James Baldwin: «Liebe ihn und lass ihn dich lieben»
Vorbild im Kampf gegen Rassismus und Queerfeindlichkeit
James Baldwin wäre an diesem Freitag 100 Jahre alt geworden. Er war schwarz und er war schwul. Und gerade diese Kombination macht seine Texte heute so aktuell.
«Was soll der Vorwurf, die gleichgeschlechtliche Liebe sei wider die Natur, wenn sie so alt ist wie die Menschheit selbst?», fragte der 25-jährige James Baldwin schon 1949 wütend in einem Essay. Er setzte sich bereits damals sehr differenziert mit Vorurteilen und Machtstrukturen zum Thema Homosexualität auseinander, die einem teilweise heute noch, manchmal auch nur unterschwellig, begegnen. Als der Text erschien, war Baldwin schon in seinem Pariser «Exil», wohin er gezogen, oder eher geflohen war. In den USA hielt er es wegen der Diskriminierungen, die er dort als Schwarzer erleben musste, nicht mehr aus.
Bei dieser Entscheidung, das Land zu verlassen, spielte aber wohl mehr als der Rassismus eine Rolle, sagt René Aguigah, der die kürzlich erschienene Biografie «James Baldwin – Der Zeuge. Ein Portrait» veröffentlicht hat. «Ich glaube, die Sehnsucht, seine Sexualität in einer für ihn weniger repressiven Umwelt sich entfalten zu lassen, hat zu diesem Entschluss, zu dieser Flucht, mit beigetragen». In Paris konnte er dann freier leben. Diese Freiheit fand er auch woanders. Neben Frankreich war später etwa auch Instanbul ein Ort, an dem er sich wohl fühlte, weil es dort «ein lebendiges homosexuelles Leben gegeben» habe, sagt sein Biograf.
Rassendiskriminierung und Homophobie Zu dieser Zeit hatte Baldwin schon seine Jugend und sein junges Erwachsenenleben im New Yorker Stadtteil Harlem hinter sich. Dort erlebte er vieles von dem, was in seinen Texten später eine Rolle spielen sollte. Rassendiskriminierung, Kriminalität, Armut und sicher auch Homophobie. Er wurde von all dem stark geprägt, verhärten und abstumpfen lassen sollte es ihn dies aber nicht.
Dazu bei trug sicher auch, dass er eine gute Beziehung hatte zu seiner Lehrerin Orilla Miller, einer Weissen Frau. Sie brachte ihm die Literatur und das Theater nahe – ganz zum Missfallen seines streng religiösen Stiefvaters. Dem guten Kontakt zu Miller habe er es zu verdanken, dass er später niemals anfing, Weisse Menschen an sich zu hassen, wie er einmal sagte.
Baldwin arbeite als junger Mann in New York als Gleisarbeiter und in der Fleischindustrie, um Geld für sich und die Familie zu verdienen. Auch veröffentlichte er zu der Zeit schon Essays und Rezensionen. Doch hielt er eben irgendwann die Benachteiligungen und Anfeindungen nicht mehr aus, die er dort erleben und mit ansehen musste. Als Lösung schien ihm da nur noch, wie er es nannte, die Pariser «Selbstexilierung».
Neue Erfahrung in der Schweiz In Frankreich fing er neu an und lernte den damals 17-jährigen Schweizer Lucien Happersberger kennen und lieben. Auch wenn Lucien bald eine heterosexuelle Beziehung eingegangen war, blieben beide freundschaftlich verbunden. Lucien war es auch, der ihn mehrmals in die Schweiz mitnahm. So auch nach einem mentalen Zusammenbruch Baldwins, infolgedessen er sich in Leukerbad erholen sollte.
In dieser dörflichen Schweizer Gegend machte er dann eine ganz neue Erfahrung: Er erlebte einen Alltagsrassismus, der ganz anders war, als das, was er in den USA gesehen hatte. Diesen scheinbar unbefangenen Rassismus, der mehr auf Unkenntnis beruhte, als auf böser Absicht, verarbeitete er in dem Essay «Stranger in the Village», in dem er auch aus der räumlichen Distanz heraus über den Rassismus seines Heimatlandes reflektierte. Dies war im Jahr 1953, ab dem nun weitere wichtige Veröffentlichungen folgen sollten.
