Porno und späte Selbstfindung: Spencer Keasey

Der schwule Ex-Erotikstar hat seine schonungslosen Memoiren veröffentlicht

Spencer Keasey heute (r.) und als «Spencer Quest» auf dem Cover eines Erotikmagazins
Spencer Keasey heute (r.) und als «Spencer Quest» auf dem Cover eines Erotikmagazins (Bild: Instagram/@aniceguylikeme)

Es gibt etwas Faszinierendes an den Geschichten der analogen Ära der schwulen Pornobranche, vor den OnlyFans- und Streaming-Umbrüchen. Es sind Erzählungen über Risiko, Stigmatisierung – und die Gefahr, dass die Aufdeckung der wahren Identität das gesamte Leben ruiniert.

Zu den Persönlichkeiten, die diese Übergangsphase zwischen analog und digital miterlebten, zählt Spencer Keasey. Unter dem Künstlernamen «Spencer Quest» wurde er in den frühen bis mittleren 2000er-Jahren zu einer prägenden Figur des Studios Titan Media, das für seine hypermaskulinen Models bekannt ist. Keasey wählte diesen Namen bewusst, weil sich sein Einstieg in die Branche wie eine «Quest» anfühlte – also eine Suche … nach Freiheit und Selbstverwirklichung. Davon erzählt seine Autobiografie «A Nice Guy Like Me» (dt. «Ein netter Kerl wie ich»). Sie kam schon vor einer Weile raus, blieb aber von LGBTIQ-Medien weitgehend unbeachtet. Bis nun – zum Jahresende 2025 – die Paperback-Version erschien und auf einmal mehrere Artikel begannen zu zirkulieren. Die mit Verspätung neugierig auf das Buch (ohne Fotos!) machen.

Das Cover der Autobiografie «A Nice Guy Like Me»
Das Cover der Autobiografie «A Nice Guy Like Me» (Bild: Memory Press)

Kindheit, Umzüge und erste sexuelle Erfahrungen Was man in «Nice Guy Like Me» erfährt: Keasey wuchs in einer Familie auf, die oft umzog; sie lebte unter anderem in Südafrika und in Lititz, Pennsylvania. Zwischendurch sammelte er in London erste Erfahrungen als «Boy Toy», wie er selbst sagt, er arbeitete damals auch als Escort, um sich sexuell auszutoben und um Geld zu verdienen.

Während des Studiums in Pittsburgh lernte Keasey seinen späteren langjährigen Partner Henry kennen; die beiden führten eine 17-jährige Beziehung. Gemeinsam kauften sie ein kleines Haus in nördlichem Vermont, der ländlichsten und ärmsten Region des Bundesstaates. Äusserlich schien alles gut zu laufen, doch innerlich war Keasey, der als Englischlehrer arbeitete, unruhig. Er hatte Affären mit anderen Männern, und als die Beziehung mit Henry endete, entschied er sich für einen überraschenden Karrierewechsel – vom Englischunterricht in die Pornobranche.

Sein Partner hatte ihm immer wieder gesagt, dass er im Falle einer Trennung «sicher ein Pornostar» werden würde. Keasey erinnert sich: er habe «nicht gewusst, ob es an meinem Körperbewusstsein lag oder daran, dass ich zu lange in den Spiegel starrte». Die Idee setzte sich aber fest. (MANNSCHAFT berichtete über die Probleme, die Pornostars in ihren Beziehungen haben.)

Er schickte Bilder an TitanMen. Eine Woche später war Keasey in Palm Springs zum Casting, zwei Wochen danach unterschrieb er einen Exklusivvertrag. Das Jahr war 2004 – kurz bevor Streamingplattformen die Pornoindustrie komplett umkrempelten und, wie Keasey sagt, «alle zu Pornostars wurden». So begann – im Alter von 36 Jahren – seine Karriere als «Spencer Quest».

Erfolge und Herausforderungen Keasey wurde schnell zu einer Sensation: Für seine Rolle in Titans «Cirque Noir» gewann er 2006 den GayVN Award für den besten Dreier, 2007 folgte der Preis als Bester Nebendarsteller für Lucas Entertainments «La Dolce Vita». TitanMen entwickelte sogar eine dreiteilige Filmreihe rund um seine Figur – «Spy Quest I, II und III».

Da Porno damals noch mit einem Stigma belegt war, erzählte er so gut wie niemandem von seiner neuen Karriere.

