Laskaar: «Ich wollte lange nicht als queer Artist bezeichnet werden»
Am 24. September erschien seine neue Single «OK»
Singer-Songwriter Laskaar, aufgewachsen als Kind spanischer Eltern im Kanton Aargau, lebt und arbeitet seit einigen Jahren zwischen Zürich und Madrid. Das hat damit zu tun, dass er auf spanisch schreibt und singt – aber nicht nur. Im Oktober erscheint endlich sein erstes Album.
Es scheint ein sonniger Nachmittag zu sein in Madrid, als Laskaar per Videocall auf dem Bildschirm erscheint. Seine helle Wohnung ist geschmackvoll eingerichtet, schickes Design trifft auf witzige Lockerheit; man merkt, dass darin ein Multitalent wohnt, das nicht nur musikalisch, sondern auch visuell begabt ist.
Laskaar wählt Outfits für seine Foto- und Videoshootings sorgfältig aus, und die Tatsache, dass er als Kind Trickfilmzeichner werden wollte, erstaunt nicht weiter. Hinter ihm hängt ein grossformatiges Poster von Pedro Almodóvars «La Ley del Deseo – Das Gesetz der Begierde», und spätestens wenn er beginnt, von der Kunstszene Madrids zu schwärmen, wird klar: Wir haben es mit jemandem zu tun, der eine starke Verbindung zu Spanien hat.
Laskaars Imaginarium zeichnet sich durch Diversität, Sichtbarkeit und Inklusion aus; in seinen Videos wimmelt es nur so von queeren Gestalten wie Dragqueens oder auch trans bzw. nicht-binären Personen in exzentrischen Outfits. Oft in schummriges Licht und harten Schatten gehalten, fühlen sich die Clips wie Fieberträume eines wilden Nachtlebens voller Freiheit an.
«Enemigo» tänzelt auf dem Grat zwischen toxischer Maskulinität und Homoerotik; darin raufen sich durchtrainierte Boys mit Mackerattitüde und kommen sich dabei gefährlich nahe. In einer Szene rasiert einer von ihnen mit fast zärtlichen Bewegungen Laskaar den Kopf ab, und dieser geniesst die Situation sichtlich.
Seine Albumcovers hingegen sind gerne futuristisch und vom Posthumanismus beeinflusst: «Björk mit ihren visionären Experimenten war in der Hinsicht immer ein grosses Vorbild für mich.» Er sei Meister darin, Lowbudget-Produktionen teuer und professionell aussehen zu lassen, denn er schaffe es immer irgendwie, talentierte Leute ins Boot zu holen.
Obwohl er eigentlich überzeugt sei, dass Musik nicht zwingend eine visuelle Ebene brauche, um transportiert zu werden, sei er sich bewusst, dass das heutzutage fast nicht mehr anders gehe.
In Zeiten von Social Media müsse das Publikum oft auch durch Ästhetik, Kostüme und die besagten (Kurz-)Videos überzeugt werden. «Ich mache mir allerdings schon Gedanken darüber, was ich in Sachen Visuals als nächstes machen soll», schmunzelt er in die Kamera, «vielleicht eine Art Anti-Ästhetik als Antwort auf all die Erwartungen.»
«Ich war oft der mit dem Dazwischen-Gefühl. Nicht ganz hier, nicht ganz dort. Heute kommt mir das zugute, weil ich mich in der Musik sowohl sprachlich als auch stilistisch frei bewegen kann.»
Laskaar
Der lange Weg ins Rampenlicht Eine Kindheit mit Migrationshinter- bzw. Vordergrund: im Privaten Spanisch, in der Öffentlichkeit Schweizerdeutsch. «Ich war oft der mit dem Dazwischen-Gefühl», erzählt er nachdenklich. «Nicht ganz hier, nicht ganz dort. Heute kommt mir das zugute, weil ich mich in der Musik sowohl sprachlich als auch stilistisch frei bewegen kann.»
Flamenco habe er sowieso im Blut, da seine Eltern aus Andalusien stammen würden und ihre Volksmusik oft gehört hätten. Flamenco gesungen habe er zwar noch nie, aber «wer weiss, vielleicht schon bald».
Angefangen hatte alles mit dem Klavier, das er von seinen Eltern geschenkt bekam. Er fing wie viele andere an, Unterricht zu nehmen und nach Noten zu spielen; doch es dauerte nicht lange, bis er begann, sich mehr für eigene Akkorde und Kompositionen zu interessieren.
Eines Tages nahm er dann mit einer Freundin an einer Talentshow im Aargau teil, und in dem Moment sei ihm klar geworden, dass er weiterhin auf der Bühnen stehen wollen würde. Inspiriert gefühlt habe er sich vor allem von grossen Soulgrössen wie Stevie Wonder, Whitney Houston und Donny Hathaway. «Auch Lauryn Hills fulminanter Auftritt im Film «Sister Act» war für mich damals eine Art Offenbarung», sagt er etwas verliebt. Später habe ihn dann vor allem der Neo-Soul von Erykah Badu und D’Angelo begeistert.
Bevor die Aufmerksamkeit der Publikums als Solokünstler nur ihm galt, sammelte er erstmal Erfahrung als Background-Sänger für nahmhafte Schweizer Acts wie Seven, Marc Sway, Michael von der Heide und Nubya – das ermöglichte ihm, auch für Nelly Furtado und Tom Odell zu singen, als diese am «Art on Ice» auftraten.
«Anders als allgemein angenommen, reicht es nicht, eine gute Stimme zu haben, um Vocalist zu sein», führt er aus, «du musst etwas von Harmonien verstehen und fähig sein, die zweite und dritte Stimme eines Songs zu singen.» Als Autodidakt habe das vor allem eins bedeutet: viel Selbststudium. Gleichzeitig begann Laskaar, Musik und Texte für befreundete Künstler*innen wie Steff la Cheffe, Dodo oder Jedet zu schreiben.
Überraschende Wende Die Debüt-EP hiess «Never Met You» (2016) und wie der Titel vermuten lässt, waren deren Songtexte noch alle auf Englisch. Elektronischer Soul, düstere Rhythmen, die etwas an Woodkid erinnern, und mittendrin Laskaars warmer, gefühlvoller Gesang. Auch seine zweite EP «Sirens» (2019) sollte noch englischsprachig sein, aber dazwischen geschah etwas Unerwartetes: Nach seinem ersten Auftritt in Madrid sei er von der spanischen Sprache und Kultur angefixt worden.
Das Resultat davon war sein erster Song auf Spanisch «Traición» – es sollten noch viele weitere folgen. Mit leuchtenden Augen erzählt er: «Damals begann ich mitzukriegen, was in aktuellen Kulturszene Spaniens läuft. Interessante Leute wie Rosalía, Bad Gyal und Palomo Spain waren gerade in den Startlöchern und es fühlte sich an wie eine kleine Revolution.»
Mit der lokalen Szene habe er damals alles andere als innovative Kunst verbunden: «Ich merkte plötzlich, dass Spanien auch cool sein kann.» Gleichzeitig habe die spanische Sprache in seinem Leben wieder eine grössere Bedeutung bekommen. Er habe gemerkt, dass sie viel mit Kindheit und Familie zu tun habe und darum näher an seinen Gefühlen sei als Englisch oder Deutsch.
2021 folgte dann logischerweise «777», ein spanischsprachiges Mixtape, wie er es nennt. Darauf singt er immer wieder von unerwiderter oder vergangener Liebe, und manchmal auch von der Schönheit des Alleinseins; nie abstrakt, immer ehrlich und direkt. «Authentizität ist mir wichtig, und ich halte nicht viel von Metaphern», meint der Musiker überzeugt.
Sprache könne nämlich auch klassistisch sein, denn: «Was bringt es, wenn gewisse Leute vor lauter Symbolik deine Texte nicht mehr verstehen?» Dies sei auch der Grund, weshalb Kunstfigur und Privatperson in seinem Fall so nahe beieinander seien; Musik sei einfach zu persönlich und intim, um eine abgehobene Version von sich zu kreieren.
Laskaars Kopfsprung in die spanische Kunst- und Kulturwelt liess sich nicht mehr aufhalten, denn schon bald zog er für einige Monate nach Madrid. Es dauerte nicht lange und der aufstrebende Künstler begann, auch dank seiner offenen und selbstsicheren Art, sich ein Netzwerk aufzubauen.
Besonders die junge, alternative und queere Szene hatte es ihm angetan, und mittlerweile zählen einige Leute des queeren Who-is-who’s zu seinem Freundes- und Bekanntenkreis.
Teilnehmer*innen von «Drag Race España» wie Hugáceo Crujiente und Arantxa Castilla-La Mancha, oder auch Samantha Hudson und Yenesi, die zu den ersten bekannten trans Schauspielerinnen Spaniens gehören. Einige Kontakte entstanden physisch, viele andere digital: «Social Media kann oberflächlich sein, muss aber nicht. Es kann darüber auch ein ehrlicher Austausch stattfinden.»
Mittlerweile ist Laskaar in Spanien längst selbst ein Begriff im queeren Kunstschaffen. Ein schwuler cis Mann auf dem Spektrum Soul, R’n’B und House, der mit abgefahrener Ästhetik auf Queer Visibility setzt? Ziemlich einzigartig im spanischen Musikpanorama.
Spotify nahm ihn deshalb kürzlich in die renommierte Playlist «Glow» auf. An dessen Gala-Event trug Laskaar einen mit einem halbnackten Muskelmann bedruckten Anzug: Eine Kreation seines guten Freundes Julian Zigerli aus Zürich, der dafür mit Tom of Finland zusammenspannte – Gayness par excellence. Und auch diesmal das für Laskaar typische Aufeinandertreffen von Spanien und der Schweiz, jenen zwei Ländern, zwischen denen er mittlerweile pendelt.
Schwule Selbstliebe Wenn man Laskaars Erzählungen zuhört, klingt es fast so, als würde er schon sein Leben lang nichts anderes kennen als queere Selbstverständlichkeit. Die Realität sieht allerdings anders aus, denn zumindest als Künstler hatte er sein Coming-out relativ spät: Die Single «Maricón» (zu Deutsch «Schwuchtel», ein abschätziger Ausdruck, den sich die spanische gay community später positiv aneignete) sei eine Art Bekenntnis zur eigenen Homosexualität gewesen.
Im dazugehörigen Video sieht man eine Gruppe queerer Menschen, die vor weissem Hintergrund in einem befreiten Tanz ihre Persönlichkeit ausdrücken (u.a. auch die Zürcher Performer*in Ivy Monteiro) – mittendrin Laskaar in seinen typisch urbanen, ironischen Outfits. Und für «No tengo batería» spannte er sogar mit einem Musiker zusammen, der die Schwuchtel sogar im Künstlernamen hat: Putochinomaricón.
«Lange Zeit wollte ich nicht als queer Artist bezeichnet werden, sondern einfach als Artist. Ich hatte Angst schubladisiert zu werden. Bis ich merkte, dass das wohl mit internalisierter Homophobie zu tun hatte.»
Laskaar
«Lange Zeit wollte ich nicht als queer Artist bezeichnet werden, sondern einfach als Artist», sagt er etwas schwermütig, «Ich hatte Angst schubladisiert zu werden. Bis ich merkte, dass das wohl mit internalisierter Homophobie zu tun hatte.» Das Buch «Quiérete mucho, maricón» («Liebe dich selbst sehr, Schwuchtel») von Gabriel J. Martín habe ihm die Augen darüber geöffnet, dass die eigene sexuelle Orientierung integriert werden sollte, um zu heilen. Und Vorbildfunktion und Repräsentation seien ihm irgendwann wichtiger gewesen als seine persönliche Angst.
Nach seinem künstlerischen Coming-out wurde Laskaar an verschiedenen Prides eingeladen: Madrid, A Coruña, Zürich. Das Zürcher Heimspiel sei für ihn besonders berührend gewesen, denn obwohl er am frühen Abend gespielt habe, seien viele Leute vor der Bühne gestanden und hätten sogar seine spanischen Lyrics mitgesungen. Der Bieler Musiker Onyx Kayn sei mit auf die Bühne gekommen, um den Song «BFGF» zu performen – eine Dreier-Collab mit der Zürcher Künstlerin Naomi Lareine.
Backstage sei er dann sogar kurz auf Melody gestossen, die dieses Jahr Spanien am ESC vertrat: «Ich habe kurz mit ihr gesprochen, sie war total nett und sympathisch.» Ob daraus einmal mehr eine seiner vielen Collabs entstehen wird?
Nabelschnur zur Schweiz Die Auftritte und sein Netzwerk in der Schweiz zeigen, dass Laskaar Zürich niemals den Rücken kehren würde, obwohl einer seiner neusten Songs «Me enamoré en Madrid» («Ich habe mich in Madrid verliebt») heisst. Die hiesigen Medien danken es ihm: Das SRF hat ihn schon in verschiedene Sendungen eingeladen und spielt schon seit einiger Zeit seine Musik.
«Die Schweiz hält den Ball in Sachen Kunst und Kultur gerne etwas flach. Und mit spanischer Musik kommt man an mehr Leute heran.»
Laskaar
Den grösseren Anklang finden seine Songs aber in Spanien, zumindest bis jetzt. Das passe Laskaar ganz gut so, denn: «Die Schweiz hält den Ball in Sachen Kunst und Kultur gerne etwas flach. Und mit spanischer Musik kommt man an mehr Leute heran.» In Sachen Marktgrösse, Kollaborations- und Auftrittsgelegenheiten seien das andere Dimensionen.
Nun ist es also so weit, knapp zehn Jahre nach seiner ersten EP erscheint schon bald sein erstes Album. Es trägt den Namen «Transforma» und, in den Worten des Autors, soll es vor allem von inneren Prozessen und von der verbindenden, transpersonalen Kraft der Musik handeln. Und auch durch dieses Werk wird sich Laskaar, einmal mehr, verwandeln.
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