So erschien im selben Jahr zunächst «Go Tell It on the Mountain» (deutscher Titel: «Von dieser Welt»), in dem er die halbbiografische Geschichte der Figur John Grimes erzählt, eines jungen Schwarzen aus New York. Zwei Jahre später erschien «Notes of a Native Son» (dt: «Von einem Sohn dieses Landes»), eine Essaysammlung, die sich mit den eigenen Erfahrungen als Schwarzer in den USA und den Bedingungen der afro-amerikanischen Community auseinandersetzte.
1956 dann, immer noch aus Paris heraus, veröffentlichte er das Buch, was ihn bei vielen queeren Menschen bekannt machte. «Giovanni‘s Room» erzählt die Geschichte des Weissen Mannes David, der mit einer Frau verlobt ist und der sich in Frankreich in den Italiener Giovanni verliebt. «Liebe ihn und lass ihn dich lieben. Glaubst du, etwas anderes zählt?», wird ihm gesagt. Doch David scheitert an dieser Liebe, an seiner Furcht und an sich selbst.
Es geht darum, was mit einem passiert, wenn man Angst hat, jemanden zu lieben
Baldwin zeigt darin die Zwänge jener Zeit, die queeren Menschen die Luft zum Atmen nahmen. Er macht auch deutlich, wie sich diese verweigerte Liebe nicht nur gegen sich selbst richtet, sondern auch andere mit ins Verderben reisst. Wie aus Angst Schuld entsteht. «Es geht darum, was mit einem passiert, wenn man Angst hat, jemanden zu lieben», sagte James Baldwin selbst später über seinen Roman.
«Wir sind alle androgyn» Dass Baldwin queere Personen in seinen Erzählungen auftauchen liess, blieb aber kein Einzelfall. In dem Roman «Another Country» (dt. «Ein anderes Land») aus dem Jahr 1962 versucht eine junge Frau zu verstehen, warum sich ihr Bruder das Leben genommen hat. Eine zentrale Figur dieser Geschichte ist Eric, ein schwuler Mann. In einem von Baldwins Spätwerken, «Just above my head» (dt.: «Zum Greifen nah») von 1979, kommt ebenfalls eine queere Thematik vor. Darin versucht ein Mann den plötzlichen Tod seines schwulen Bruders zu verarbeiten.
James Baldwin bezog auch in Interviews Stellung zum Thema Homosexualität. Wenn man sich in einen Mann verliebe, so Baldwin, verliebe man sich eben in einen Mann. «Der Umstand, dass viele Amerikaner*innen das als Ausdruck einer Krankheit ansehen, sagt mehr über sie aus, als über Homosexualität». Wie aus heutiger Sicht modern Baldwin schon queertheoretische Fragen gedacht hat, darauf weist sein Biograf René Aguigah hin. So habe Baldwin den Begriff «homosexuell» weniger als etwas Feststehendes verstanden. Es ging ihm eher «um eine Praxis, die vor allem durch den tatsächlichen Lebensvollzug Wirklichkeit wird.» Weniger eine starre Kategorie, sondern eher etwas, dass durch individuelles menschliches Handeln entsteht, stand ihm im Sinn.
Ähnlich fortschrittlich sind noch heute jene Gedanken, die Baldwin bereits in den 80er Jahren formulierte. Alle bekannten Kategorien, etwa männlich und weiblich, heterosexuell oder nicht, Schwarz oder Weiss, «wurden Gott sei Dank schon sehr früh in meinem Leben zerschlagen», sagte Baldwin. «Wir sind alle androgyn» weil jede Person etwas vom Anderen enthalte: männlich in weiblich und umgekehrt, ebenso bei Schwarz und Weiss. «Wir sind ein Teil des Anderen», sagt Baldwin.
