«Ist es einfacher, mein Geschlecht zu ändern – oder ihre Meinung?»

Pauli Murray kämpfte einen queeren amerikanischen Freiheitskampf

Pauli Murray (Foto: FDR Presidential Library & Museum)
Pauli Murray (Bild: Foto: FDR Presidential Library & Museum)

Pauli Murray kämpfte für Frauenrechte und gegen Rassismus - und war selbst queer. Anerkennung fehlt bis heute. Nun steht der 40. Todestag (1. Juli 1985) an.

Pauli Murray war Jurist*in, Dichter*in, Theolog*in, Feminist*in und Bürgerrechtler*in. Allein die verschiedenen Tätigkeitsbezeichnungen zeigen, wie vielfältig Murray war. Vielfalt war nicht nur in die beruflichen Tätigkeiten, sondern auch in die Biografie als ganze eingeschrieben. Nicht konform mit den damals vorherrschenden Rollenbildern zu sein kennzeichnete Paulis Leben. Und viele sehen das bis heute so, weshalb die Trump-Regierung auch die Erinnerung an sie leise unsichtbar macht. Murray hat ein Leben lang gegen das protestiert, wo sie sich ungerecht behandelt gefühlt hatte. «Eine Person und eine Schreibmaschine erzeugen eine soziale Bewegung» war das Motto.

1910 geboren als Anna Paulina Murray, fühlte sich Murray nicht nur später in der sozialen Umwelt als Schwarze und als von anderen als Frau gelesene Person nicht wohl, sondern auch im eigenen Körper fremd. Murray zog schon als junger Mensch ungern Kleider an, trug kurze Haare. Fühlte sich nicht als Frau, glaubte, dass es im Körper versteckte männliche Geschlechtsorgane geben müsse. Murray bat mehrfach Ärzt*innen darum, nach ihnen zu suchen. Doch die fanden nie etwas, oder versuchten es erst gar nicht. Schon früh Pauli forderte auch dazu auf, dass ihr Testosteron gespritzt werden sollte. Auch dies wurde nicht gestattet.

Pauli Murray (Foto: FDR Presidential Library & Museum)
(Bild: Foto: FDR Presidential Library & Museum)

Bereits in jungen Jahren setzte sich Murray durch die Lektüre von Texten etwa des Berliner Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld mit Fragen der Sexualität und der Geschlechter auseinander. Pauli spürte dabei einen inneren Wunsch, «Hosen zu tragen, einer der Männer sein zu wollen, Dinge zu tun, die die Kerle tun. Es zu hassen, von Frauen unterworfen zu werden, ausser, wenn ich sie liebe». Den Begriff homosexuell fand Pauli aber für sich selbst als unpassend und interessierte sich stattdessen vor allem für heterosexuellen Frauen.

Dementsprechend hielt eine eine Ehe zu einem Mann nicht sehr lange, das Paar trennte sich bereits nach wenigen Wochen wieder. «Wie kommt es, dass irgendetwas in mir anfängt zu kämpfen, wenn Männer mit mir Liebe machen wollen?», fragte Murray sich. Daraufhin reiste Pauli mit Freundinnen durch die USA und schrieb einen Reisebericht mit der Erzählperson Pauli, einer Person, die keine festgelegten Geschlechterrollen hatte. Diesen Namen nahm Murray dann auch für sich an.

Die Ausgangsvoraussetzungen für eine schwarze Person waren relativ schlecht, um eine solch steile Karriere zu machen. Im Land der Rassentrennung wuchs Pauli in North Carolina auf, das zu den Südstaaten gehörte, was die Schwarzen dort auch zu spüren bekam. Obwohl Pauli Bestnoten an der Schule hatte, war ein Studium an der Uni von North Carolina nicht möglich. Murray liess sich dies nicht gefallen und protestierte und schrieb sogar einen Brief an die Frau des damaligen US-Präsidenten, Eleanor Roosevelt.

Der brachte zwar unmittelbar nichts, doch der Kontakt der beiden sollte später intensiver werden. Murray konnte zäh und widerspenstig sein - ein kettenrauchender, kaffetrinkender «Hitzkopf», wie die First Lady der USA einmal schrieb. Dass sich Pauli nicht mit der Diskriminierung jener Zeit abfinden wollte, zeigte sich auch, als Pauli sich in einem Bus auf Plätze setzte, die nur für Weisse Menschen reserviert waren. Das war 15 Jahre bevor ein ähnlicher Protest durch Rosa Parks landesweit Aufsehen erzielen sollte.

Studieren konnte Murray dann in Washington an der Howard University und wurde hier als einzige nicht-männliche Person aufgenommen. Dabei fiel Pauli etwas auf, das erst viel später viele andere Wissenschaftler*innen beschäftigen sollte. Dass nämlich in Rassismus und Sexismus ähnliche Mechanismen ablaufen und die Diskriminierungen Überschneidungen haben. Das, was später Intersektionalität genannt werden sollte.