Während seiner Zeit im Pornobusiness lernte Keasey, dass Menschen in der Branche «gar nicht so anders sind als alle anderen – vielleicht einfach nur besser aussehend». Einer seiner Co-Stars hatte einen ganz regulären Job bei Microsoft. Doch die Pornojahre hatten Schattenseiten: Keasey kämpfte mit Suchterkrankung und infizierte sich abseits des Sets mit HIV. Sein Pornoleben hielt er vor Freunden und Familie weitgehend geheim, zumindest anfangs.

Selbstreflexion und parallele Leben Als seine Karriere dem Ende zuging – obwohl er länger durchhielt als viele andere – erfüllte ihn Scham: Er fürchtete, alle würden ihn fortan für einen abgehalfterten «alten» Pornostar halten, doch das Gegenteil trat ein: «Niemand hat mich so behandelt.»

Trotz der Herausforderungen betont Keasey – gross, kantiges Kinn, noch heute beeindruckend in Form –, dass die Arbeit am Set für ihn positiv besetzt bleibe: er habe «nichts als gute Erfahrungen» gemacht, schreibt er. Alle Sets seien drogenfrei gewesen, er habe dort nie konsumiert und Pornografie nie mit seinen Abhängigkeiten verbunden: «Es waren zwei parallele Leben.»

Heute lebt Keasey in Provincetown. In dem schwulen Mekka an der US-Ostküste fand er eine neue Heimat und Karriere: Die AIDS Support Group of Cape Cod stellte ihn als Leiter des Men’s Health Project ein. Keasey erklärt, einer der Gründe, warum ASGCC ihn einstellte, sei, dass er «positiv und ein Pornostar» war und «etwas damit bewirken» konnte.

Theater und Musicals Er war weiterhin als Schauspieler tätig, jenseits von Pornos, spielte Theater und einige Musicals. Er startete auch einen Blog. Und postet nach wie vor viel zum Thema Literatur und Buchneuerscheinungen in sozialen Medien. Wobei er die Bücher gern auf seinen mehr oder weniger nackten behaarten Körper präsentiert. Auch eine Form von Buch-Marketing.

Später fing er in der Bakker Gallery an, kuratiert Ausstellungen und arbeitet eng mit dem Kunsthistoriker Jim Bakker zusammen. Sein Rückzugsort bleibe jedoch das Singen am Klavier mit seiner roten Katze Ruby, «die von mir besessen ist», wie er im Interview mit einer lokalen Zeitung erzählte.

Trotz seines Abschieds aus dem Rampenlicht blieb Keasey hin- und hergerissen, was seine Vergangenheit als Pornodarsteller betrifft. In seinem Buch «A Nice Guy Like Me» geht er nun auf 277 Seiten sehr öffentlich und ehrlich damit um.

Vorliebe fürs Stricken Ein Kritiker beschrieb das Werk als «eine schonungslose und aufschlussreiche Darstellung des bewegten Lebens eines Adult-Filmstars». Der Text scheue keine Details: Keasey berichtet etwa, dass er zu Beginn seiner Karriere «Rimming» nicht besonders heschätzt habe, und erklärt nüchtern die Abläufe der Branche, etwa dass «ein Schauspieler typischerweise für zwei Cumshots bezahlt wird – einmal oral, einmal anal». Auch seine Erfahrungen als Escort werden sachlich dargestellt, viele Kund*innen «wollten reden, genauso wie sie Sex wollten».

Die Memoiren decken ein breites Spektrum ab – von Keaseys Kindheitstraumata über seine Vorliebe fürs Stricken bis hin zur Beziehung zu seinen Eltern.

«A Nice Guy Like Me» reiht sich ein in eine bedeutende Tradition (auto-)biografischer Werke aus der schwulen Pornoszene, neben Klassikern wie Charles Isherwoods «Wonderbread and Ecstasy: The Life and Death of Joey Stefano» und Scott O’Haras «Autopornography» oder einem Musical wie «Shooting Star» von Hans Berlin alias Florian Klein, worin dieser seine eigene Lebensgeschichte von Garmisch nach Hollywood nacherzählt. Nicht zu vergessen Seth Kings «Diary of a Gay Porn Star» oder «Wolff: Ein Pornostar packt aus».

Keaseys Memoiren porträtieren eine Subkultur, die oft verzerrt und reisserisch dargestellt wird, und sie geben Einblick in die Lebensrealitäten einer Branche zwischen Glamour, Abstürzen und immer wieder mysteriösen Todesfällen. Man darf gespannt sein, ob sie irgendwann auch auf Deutsch erscheinen werden. Oder als Netflix-Biopic?

Der Tod der schwulen Pornostars – was steckt dahinter? Die schockierenden Schlagzeilen aus der Branche reissen derzeit einfach nicht ab (MANNSCHAFT berichtete)

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare