«Wenn queere Kulturorte verschwinden, verändert die Stadt ihr Gesicht»
Klaus Lederer über Feierorte, die Linke und den Antisemitismus
Im Streit über den richtigen Weg im Kampf gegen Antisemitismus haben vor einem Jahr 5 bekannte Köpfe die Linke verlassen, darunter die schwulen Abgeordneten Klaus Lederer und Carsten Schatz. In der Fraktion arbeiten sie weiterhin mit.
Wo steht der einstige Kultursenator Lederer heute, wo sieht er seine ehemalige Partei und was plant der parteilose Politiker in der Zukunft?
Herr Lederer, es ist bald ein Jahr her, dass Sie aus der Linken ausgetreten sind. Es fehlte Ihnen an einer klaren Positionierung zum Antisemitismus, auch bei der Frage der Solidarität mit der Ukraine sahen Sie keine Gemeinsamkeiten mehr. Hat sich an dieser Diagnose etwas geändert?
Ein Austritt ist eine schmerzhafte Entscheidung, man tut sowas nicht unüberlegt. Nun hat sich aber innerhalb des Landesverbandes, auch innerhalb der Partei der Linken, in den vergangenen Jahren der Fokus verschoben von einer praktischen, auf Gesellschaftsveränderungen zielenden Politik hin zur Bewirtschaftung von Empörung und Wut, zu einem Fokus auf den Protest-Habitus.
Statt sich mit komplexen und widersprüchlichen sicherheitspolitischen Fragen progressiv auseinanderzusetzen, besinnt man sich nostalgisch zurück in die Hochzeiten der Friedensbewegung und letztlich auf eine quasi pazifistische Position, auf deren Basis man sich sicher wähnt als Antikriegspartei.
Ist Antikriegspartei nicht was Gutes? Ich bin Antimilitarist, gar keine Frage. Wenn wichtige volkswirtschaftliche Ressourcen für die Produktion von Kriegsgerät aufgewendet werden, ist mir das zuwider. Wenn im Bundeshaushalt Verteidigungs- gegen soziale Ausgaben ausgespielt werden, finde ich das hochproblematisch. Aber die Antwort darauf kann nicht sein: Wir tun gar nichts, sind einfach irgendwie dagegen.
Als Linker, der dem Völkerrecht verpflichtet ist, kann man nicht einfach alle anderen, die über die realen militärischen Bedrohungen und Zuspitzungen diskutieren, als Kriegstreiber denunzieren. Man müsste eine eigene linke Position dagegensetzen. Die Debatte scheut die Partei seit langem, weil da Zündstoff darin steckt.
Und beim Antisemitismus? Die Sehnsucht nach Vereindeutigung, die Neigung dazu, moralische Empörung für sich politisch fruchtbar zu machen, ist sehr gross. Real existierende Probleme, wie der Antisemitismus hier im Lande, auch der linke, werden beiseite geschoben. Umgekehrt erfahren nach dem Massaker der Hamas 2023 und der Eskalation im Nahostkonflikt eindimensionale Welterklärungen eine große Resonanz. Nicht selten befeuert das antisemitische Deutungsmuster.
Das finde ich hochproblematisch. Man wird weder der komplexen Geschichte des Nahostkonflikts gerecht, noch hat man für die wirklich furchtbare Lage im Gazastreifen tatsächlich etwas anzubieten. Die eigene empfundene Macht- oder Ratlosigkeit mit moralischer Selbstüberhöhung zu kompensieren ist keine Politik. Heldenposen im Internet sind es auch nicht. Aber wir können uns hierzulande gegen Antisemitismus und Rassismus engagieren.
Gab es Versuche der Partei, Sie zurückzugewinnen? Alle wissen, dass die von uns genannten Gründe, warum wir gegangen sind, bis heute fortbestehen. Insofern stellt sich die Frage aktuell nicht.
Haben Grüne oder SPD um Sie geworben? Nein. Das hat auch was damit zu tun, dass man bei Grünen und SPD sehr genau weiss, dass ich wirklich ein Linker bin. In Teilen der Partei Die Linke wird das ja eher bezweifelt… (lacht)
Sie haben im Schwuz beim Queerempfang der Linken gesagt, Sie wollen als «freischaffender Linker» weitermachen. Also Politik über die nächste Wahl hinaus machen? Ja, natürlich. Ich bin ein politischer Mensch. Die Möglichkeiten, sich politisch zu engagieren, sind nicht gebunden an eine Parteimitgliedschaft. Jetzt bin ich 51. Wenn ich nochmal was anderes machen will oder anders politisch arbeiten will als im Parlament oder in einer Regierung, dann sollte ich mir damit nicht bis zum Rentenalter Zeit lassen.
Das heisst, Sie werden sich nächstes Jahr nicht um ein Mandat bewerben? Nein, ich werde auf keinem Wahlzettel stehen. Ein Vierteljahrhundert in der hauptberuflichen Politik ist eine stolze Zeit und war unglaublich intensiv. Das beende ich 2026 ganz ohne jede Wehmut.
Sie waren in einer sehr schwierigen Zeit Kultursenator, haben dafür gesorgt, dass Clubs als Kulturstätten anerkannt und unterstützt werden. Jetzt steckt das Schwuz in einer sehr schwierigen Situation.
Die Clubbranche in Berlin hat gerade grosse Probleme, weil verschiedene negative Effekte zusammenwirken: verändertes Ausgehverhalten nach Corona, steigende Kosten im Personalbereich, auch bei sonstigen Fixkosten…
Ihre Prognose für das Schwuz? In irgendeiner Weise wird es das Schwuz wahrscheinlich auch in fünf Jahren noch geben. Ob noch als ein von der Community getragener Safe Space, als politischer Raum, aber eben auch Feierort, kann ich überhaupt nicht sagen.
Kann man da vom Senat Hilfe erwarten? Im Augenblick bin ich eher skeptisch. Ich höre viele Sonntagsreden über die «Regenbogenhauptstadt». Aber das bleiben zu oft Phrasen. Natürlich ist Berlin eine Stadt mit starker queerer Infrastruktur. Das ist aber nicht zuerst ein Erfolg der aktuellen Stadtpolitik, jedenfalls nicht reaktionärer oder konservativer Politik: Es hat was zu tun mit emanzipatorischen Bewegungen und den Kämpfen um eine Sicherung dieser Erfolge in Berlin.
Aktuell gefällt sich die Stadtregierung vor allem darin, Regenbogentorten anzuschneiden und Regenbogenfahnen zu hissen. Doch zugleich sollen wichtige Eckpfeiler der queeren Infrastruktur gekürzt werden, wie beim Sonntagsclub, und Bildungsprojekte in Schulen werden dicht gemacht.
Es ist jetzt über ein Jahr her, dass das Berio zugemacht hat (MANNSCHAFT berichtete). Man fragt sich, was haben die Vermieter eigentlich gewonnen? Heute steht der Laden leer.
Kann ich leider nicht beantworten, da die Vermieter auf meine Kontaktaufnahme nicht reagiert haben. Ich wollte mit ihnen vor der Räumung reden. Aber man gab sich anonym und wollte das nicht besprechen.
Zumindest im Kulturbereich habe ich mit Infrastrukturpolitik versucht, städtische Immobilien umzunutzen, für Kulturproduktion, für kulturellen Austausch und für Kulturgenuss. Das ist von Schwarz-Rot aber komplett abgeräumt worden, alles dem Rotstift zum Opfer gefallen. Das ist natürlich die Vollkapitulation vor den aktuellen Bedrohungen.
Wenn queere Kulturorte oder die Eckkneipe verschwinden, verändert die Stadt auch ihr Gesicht, sie wird unpersönlicher und kälter. Da wäre die Linke gefragt, und es gibt da auch manches starke Engagement. Aber wer verbindet die verschiedenen Interessen? Harvey Milk hatte in San Francisco großen Erfolg, weil er für eine Allianz der produktionsarbeitenden Bevölkerung und den Queers im Kiez gekämpft hat, das überschnitt sich ja auch. Das ist eine gute Orientierung für progressive Durchsetzungsstrategien: Wo kriegt man die Leute bei ihren positiven gemeinsamen Interessen?
Und was könnte der Senat hier tun? Wir leisten uns in Berlin viele Einrichtungen, und es ist gut, dass wir sie uns leisten, die exzellente Kunst auf sehr hohem qualitativen Niveau machen. Wenn man akzeptiert, dass die Clubs dazugehören, dann muss Berlin die Clubinfrastruktur noch auf andere Art und Weise unterstützen, als nur mit dem bisher durchgesetzten, guten Lärmschutzfonds. Warum fördert Berlin zum Beispiel nicht auch Programmarbeit in der Clubszene?
Gehen Sie noch aus? Jenseits der 50 ziehen sich viele ja eher zurück. Ich gehe ab und zu aus, in Bars und Kneipen, auch gerne in Clubs. Ich habe aber an Wochenenden oft einfach noch viel mit anderen Dingen zu tun. Wenn ich eine Clubnacht durchtanze, sollte ich am Samstag und Sonntag nichts anderes mehr zu tun haben.
«Ich sass vor dem Handy und habe geweint.» Ricarda Lang hat sich in einem Interview zum Rücktritt von Kevin Kühnert geäussert (MANNSCHAFT berichtete).
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