Queere Zukunft in Gefahr? Warum wir optimistisch bleiben sollten

Ein Gastkommentar* von Meryl Deep aus Köln

Keynote-Speaking-Drag Queen Meryl Deep
Keynote-Speaking-Drag Queen Meryl Deep (Bild: meryldeep.com)

Meryl Deep bezeichnet sich selbst als «Deutschlands führende Keynote-Speaking-Drag Queen». Für MANNSCHAFT analysiert sie ihren grundsätzlichen Optimismus in Bezug auf die Zukunft und stellt ihn der aktuellen weltpolitischen Lage gegenüber.

«Wir sind nicht sicher, ob wir zukünftig noch in Deutschland leben können und fangen an, uns nach Alternativen umzusehen.» Diese Aussage einer guten Bekannten hat mich aufhorchen lassen und mir gleichzeitig Angst gemacht. Denn ich habe die gleichen Gedanken.

Wir leben in einer Zeit, in der es turbulent ist, vor allem politisch und in der Konsequenz auch menschlich. Wenn ich mir das aktuelle Weltgeschehen ansehe, bekomme ich Angst (MANNSCHAFT berichtete). Und das kenne ich von mir nicht.

Lösungen statt Probleme

Ich bin Optimistin, sehe immer mehr Chancen und Lösungen anstatt Probleme. Ich bin mir im Klaren darüber, dass die Welt sich permanent verändert und wir aufgefordert sind, uns anzupassen. Der Wandel ist okay für mich, das ist Teil des Lebens. Ich gehe nicht in den Widerstand, sondern suche für mich nach Chancen in den Veränderungen.

Was mir Sorgen bereitet ist, dass Werte verloren gehen und Dialoge nicht mehr geführt werden. So nehme ich es wahr. Eine kritische Auseinandersetzung ist unabdingbar für uns als demokratische Gesellschaft. Ausgrenzung und Abwertung sowie das Schaffen von Feindbildern führt zu Spaltung und noch mehr Konflikten. Das kann nicht unser Ziel sein.

Meryl Deep als Moderatorin einer Pride-Veranstaltung
Meryl Deep als Moderatorin einer Pride-Veranstaltung (Bild: meryldeep.com)

Wenn ich beobachte, wie ein Präsident in den USA gerade agiert und Vorgänge möglich werden (Aberkennung der Grundrechte von trans Personen), die gegen die Menschenwürde sind, dann macht mich das sprachlos.

Kein Mensch hat das Recht die Würde eines anderen Menschen anzutasten, das gilt zumindest in Deutschland. Im Jahr 2025 ist dieses Grundrecht offensichtlich sehr unterschiedlich interpretierbar, wenn wir in die USA schauen, die einen ähnlichen Grundsatz («Bill of Rights») haben, der festlegt, dass alle Menschen gleich geschaffen sind.

«Um was geht es hier wirklich?»

Schaue ich Richtung Ukraine macht mich das traurig. Faktisch gab es schon immer Kriege, und in Deutschland herrscht Frieden. Aber Fakten helfen mir nicht immer weiter, denn die Angst ist nun Mal da. Wenn ich sehe, dass in Deutschland eine (in Teilen, was auch immer das sein mag) rechtsextreme Partei sich zunehmender Beliebtheit erfreut (MANNSCHAFT berichtete) und die etablierten, demokratischen Parteien abhängt, bereitet mir das grosse Sorgen.

Warum schaut die Gesellschaft zu und unternimmt nichts? Warum setzt die Politik ihre Möglichkeiten eines Verbotsversuchs dieser Partei nicht um? Um was geht es hier wirklich? Wie lange wollen wir sehen, was passiert, aber uns einreden, dass es vorbeigeht, weil es nur ein Ausdruck der Wut und Enttäuschung des Volkes ist?

Ich kann die Wut nachvollziehen und bin gleichzeitig überzeugt davon, dass sie zu nichts führt. So sehr wir uns wünschen, dass ein anderer (Staat, Flüchtlinge und weitere externe Parteien) schuld ist an unserem Leben, so sehr bleibt es immer die Verantwortung einer einzigen Perso: uns selbst

«So sehr wir uns wünschen, dass ein anderer schuld ist an unserem Leben, so sehr bleibt es immer die Verantwortung einer einzigen Person: uns selbst!»

Meryl Deep, Keynote-Speakerin

Als ich kürzlich mit einer guten Bekannten bei einem virtuellen Kaffee zusammensass, hatten wir einen Austausch, bei dem es hauptsächlich um Business ging. Zum Ende des Gesprächs, haben wir einen kurzen Ausflug gemacht in unser persönliches Befinden.

Ziemlich schnell wurde klar, dass wir beide mehr als beunruhigt sind über die Situation in der Welt und vor allem in Deutschland.

«Welche Alternativen gibt es weltweit?»

Meine Bekannte lebt in einer lesbischen Beziehung und hat ein gemeinsames Kind mit ihrer Partnerin. Sie sind nicht sicher, ob Deutschland noch das Land ist, in dem sie in Zukunft gut und sicher leben können. Sie denken tatsächlich darüber nach auszuwandern, aber wohin?

Wir gehen die Länder in Europa durch und überlegen, welche Alternativen es weltweit gibt. Gar nicht so einfach aktuell. Der Rechtsruck in Europa ist in zahlreichen Ländern vorhanden.