So sehr es in der damaligen Gesellschaft noch Widerstände gab, so wenig habe Baldwin seine Homosexualität in seinem Privatleben versteckt, sagt René Aguigah. Baldwin sei auch solidarisch mit der queeren Emanzipationsbewegung gewesen. Doch anders als im Kampf gegen Rassismus sei Baldwin in der «Gay Liberation» nicht als Aktivist aufgetreten. Vielmehr habe er eher ein Selbstverständnis als «Zeuge der homosexuellen Erfahrung» gehabt, erklärt sein Biograf.
Vielleicht erklärt dies auch, warum sich in der deutschen queeren Emanzipationsbewegung nicht übermässig viel Einfluss von Baldwin feststellen lässt. Jenseits von «Giovannis Zimmer» habe man wenige Dokumente über James Baldwin im eigenen Bestand, sagt Jan Künemund vom Schwulen Museum Berlin. Auch habe es in den damaligen queeren Medien 1987 keine Nachrufe gegeben. Dies könne aber, so Künemund, auch an etwas anderem liegen: Intersektionalität – Baldwins Mehrfachdiskriminierung als Schwarzer und als schwuler Mann – «war damals scheinbar noch etwas Überforderndes». Vielmehr sei der Schriftsteller vielerorts als Schwarzer auf die «Race»-Thematik festgelegt worden.
Vielleicht erklärt dies auch, warum sich in der deutschen queeren Emanzipationsbewegung nicht übermässig viel Einfluss von Baldwin feststellen lässt
Malcolm X, Martin Luther King und Medgar Evers Dies fiel wohl auch deswegen leicht, weil Baldwin ab den späten 50ern noch einmal ganz anders die Öffentlichkeit suchte. Als er 1957 zurück in die USA ging, begann er, aktiv gegen Rassendiskriminierung Stellung zu beziehen. Er hielt Reden, gab Interviews und sass in Talkshows. Er wurde zu einer massgeblichen Stimme in dieser Bewegung, schaffte es sogar auf das Cover des TIME-Magazine.
Er traf auch Malcolm X, Martin Luther King und Medgar Evers. Doch nach vielen Auseinandersetzungen dieser Jahre, manchen Rückschlägen und besonders nach den Morden an diesen drei Männern, begann Baldwin, sich 1970 wieder nach Paris zurückzuziehen. Dort blieb er noch 17 Jahre, bis er 1987 starb.
Seine Wirkung über den Tod hinaus musste sich erst langsam entwickeln. Besonders aber in den letzten Jahren ist sein Name wieder viel präsenter geworden. Der Film «I am not your Negro» hatte 2016 besonders infolge der Zunahme rassistischer Gewalt in den USA bereits grosse Aufmerksamkeit ausgelöst. Und nicht zuletzt in der queeren Community erhält Baldwin nun, wenn auch etwas verspätet, einen prominenteren Platz. 2014 wurde er als einer der ersten auf dem «Rainbow Honor Walk» in San Francisco geehrt und seit 2019 wird ihm am «Stonewall National Monument» in New York gedacht.
(Der Film ist bei der Bundeszentrale für politische Bildung kostenlos streambar)
Rückblickend scheint gerade diese Verknüpfung der Aspekte Gender, sozialer Klassen und «Race» das zu sein, was ihn heute noch aktuell und anschlussfähig macht. Eben das miteinander Verbundene, Vernetzte, aber auch ambivalent und Widersprüchliche von Menschen und Situationen. Wie Baldwin selbst einmal gesagt hat, dürfe der Schriftsteller seinen Figuren keine «Etiketten» anheften, sie nicht einfach nur schlicht als Angehöriger einer bestimmten Gruppe darstellen. Erst wenn er dies nicht tue, könne der Schriftsteller «uns etwas darüber erzählen und offenlegen, wie tief alles, was mit Menschen zu tun hat, ineinandergreift.»
Lesetipp: René Aguigah: James Baldwin – Der Zeuge. Ein Porträt, C.H. Beck Verlag, 233 Seiten
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