrages im Straf- und Massnahmenvollzug. Vor einer derartigen Änderung ist die Unterbringung und Visitierung von transgender Personen in Haft unter Abwägung aller Umstände immer eine individuelle Einzelfallentscheidung.»
Mehr Informationen zu diesem Thema soll es im September 2025 geben, wenn das Forschungsprojekt abgeschlossen ist.
Brittney Griner spricht über die Zeit im russischen Gefängnis: Der queere Basketball-Star berichtet von unmenschlichen Haftbedingungen (MANNSCHAFT berichtete).
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