Ich merke, wie ich einen Stich im Bauch bekomme, als sie mir erzählt, dass ihre Eltern sie vor Kurzem eindringlich gewarnt haben. Die Zeichen stünden nicht gut und die Tatsache, dass eine gesichert rechtsextreme Partei (wenn auch nur in Teilen) in Deutschland so an Auftrieb gewinnt, sei mehr als bedenklich. Vor allem die Aussage ihrer Mutter, dass sie das Land bald verlassen sollten, macht mich nervös.

«An meinem persönlichen Limit angekommen»

«Es gibt einen Zeitpunkt, an dem alles auf einmal sehr schnell geht und dann kommst du nicht mehr aus dem Land – dann ist es zu spät. Ihr müsst jetzt schauen, dass ihr wegkommt. Das war damals genau so.»

So sehr ich mich bemühe, optimistisch zu sein und das Gute in allem erkennen zu wollen, merke ich, dass ich an meinem persönlichen Limit an Konflikten angekommen bin. Ich versuche mir nach dem Gespräch einzureden, dass die älteren Menschen sich auch irren können. Dass es dieses Mal anders ist. Dass es so weit nicht kommen wird und es immer Möglichkeiten gibt, auch ohne auszuwandern.

Glamour-Shot von Meryl Deep
Glamour-Shot von Meryl Deep (Bild: meryldeep.com)

Da ist er wieder, mein Optimismus. Doch er verschwindet schnell wieder, denn ich kann diese Sätze nicht vergessen. Auch deshalb nicht, weil viele Menschen in der queeren Community verunsichert sind. Ich höre diese und ähnliche Gedanken mittlerweile häufig. Viele queere Menschen stellen sich die Frage, wie die Zukunft aussehen wird und, ob Deutschland noch das richtige Land ist. Das verstärkt meinen Eindruck, dass es ernst ist.

Verrückt, denn als Kind war Krieg sehr weit weg und nur im Fernsehen zu sehen. Noch bis vor ein paar Monaten, war ich überzeugt davon, dass ich in Deutschland gut und sicher alt werden kann. Einem so mächtigen, demokratischen Staat, der zahlreiche Rechte für uns als queere Community verankert hat.

«Alles über Bord werfen und komplett neu anfangen»

Wie konnte es zu so einer Situation kommen? Ich habe mir gerade ein eigenes Business aufgebaut und muss womöglich alles über Bord werfen und perspektivisch komplett neu anfangen. Kann passieren, denke ich. Und wenn es so ist, dann finde ich wieder einen Weg, etwas Neues aus meinem Leben zu machen, das mir Spass macht und Sinn stiftet. Gleichzeitig ist nicht gesagt, dass ich als Keynote-Speakerin nicht auch in anderen Ländern über Change Management und Diversity sprechen kann. Meine Englisch-Skills lassen das zu. Es gibt immer Wege für denjenigen, der sie finden möchte.

Flexibilität im Kopf ist die wichtigste Voraussetzung, die wir dafür benötigen. Aus der gegebenen Situation das erschaffen, was funktioniert. Lücken entdecken und sie besetzen, wie ich das bereits als erste Keynote-Speaking Drag Queen in Deutschland geschafft habe.

«Verantwortung für mein Leben»

Ich erinnere mich an die grössten Herausforderungen meines Lebens und wie ich sie gemeistert habe. Waren das schöne Situationen? Nein. Haben sie mich weitergebracht? Auf jeden Fall. Und bin ich heute an einem Punkt in meinem Leben angekommen, wo ich die höchste Zufriedenheit spüre, die ich jemals empfunden habe? Definitiv. Weil ich weiss, dass ich die Verantwortung für mein Leben habe und es selbst gestalten kann im Rahmen meiner Möglichkeiten.

Es ist gerade in schwierigen Zeiten, die von Ängsten und Sorgen erfüllt sind, umso wichtiger sich auf das zu fokussieren, was gerade funktioniert und bisher schon im Leben gemeistert wurde. Das gibt uns das Gefühl von Stärke, die wir unbedingt benötigen, um zukünftige Herausforderungen zu meistern.

«Gleichzeitig bin ich zuversichtlich, dass wir es gemeinsam schaffen können»

Meryl Deep, Keynote-Speakerin

Wird es bald nicht mehr möglich sein in Deutschland zu leben für uns als queere Community? Ich weiss es nicht. Gleichzeitig bin ich zuversichtlich, dass wir es gemeinsam schaffen können. Gemeinsam stark als Community zu sein und der Welt ein freundliches Gesicht zu zeigen. Gerade jetzt, wo der Hass und die Spaltung zunehmen, ist es essenziell sich auf das zu besinnen was wichtig ist: Menschlichkeit.

Die Sonne scheint mir ins Gesicht, während ich diese Zeilen schreibe. Vielleicht ist es das, was alles etwas erträglicher macht. Sonne im Gesicht, der Frühling im Anmarsch und meine Hoffnung im Gepäck, dass die Welt sich wieder beruhigt, es eine Wendung gibt und die Menschen wieder besser miteinander umgehen.

Hoffen kann ich es, ich will es zumindest und werde meinen Teil dazu beitragen, dass sich Menschen gehört und gesehen fühlen. Dass sie wissen, dass sie Teil einer Community sind und nicht allein kämpfen müssen. Wir sind viele und gemeinsam können wir für eine Veränderung in der Gesellschaft sorgen. Das ist es, was mich trägt. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Die MANNSCHAFT-Kommentare der letzten Wochen findest du hier.

*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare