«Schikanen und falsche Behauptungen» – Köthen vor dem CSD
Die Organisatoren arbeiten in schwierigem Klima
In der ostdeutschen Stadt Köthen steht am Wochenende der CSD an. Doch die Stimmung vor Ort ist ziemlich angespannt. Wie konnte es dazu kommen und was bedeutet das für die Veranstaltung?
Die Gespräche mit dem Landkreis seien «zermürbend, destruktiv und rückten keine Minute in den Bereich echter Zusammenarbeit», sagt Julian Miethig, Mitveranstalter des CSDs in Köthen, einer Stadt in Sachsen-Anhalt. Dabei hatte letztes Jahr alles vielversprechend begonnen. Im vergangenen Jahr hatte dort der CSD zum ersten Mal stattgefunden. Dies wurde möglich, weil es Spendengelder gab vom Podcast «Fest und Flauschig» von Olli Schulz und Jan Böhmermann.
Nägel und Schrauben auf dem CSD-Gelände verteilt Die Strassenparade und alle Begleitveranstaltungen waren aus Sicht der Veranstaltenden Falko Jentsch und Julian Miethig vom CSD Magdeburg ein grosser Erfolg. Es kamen mehrere hundert Menschen und auch die regionale Presse berichtete positiv darüber. Doch es gab auch eine Schattenseite: In der Nacht vor dem CSD 2024 wurden Buttersäureanschläge auf den Marktplatz und den Bahnhofsvorplatz der Stadt verübt. Ausserdem wurden Nägel und Schrauben auf dem Gelände verteilt. Bis zum heutigen Tag sind in der Stadt Graffiti und Schmierereien sichtbar, die sich gegen queeres Leben richten. Wie auch in anderen Städten (MANNSCHAFT berichtete) erlebte somit auch der CSD in Köthen in seinem Umfeld Ablehnung und Gewalt.
Die Veranstalter Falko und Julian nahmen jedoch die positive Energie aus dem CSD mit und wollten gleich wieder loslegen, um 2025 wieder eine Parade stattfinden zu lassen. Doch ganz so einfach ging dies nicht, wie sie feststellen mussten. Die Behörden legten ihnen Steine in den Weg, so empfinden sie es bis heute.
Man habe «noch eine offene Rechnung» mit ihnen, tönte es ihnen in einer Sitzung mit dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld, der den CSD am 12. Juli genehmigen muss, entgegen. Insgesamt nahmen die Veranstalter Jentsch und Miethig das Treffen so war, dass es dort «herablassende Kommentare, einseitige Monologe und diskriminierende Unterstellungen» gegeben habe. Bis es überhaupt zu diesem Meeting kam, verging bereits enorm viel Zeit. Denn angemeldet hatten die Veranstalter einen weiteren CSD bereits Ende Dezember 2024, zu dem Treffen mit dem Landkreis kam aber es erst ein halbes Jahr später. Man wolle nun seitens des Landkreises noch stärker «auf Recht und Ordnung achten», war darin der Tenor.
Eigentlich hatte man durch frühzeitiges Planen vermeiden wollen, dass durch hektisches Handeln Benachteiligungen entstehen. So wie noch 2024, als der Landkreis anordnete: «Es wird höchstens eine Fahne pro fünf Teilnehmenden verwendet». Doch auch in diesem Jahr sollte die Planung nicht so verlaufen, wie Falko Jentsch und Julian Miethig sich das vorstellten. Der ganze Organisationsprozess sei charakterisiert durch «Schikanen, Falschbehauptungen und völlige Gesprächsverweigerung», wie sie rückblickend sagen.
Der Landkreis wollte alle Bestandteile des CSD auf «Meinungseignung» prüfen, also ob alle Teile der Veranstaltung dem Motto des CSDs entsprächen. Gleich zu Beginn wurde vom Landkreis darauf hingewiesen, dass strittige Fragen «ggf. durch Gerichte geklärt werden sollen». Es war ein Klima, dass die Veranstaltenden als einschüchternd empfanden.
Die weitere Planung verlief ebenfalls holperig. Ein gemeinsames Gespräch zwischen Behörde und CSD-Vertretern wurde bereits nach 20 Minuten abgebrochen, weil sich Miethig und Jentsch von der Ordnungsbehörde nicht verstanden fühlten. Daraufhin reagierte der Landkreis mit einer «Beschränkungsverfügung».
