«Ein Queer-Beauftragter braucht Unabhängigkeit und ein Budget»
Klaus Lederer zieht Bilanz
In Berlin ist Kai Wegner (CDU) zum neuen Regierenden Bürgermeister gewählt worden, wenn auch erst im dritten Wahlgang. Klaus Lederer, der schwule Kultursenator von der Linken, respektiert über Parteigrenzen hinaus, hat wie die anderen Senator*innen seine Entlassungsurkunde erhalten.
An seinem letzten Tag im Amt blickte der offen schwule Politiker im Gespräch mit MANNSCHAFT+ auf sechseinhalb Jahre als Kultursenator zurück und erklärt, wie sich seine Auffassung von Queerpolitik von den Plänen der neuen Regierung unterscheidet.
Die Grosse Koalition in Berlin schafft einen Queer-Beauftragten. Carsten Schatz, Co-Fraktionsvorsitzender deiner Fraktion, nennt das Am einen «Grüss-August». Du auch? Ich habe Queerpolitik jedenfalls immer als Querschnittspolitik betrachtet. Und als schwuler Kultursenator war ich immer auch ein Mensch, der sich um die Belange queerer Menschen in der Kultur gekümmert hat. Eigentlich erwarte ich so ein Querschnittsengagement in der ganzen Regierung, in jedem Ressort. Das sollte heutzutage eine Selbstverständlichkeit zu sein. Darum erscheint mir die Berufung eines Queer-Beauftragen in erster Linie daraufhin zu deuten, dass die Relevanz als Querschnittsthema abnimmt und an der Stelle dann eine Person benannt wird, die dann als Klagemauer für die queeren Begehrlichkeiten unsere Stadt fungieren soll.
Man sieht das ja im Bund: Das ist jetzt nicht so dolle. Die Abschaffung des TSG hat es z.B. nicht vorangebracht, dass jemand da ist, der alle paar Woche wiederholt, wie schade es sei, dass man sich immer noch nicht verständigt und geeinigt habe. Heisst also: Wenn man ein solches Amt schafft, dann muss die Person unabhängig und mit einem Budget ausgestattet sein, um am Ende auch etwas bewirken zu können. Sie sollte nicht – wie bei anderen Themen zu sehen –, der Lösung personalpolitischer Entscheidungen der Regierungsparteien dienen, sondern in einem transparenten Verfahren aus einer marginalisierten queeren Gruppe heraus benannt werden.
Beide Parteien bekennen sich zu Vielfalt und zur Regenbogenhauptstadt. Das kommt offenbar nicht nur aus der SPD, sondern auch aus der CDU. Das ist durchaus bemerkenswert. Ich habe 2006 die Initiative «Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt» (IGSV) mit losgetreten und für die rückwirkende Gleichstellung von queeren Lebensgemeinschaften mit der Ehe hier in Berlin gestritten. Da wurde mir aus der CDU-Fraktion vorgeworfen, ich würde quasi in eigener Angelegenheit persönliche Interessen verfolgen. Daher freue ich mich, dass die CDU diesen schwierigen Weg gegangen ist, der zumindest auf der Bekenntnisebene dazu führt, dass sie queere Lebensweisen heute wertschätzt. Man kann die Leistung, diesen Weg gegangen zu sein, gar nicht unterschätzen. Aber trotzdem: Am Ende wird es in Berlin darauf angekommen, dass ernsthaft Queerpoliitk gemacht wird.
In den sechseinhalb Jahren deiner Amtszeit sticht die Corona-Pandemie hervor. Auf was bist du besonders stolz, erreicht zu haben? Ich war ja nicht nur Kultursenator, sondern auch Bürgermeister – und habe im Senat immer wieder gefordert, dass etwa die besonderen Belange queerer Menschen insbesondere bei den Lockdown-Vorschriften Berücksichtigung finden. Dass nicht nur die biologische Kernfamilie zählt, sondern auch die Wahlverwandtschaft queerer Menschen, wenn es darum geht, wer feiert mit wem zusammen Weihnachten oder Chanukka. Natürlich bin ich stolz darauf, dass wir es geschafft haben, dass über die gesamte Corona-Pandemie keine einzige Kultureinrichtung corona-bedingt den Bach runtergehen musste, weil sie nicht mehr in der Lage war, ihre Verbindlichkeiten zu bezahlen. Wir haben es geschafft, den Kulturetat erheblich zu erhöhen, allein für den Kernbereich Kultur um 63 %. Wir haben den Preis für Clubkultur geschaffen und den neuen Verlagspreis, von mir initiiert, den hat ja auch der Querverlag bekommen. Das ist im Sinne der Sichtbarkeit der kulturellen Szene insgesamt geschehen, aber stärkt auch die queere Sichtbarkeit.
Wir haben das Schwule Museum stärken können in einer Weise, auf die ich stolz bin und ich hoffe, das geht auch in den folgenden Jahren weiter. Denn noch immer ist für das Haus im Etat nicht alles abgedeckt und abgesichert.
Mit dem queeren Kulturhaus E2H ist es nicht so gut gelaufen. Auch das Schwule Museum sollte ursprünglich ein Teil davon sein. Der Senat steckte Geld in Machbarkeitsstudien und Gutachten, aber das Projekt ist gescheitert. Zum Glück war es nicht so viel Geld. Und ja: Die Herausforderung, einen neuen Standort für das Schwule Museum zu finden, besteht nach wie vor. Ich bin mit dem Museum in Kontakt. Für mich wird das weiterhin eine Aufgabe sein, dass wir da endlich etwas erreichen. Dass aus dem E2H nichts geworden ist, liegt nicht so sehr an der Kulturpolitik, das hat ganz viel Gründe. Die meisten liegen im Community-Kontext, wo es nicht gelungen ist, eine gemeinsame Idee, einen gemeinsamen Rahmen für solch ein queeres Kulturhaus miteinander zu entwickeln. Ich finde das schade, habe aber mit einer gewissen Überraschung zur Kenntnis genommen, dass der neue Koalitionsvertrag eine solche Idee erneut aus dem Hut zaubert. Trotz einiger Recherche-Anstrengungen kann ich mir nicht erklären, was dahintersteckt, wer damit gemeint ist, was das Haus soll … Der Verdacht liegt nahe, dass da die Symbolik die Feder geführt hat. Weniger, dass dahinter die Ahnung von praktischer queerer Politik steckt.
Ist das Scheitern des E2H sinnbildlich, was die Unfähigkeit betrifft, sich innerhalb der Community zu einigen und zusammenzuraufen? Gut, da ist die queere Community aber keine Ausnahme, das ist bei anderen gesellschaftlichen Communities auch so. Das gehört in gewisser Weise dazu, das muss man einkalkulieren. Ich versuche in solchen Fällen, daraufhin zu wirken, dass das Gemeinsame betont wird. Weil ich glaube, dass man nur gemeinsam in der Lage ist, etwas zu erreichen. Ansonsten wird es doch nur das Schaulaufen der Lobbyist*innen, der Queerpolitiker*innen, und das hat mich immer gelangweilt. Der Satz von Rio Reiser, «Allein machen sie dich ein», der ist nach wie vor von bestechender Qualität.
Man geht als Kultursenator auf viele Premieren und besucht etliche Ausstellungen: Was sagt man, wenn es einem mal nicht gefällt? Ein Prinzip war für mich wichtig: Ich bin kein Kulturkritiker, Theater- oder Literaturkritiker. Ich habe mich in dieser Frage nie geäussert und positioniert, das steht mir auch nicht zu. Ich habe meine Rolle immer so verstanden: Infrastruktur schaffen, damit Künstler*innen eine gute Arbeit machen können. Was sie damit anfangen, ist ihre Angelegenheit. Darum: Leistung habe ich immer mit Beifall gewürdigt, weil es sich so gehört. Wer genau hingeschaut hat, hat mich auch mal besonders engagiert klatschen sehen, wenn ich etwas richtig grossartig fand.
Ich gehe ohne Groll, mit einer sehr guten Bilanz.
Du hast dich in den vergangenen Tagen mit Facebook-Posts als Senator verabschiedet von den verschiedenen Kultur-Einrichtungen der Stadt. Da klang ein bisschen Wehmut mit, oder? Die Wehmut gibt es, das ist doch gar keine Frage. Wenn du mit Enthusiasmus diesen Job über Jahre hinweg gemacht hast, dann sind da Freundschaften entstanden, Arbeitsbeziehungen, Wertschätzung. Und jetzt diese Vollbremsung… damit umzugehen – das verbindet sich mit Schwermut. Dennoch sage ich: Diese Stadt hat soviel grossartige Kultur zu bieten. Ich hatte das grosse Privileg, dazu beizutragen, dass sich unsere Kulturlandschaft gut entwickeln kann. Vielleicht ist es auch gut, zu gehen, solange die Leute es schade finden, das man geht, als wenn sie sagen würden: Endlich ist der weg! Darum: Ich gehe ohne Groll, mit einer sehr guten Bilanz und freue mich, dass mir diese sechseinhalb Jahre niemand nehmen kann, nicht die Menschen, nicht die Begegnungen.
Hast du Sorge, jetzt erstmal in ein Loch zu fallen? Überhaupt nicht. Nach diesen Jahren in der Tretmühle muss ich erstmal ins Abklingbecken. Ich habe das eine oder andere zu sortieren und zu reflektieren. Ich bin ziemlich durch die Welt gehetzt, konnte kaum mal innehalten. Ich will jetzt für die nächsten dreieinhalb Jahre mit ganzer Kraft Abgeordneter sein – und dann schauen wir mal.
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