«Fast alle meine Freunde in der Armee sind bereits tot»

Ein schwuler Veteran zum 3. Jahrestag des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine

Viktor Pylypenko
Viktor Pylypenko (Bild: J.T. Blatty)

Zehntausende Tote, kaputte Städte, verwüstete Landschaften – 2014 besetzte Russland völkerrechtswidrig die Krim und führt seit 2022 Krieg gegen die gesamte Ukraine. Was sich aktuell als möglicher Frieden abzeichnet, wirkt düster.

Wir sprachen mit dem schwulen Veteranen Viktor Pylypenko über die wütende Stimmung im Land und die Aussichten für LGBTIQ-Rechte in der Ukraine.

Drei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskrieges ist die Lage der Ukraine so schwierig wie nie. Am 24. Februar jährt sich der Beginn der Invasion zum dritten Mal, an diesem Tag 2022 gab Russlands Staatschef Wladimir Putin seinen Truppen im Morgengrauen den Befehl zum Einmarsch in das Nachbarland (MANNSCHAFT berichtete). Seither ist das zweitgrösste Land Europas in seiner Existenz bedroht.

Die USA waren bisher grösster Unterstützer der Ukraine. Doch sie suchen unter dem neuen Präsidenten Donald Trump einen Ausgleich mit Russland und wollen ein rasches Ende der Kämpfe. Die europäischen Länder tagen im Krisenmodus: Wie sollen sie der Ukraine helfen und auf Amerikas schwindenden Schutz reagieren?

Viktor Pylpenko spricht schon jetzt von einer «Niederlage Europas». Er gilt als erster offen schwuler Kriegsveteran der Ukraine (MANNSCHAFT berichtete) und hat 2018 die «Vereinigung von LGBT-Soldaten, Veteranen und Freiwilligen» gegründet. Er macht dem Westen schwere Vorwürfe: «Eine passive, ignorante Haltung und eine faule Unterstützung bei der Rüstung bringen die grössten Tyrannen der Welt an die Spitze.»

Viktor hat zwei Jahre an der Front gekämpft, heute setzt er sich für andere Veteranen ein, kämpft für Menschenrechte. Es muss für einen Soldaten wie ihn tief verletzend sein, Russland und die USA jetzt in Gesprächen zu sehen. Er ist schwer enttäuscht von Deutschland und Europa.

Er sagt im Gespräch mit MANNSCHAFT: «Ich habe das Gefühl, dass der Tod nahe ist. Ich habe das Gefühl, dass ich zum dritten Mal noch einmal an die Front zurückkehren muss. Und ich bezweifle, dass ich es dieses Mal überleben werde. Ich bezweifle, dass ich noch eine Chance haben werde. Fast alle meine Militärfreunde sind bereits tot. Ich hatte Glück, zu überleben.»

Man könne sich gar nicht vorstellen, wie extrem es an der Front ist, sagt der schwule Veteran und Aktivist: «Es fehlt an Unterstützung, an Munition, an Granaten, es fehlt an tödlichen Waffen.»

Dass nun Russland und die USA über die Köpfe der Ukrainer*innen hinweg eine wie auch immer geartete Lösung suchen, schmerzt ihn und sein Volk. «Die Ukrainer sind wütend darüber, dass ohne uns einige Vereinbarungen über uns getroffen werden. Die letzten Worte von Trump über unseren gewählten Präsidenten machten alle wütend.»

Der US-Präsident sagte gegenüber Fox News Radio u.a., Selenskyj habe drei Jahre lang an Meetings teilgenommen, «aber nichts hinbekommen».

«Der Populismus von Russland und den USA basiert hauptsächlich auf Homophobie und Transphobie.»

«Wir bedauern es so sehr, dass wir unsere Atomwaffen verschenkt haben», sagt Pylypenko. «Ich denke, wir müssen ein Bündnis mit den baltischen Staaten schliessen und die slawischen Länder zur Verteidigung vereinen. Die NATO erwies sich als schwach, als elf Jahre lang direkt vor ihrer Nase Massenmorde stattfanden.»

Wenn nun zwei Grossmächte verhandeln, die LGBTIQ-Menschenrechte zurückfahren wie die USA (MANNSCHAFT berichtete) oder sie gar nicht erst gewähren wie Russland (MANNSCHAFT berichtete), sind auch in der Ukraine Queers bedroht. «LGBTIQ-Personen sind immer die ersten, die Opfer werden», sagt Pylypenko.

«Trump und Musk machten deutlich, dass Menschenrechte für sie nichts bedeuten – sie haben USAID und andere Programme zur Unterstützung der Demokratie geschlossen. In Russland gibt es Gesetze, nach denen offen schwule Menschen als Terroristen gelten und ins Gefängnis gesteckt werden.»

Ihr Populismus basiere hauptsächlich auf Homophobie und Transphobie. «Daher werden sie weiterhin diese kraftvolle Ressource des Hasses nutzen, um weiterhin Unterstützung von ihren Wählern zu erhalten und Morde zu rechtfertigen, indem sie den Krieg als einen ,heiligen Kreuzzug gegen Gayrope' bezeichnen.»

Mit Blick auf die Wahlen in Deutschland am Sonntag (MANNSCHAFT berichtete) ist seine Hoffnung wenig ausgeprägt, dass sich die Hilfe und Unterstützung für die Ukraine unter einer neuen Regierung verbessern wird.

«Ich glaube wirklich an die Deutschen – mein Schwager ist Deutscher, er hat seine Familie vor dem Bucha-Massaker gerettet, indem er meine Nichten, meinen Neffen und seine Frau nach Münster gefahren hat.» Er verfolge, was in Deutschland passiert, sagt Pylypenko. Er spüre die volle Unterstützung der einfachen Leute.

«Russland ist ein Meister der Desinformation und der Instrumentalisierung von Analphabetismus und Hass. Ich fürchte, es wird Eure Wahlen beeinflussen.»

Aber die AfD sieht er als pro-russische Neo-Nazi-Kraft, die die Migrationskrise ausnutze. «Und Russland ist ein Meister der Desinformation und der Instrumentalisierung von Analphabetismus und Hass – ich fürchte, dass es Eure Wahlen beeinflussen kann, so wie es 11 Jahre zuvor bei der Annexion der Krim die volle Unterstützung der Ukraine beeinflusst und verhindert hat.» (mit dpa)

Zur Musik: Der diesjährige ESC-Beitrag aus Estland empört Italien – sogar der Ausschluss wird gefordert. Der Vorwurf: «Ein dummes Lied voller Klischees» (MANNSCHAFT berichtete).

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