Pauli Murray (Foto: FDR Presidential Library & Museum)
(Bild: Foto: FDR Presidential Library & Museum)

Nach dem Studium an der Howard, wollte Murray in Harvard weitermachen, wurde jedoch ebenfalls nicht genommen, weil damals dort noch keine Frauen studieren konnten. Die Jurist*in konterte dies wie folgt: «Meine Herren, ich würde mein Geschlecht ja ändern, um Ihren Anforderungen zu genügen, aber da mir keine Möglichkeit dazu bekannt ist, bleibt mir nichts anderes übrig, als Sie dazu aufzufordern, Ihre Meinung zu ändern. Oder ist das eine so schwierig wie das andere?» Mit dem Doktortitel klappte es erst ein paar Jahre später an der Yale University. Pauli war dort die erste Schwarze, als Frau gelesene Person, die ihren Doktor machen konnte. Von da an liess Pauli sich Dr. Murray nennen, damit niemand mehr Mrs. Murray sagen musste.

Bis dahin und auch danach fand Murray Arbeit in einer New Yorker Anwaltskanzlei. Zwischenzeitlich gab es auch immer wieder literarische Auszeiten, wie in einer Künstlerkolonie, dort traf Murray auf James Baldwin. In diesen Jahren fand auch die Begegnung mit Irene Barlow statt, die für beider Leben prägend sein sollte. Irene wurde zu einer zentralen Person in Paulis leben. Beide sollten von da an lange zusammenleben.

In den 60er Jahren erfolgte dann der Schritt auf die grosse politische Bühne. 1963 kam eine Einladung in die von Präsident John F. Kennedy gegründeten Presidential Commission on the Status of Women. Pauli beschäftigte sich im Rahmen dieser Arbeit zunehmend mit dem Sexismus der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und deren vornehmlich männlichen Führungsfiguren, was innerhalb der Bewegung auf viel Widerstand stiess. Dabei hatte Dr. Murray wesentlichen Einfluss darauf, dass der Civil Rights Act auch die Diskriminierung wegen des Geschlechts verbot. Murray schaffte in den eigenen Arbeiten Grundlagentexte, auf die sich viele Jurist*innen und Aktivist*innen in der Bürgerrechtsbewegung lange beriefen. 1966 war Murray zudem Gründungsmitglied der National Organization for Women.

Nach all der Ablehnung im universitären Bereich folgte dann 1968 doch noch der Ruf auf eine Professur. Murray war ab diesem Zeitpunkt Amerikanistikprofessor*in an der Brandeis Uni in Massachusetts. Doch auch diese Tätigkeit hielt nicht lange an. Nach wenigen Jahren entschied sich Murray für einen radikalen Schritt. Als ihre Freundin Irene ernsthaft erkrankte und dann 1973 starb, wendete sich Murray dem Glauben zu. Das neue Ziel: Priester*in in der Episkopalen Kirche zu werden - obwohl es dort zu dem Zeitpunkt gar keine Frauen in einem solchen Amt gab. Doch wie so oft schaffte die mittlerweile ausgebildete Theolog*in, was anderen nicht gelang: 1976 wurde Murray tatsächlich zur ersten schwarzen Priesterin ihrer Kirche geweiht.

Murray gilt heute als Vorbild in der queeren Szene, obwohl es eigene Aussagen zu Empfindungen und Identität immer nur ansatzweise gibt. In Bürgerrechtskreisen ist sie nach wie vor bekannt und wird geschätzt. Immerhin erschien in den letzten Jahren die Dokumentation «Ich bin Pauli Murray» auf Prime. 2021 benannte die Yale University ein College nach ihr. Gleichzeitig arbeiten rechte Kreise in den USA und sogar die Regierung daran, ihr Andenken vergessen zu machen.

Auf der Website des U. S. National Park Service, das die nationalen «Landmarks» des Landes auflistet, ist der Beitrag zur ihr gelöscht worden. Erst 2016 wurde ihr Geburtshaus zum National Historic Landmark erklärt. Und seit 2025 entzieht die Trump-Regierung dem staatlichen Institut für Museen und Bibliotheken weitgehend die Finanzierung, von dem auch das Murray Center finanziert wird.

So wechselvoll das Leben der Jurist*in, Theolog*in und Kämpfer*in war, so stark wird auch deutlich, dass Murray es schwer hatte, sich zugehörig zu fühlen. Häufige Wechsel der Tätigkeiten gehörten ebenso zum Leben, lange hielt es Murray nirgends aus. Und doch ging es Murray immer eher darum, etwas Neues zu versuchen, als sich irgendwo anzupassen, oder falsche Kompromisse einzugehen. «Ich bin meiner Zeit immer voraus», sagt Murray sehr weitsichtig bereits früh in ihrem Leben.

Rechte ausgebootet: «Stolzmonat» gehört queerem Influencer Fabian Grischkat (MANNSCHAFT berichtete)

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