Praktikum beim CSD: «Junge Menschen sollten sich für Demokratie und Vielfalt einsetzen»
Elisa wollte von aussen einmal in die Arbeit der Community hineinblicken
Elisa ist selbst nicht queer und macht ein Praktikum beim CSD Magdeburg. Hier spricht die Studentin über ihre Erfahrungen.
«Die öffentliche Wahrnehmung beschränkt sich oft auf den eigentlichen Demonstrationstag», sagt Elisa, die in Magdeburg studiert.
«Was mich besonders überrascht hat, war das Ausmass der Arbeit, die hinter dem CSD und seinen zahlreichen Veranstaltungen steht», sagt sie ganz erstaunt. Sie fand schnell heraus, dass es sich dort um «ganzjähriges Engagment» handelte, sagt die 20-Jährige.
Derzeit kann sie in ihrem Praktikum dabei sein, wenn es darum geht, Veranstaltungen, politische Aktionen, Workshops und Kooperationsprojekte mitzuorganisieren. «Von kreativer, bis hin zur organisatorischer und politischer Arbeit ist vieles dabei», sagt Elisa.
Die 20-jährige Studentin der «European Studies» an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg musste für ihren Studiengang ein Pflichtpraktikum machen und schlug dabei einen Weg ein, den die meisten ihrer Kommiliton*innen nicht wählen. Und sie fühlt sich dort wohl. Was sie dort ebenfalls überrascht habe, sei gewesen, wie viel der Arbeit ehrenamtlich geleistet werde. «Der organisatorische Aufwand, die Koordination mit Behörden, die Vernetzung mit anderen Initiativen und vieles mehr sind äusserst komplex», sagt Elisa, «und es ist beeindruckend, mit welchem Engagement dies alles getragen wird.»
Dabei ist Elisa selbst gar nicht queer und wollte gerade mit diesem Blick von aussen einmal in die Arbeit der Community hineinblicken. Voraussetzung dabei war für sie aber: «Ich war auch vor meinem Praktikum beim CSD Magdeburg eher progressiv eingestellt» wie sie sagt. Nach mehreren Wochen im Praktikum hat sich ihre Perspektive aber dennoch verändert: «Es ist nochmal eine ganz andere Erfahrung, Teil einer CSD-Organisation zu sein, als es nur von aussen mitzubekommen oder darüber zu lesen.»
Doch was hat sie gereizt, beim CSD zu arbeiten? Dies sei die aktuelle politische Lage in Deutschland, insbesondere das Erstarken queer-feindlicher und rechtspopulistischer Positionen, was ihr Interesse an einem gesellschaftspolitischen Engagement weiter verstärkt habe. «Ich bin überzeugt davon, dass gerade junge Menschen Verantwortung übernehmen und sich aktiv für demokratische Grundwerte und Vielfalt einsetzen sollten», sagt Elisa. Ausserdem wollte sie in ihrem Praktikum nicht nur berufliche Kompetenzen erwerben, sondern auch einen Beitrag zu etwas leisten, das ihr persönlich sehr wichtig sei, «Jede*r sollte frei leben können.»
Positiv ist ihr im Magdeburger CSD aufgefallen, wie offen und wertschätzend die Atmosphäre dort sei. Die Zusammenarbeit sei geprägt von gegenseitigem Respekt, Solidarität und einem starken Gemeinschaftsgefühl. Trotz der Vielfalt an Hintergründen und Erfahrungen entstehe ein spürbares Gefühl von Zusammenhalt – fast wie in einer grossen Familie, erklärt Elisa.
Dass sie dieses Praktikum nun ausgerechnet in Magdeburg macht, ist wohl hauptsächlich ihrem Studienort geschuldet. Dennoch sieht sie gerade in Ostdeutschland und auch in der Region rund um ihre Studienstadt grossen Handlungsbedarf. «Trotz aller Fortschritte zeigt sich immer wieder, dass queeres Leben in Sachsen-Anhalt nicht selbstverständlich geschützt oder akzeptiert ist,» sagt Elisa. Ein besonders alarmierendes Beispiel sei der Vorfall in Wernigerode. Dort ist Anfang Juni ein Anschlag auf den dortigen CSD verhindert worden. «Solche Ereignisse machen deutlich, wie präsent Queerfeindlichkeit ist – nicht nur in Form von Vorurteilen oder Diskriminierung, sondern auch als reale Bedrohung», sagt Elisa.