In dieser wird dem CSD untersagt, mit Fahrzeugen, auf denen sich Personen aufhalten, über den Köthener Bachplatz zu fahren. Die Durchfahrtsbreite des Platzes sei jedoch grösser, als die Breite der Fahrzeuge, beklagen Miethig und Jentsch. Zudem waren etwa 20 Versorgungs- und Informationsstände geplant. Der Landkreis schränkt nun ein, dass diese nur dann erlaubt seien, wenn sie «der Vermittlung des politischen Mottos der Versammlung dienen» würden.
Aus Sicht der Veranstaltenden besonders problematisch: Die Behörde kann selbst am Veranstaltungstag noch entscheiden, welcher der Stände ihren Vorgaben entspricht und welcher nicht. «Wenn selbst der Polizeistand plötzlich nicht mehr genehmigt werden soll, ist klar: Es geht nicht um Sicherheit – sondern um Verdrängung», sagt Falko Jentsch dazu. Auch wird es demnach beim 10-stündigen CSD in Köthen keine Versorgung mit Lebensmitteln und Getränken und auch keinen WC-Wagen geben.
Was die Veranstalter mit am meisten empört ist jedoch, dass die Vorfälle aus dem vergangenen Jahr, die sich gegen den CSD richteten, nun seitens des Landkreises genutzt werden, um die Einschränkungen zu rechtfertigen. «Was 2024 gegen uns verübt wurde, wird 2025 gegen uns ausgelegt. Das ist eine absurde Logik der Täter-Opfer-Umkehr», beklagt sich Julian Miethig.
So sehr der CSD in Köthen im vergangenen Jahr in vielen Teilen der Stadt auf Zustimmung stiess, haben Jentsch und Miethig auch versucht, bei der Oberbürgermeisterin der Stadt, Christina Buchheim, Mitglied der Partei Die Linke, Unterstützung zu bekommen. Denn anders als in grossen Städten wie Leipzig (MANNSCHAFT berichtete) ist man in kleineren Städten umso mehr auf Support angewiesen. Mehrmalige Gesprächsanfragen seitens der Veranstalter blieben «aus Zeitgründen», wie es aus dem Rathaus hiess, jedoch ergebnislos.
Gegenüber MANNSCHAFT äusserte sich Christina Buchheim nun zu den Vorgängen in ihrer Stadt. «Es steht uns nicht zu, die erteilten Auflagen der Versammlungsbehörde zu bewerten», sagt die Oberbürgermeisterin. «Nach Einschätzung der Stadt ist jedoch – mit Ausnahme eines Verbotes zum Alkoholausschank – den Anträgen der Veranstaltenden in den meisten Punkten zugestimmt worden», erklärt Buchheim. Wichtig sei allerdings, dass die öffentliche Sicherheit gewährleistet werde und die historische Bausubstanz durch Strassenparaden keinen Schaden nehme.
Die Stadt wolle den CSD «wohlwollend unterstützen». Die Pride-Fahne werde am Rathaus gehisst und einzelne Programmpunkte über Medienkanäle verbreitet. Man sei seitens der Stadt für die Veranstaltung «gerüstet», erklärt die Oberbürgermeisterin. Christina Buchheim wünscht sich, «dass der diesjährige CSD ohne Zwischenfälle abläuft und die Teilnehmenden eine wirklich gute Zeit in Köthen (Anhalt) haben.»
So richtig als Unterstützung dürften die Organisatoren des CSD in Köthen dies alles jedoch nicht wahrnehmen. Vielmehr fühlen sie sich gegenüber dem Landkreis ziemlich alleingelassen. Sie mussten sprichwörtlich um jede Minute kämpfen. Eigentlich wollten sie den CSD bis 22 Uhr laufen lassen - wie auch im Jahr zuvor. Doch die Behörde wollte die Veranstaltung nur bis 20 Uhr genehmigen. Erst als Miethig und Jentsch dann für 21:40 Uhr einen 20-minütigen Redebeitrag in die Planung hineinschrieben, gab die Behörde nach und genehmigte die Dauer bis 22 Uhr - der Redebeitrag soll sich mit der «Willkür der Ordnungsbehörde» befassen.
Am 12. Juli wird es dann also doch so weit sein. Von 12 – 22 Uhr findet der CSD in Köthen statt und beginnt auf dem Marktplatz der Stadt. «Der CSD ist politisch – und notwendig. Die Angriffe und Widerstände beweisen das Jahr für Jahr», sagt Falko Jentsch. «Wir lassen uns nicht kleinkriegen. Gemeinsam bleiben wir laut, sichtbar – und: Nie wieder still!»
Pride 2025: Alle CSD-Termine in Deutschland, Österreich und der Schweiz (MANNSCHAFT berichtete)
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