So sieht es auch Falko Jentsch vom Magdeburger CSD. «In Magdeburg spüren wir aktuell wachsenden Gegenwind, sowohl durch rechte Mobilisierung als auch durch bürokratische Hürden auf kommunaler Ebene», erklärt er. Es fehle nicht nur an langfristiger institutioneller Unterstützung, sondern auch an konsequentem politischen Rückhalt – gerade wenn es um die Sicherheit und Sichtbarkeit queerer Menschen gehe.
Hinzu komme aber derzeit eine «zunehmende Politisierung unserer Arbeit», wie Falko sagt. Dies liege seiner Wahrnehmung nach daran, weil die gesellschaftliche Akzeptanz stagniere oder sogar rückläufig sei. Bedrohungen, Gegenproteste und der Versuch, queere Sichtbarkeit aktiv zu verdrängen, nähmen zu. Was früher selbstverständlich schien – eine bunte, friedliche Veranstaltung – werde heute wieder zu einem politischen Kraftakt. «Wir müssen mehr absichern, mehr erklären, mehr kämpfen. Und das alles ehrenamtlich», sagt Falko.
Dabei betont er besonders die Situation queerer Menschen aus dem ländlichen Raum. Dort seien «queere Strukturen oft kaum vorhanden, Sichtbarkeit ist mit persönlichem Risiko verbunden, und es fehlt an Rückzugsorten, Empowerment-Angeboten und Allianzen vor Ort», sagt Falko. Man arbeite aus Magdeburg heraus bewusst daran, CSDs in kleineren Städten zu ermöglichen. Allerdings stosse man dabei «regelmässig auf Desinteresse, Unsicherheiten oder sogar offene Ablehnung seitens lokaler Verwaltungen», beklagt Falko.
In den vergangenen Jahren sei die Anzahl der CSDs in Sachsen-Anhalt gewachsen. Dabei meldeten sich immer häufiger kleinere Gruppen oder Einzelpersonen aus dem ländlichen Raum, die den Mut hätten, zum ersten Mal einen eigenen CSD zu organisieren. «Genau dort setzt unsere Arbeit als Christopher-Street-Day Sachsen-Anhalt e.V. / CSD Magdeburg e.V. an: Wir unterstützen, beraten und helfen bei der Planung, Finanzierung und Umsetzung, damit queere Sichtbarkeit auch ausserhalb der Städte möglich wird», sagt Falko, der schon viele CSDs organisiert hat.
Auch Elisa wünscht sich infolge ihrer Erfahrungen im Praktikum beim CSD in Magdeburg mehr Sichtbarkeit, Aufklärung und konkrete Schutzräume für queere Menschen, gerade auch im ländlichen Raum. Dabei sollten auf CSD-Veranstaltungen «queere Lebensrealitäten sichtbar gemacht, gesellschaftliche Missstände benannt und konkrete politische Forderungen formuliert werden», findet Elisa. Dies ginge aber nicht nur einmal im Jahr, sondern sei eine dauerhafte Aufgabe. Geschehen müsse dies «durch Bildungsarbeit, durch Präsenz im öffentlichen Raum und durch politischen Druck». Schön fände sie es auch, wenn es noch mehr Vernetzung zwischen verschiedenen Initiativen, Organisationen und Einzelpersonen gäbe. Eben ein noch stärkeres «solidarisches Miteinander».
Darum würde sie ein solches Praktikum auch weiterempfehlen – und zwar «auch anderen nicht-queeren Menschen». Es sei wichtig, sich auch mal «ausserhalb der eigenen Perspektive» wiederzufinden. Denn es sei «wirklich spannend, mehr über die Menschen und ihre unterschiedlichen Lebensrealitäten zu erfahren. Jeder bringt eine eigene Geschichte mit», findet Elisa. «Man bekommt ein viel grösseres Bewusstsein dafür, wie vielfältig unsere Gesellschaft eigentlich ist – auch wenn einem das im Alltag oft gar nicht so auffällt.»
Mehr lesen: Der Regenbogen sorgt für Knatsch bei einer kirchlichen Schuleröffnung (MANNSCHAFT berichtete)
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