Fiona Shaw: «Bin viel entspannter, was ich auch meiner Frau zu verdanken habe»

Aktuell im lesbischen Sommerdrama «Hot Milk» zu sehen

HOT MILK
Fiona Shaw (re) (Bild: Mubi)

Bereits seit den 1980er Jahren feiert Fiona Shaw auf Londoner Theaterbühnen einen Erfolg nach dem nächsten. Die queere Schauspielerin war als Petunia Dursley in der «Harry Potter»-Reihe zu sehen und ist dieser Tage in Film und TV präsent wie nie.

Wir trafen Fiona Shaw in Berlin zum Interview und sprachen über Verleugnung und symbiotische Mutter-Tochter-Beziehungen.

Das Privatleben von Schauspieler*innen, so sagte Fiona Shaw einmal, sollte in ihrer Arbeit höchstens eine so grosse Rolle spielen wie die Frage, was sie zum Frühstück hatten. Verleugnen tut die 1958 geborene Irin ihres trotzdem nicht: nachdem sie ihr Coming-out erst als Erwachsene, nach zwei längeren heterosexuellen Beziehungen hatte, ist sie nun seit 2018 mit der Wirtschaftswissenschaftlerin und Autorin Sonali Deraniyagala verheiratet.

Der Karriere hat das nicht geschadet. Bereits seit den 1980er Jahren feiert Shaw auf Londoner Theaterbühnen einen Erfolg nach dem nächsten, sie war als Petunia Dursley in der «Harry Potter»-Reihe zu sehen und ist dieser Tage in Film und Fernsehen präsent wie nie. Nach Serien wie «True Blood», «Killing Eve», «Andor», «True Detective: Night Country» oder jüngst «Bad Sisters» sowie lesbischen Rollen in Filmen wie «Ammonite» oder aktuell «Echo Valley» (bei AppleTV+) ist sie nun eine der Protagonistinnen in der Romanverfilmung «Hot Milk», die gerade in den deutschen Kinos läuft.

Die Milch ist zwar nicht heiss, dafür ist die Stimmung zwischen dem «Sex Education»-Star Emma Mackey und Vicky Krieps aufgeheizt. Im Regiedebüt «Hot Milk» der Drehbuchautorin Rebecca Lenkiewicz («She Said») entwickelt sich eine knisternde Romanze zwischen dem «Sex Education»-Star Emma Mackey und Vicky Krieps auf der Leinwand. Doch diese wird von alten Traumata und einer herrschsüchtigen Mutter (Fiona Shaw aus den «Harry Potter»-Filmen) überschattet. Ein Plus des Films ist die Leistung von Shaw als fiese Mutter, die wegen eines mysteriösen Leidens nur noch im Rollstuhl sitzen kann. Jetzt im Kino!

Ms. Shaw, in der Bestseller-Verfilmung «Hot Milk» geht es um die recht komplexe Beziehung zwischen der von Ihnen gespielten, im Rollstuhl sitzenden Rose und ihrer sich um sie kümmernden Tochter Sofia (Emma Mackey). Zwei Frauen, die in ihrem Verhalten manchmal nur schwer nachvollziehbar sind, oder? Genau, und so etwas finde ich als Schauspielerin immer besonders spannend. Selbstverständlich mache ich es mir immer zu meiner Aufgabe, die Figuren, die ich spiele, so gut wie möglich zu verstehen. Aber das heisst nicht, dass ich jede Facette auch wirklich begreife. In diesem Fall konnte ich vieles an Rose nachvollziehen, aber zum Beispiel nicht, warum sie ihre Tochter nicht nach der Beziehung fragt, die sie mit der von Vicky Krieps gespielten Frau am Strand beginnt. Bekommt sie nicht mit, was da vor sich geht? Will sie es nicht wissen? Im Verleugnen sind in «Hot Milk» ja alle ziemlich gut. Aber auf jeden Fall ist es spannend, dass Rose sich dann ausgerechnet mit dem Freund jener Frau anfreundet, in die ihre Tochter verliebt ist.

Spannend ist ein Wort. Man könnte auch sagen: grausam. Ja, sicherlich. Ich verstehe auch, wenn man findet, Rose sei eine Tyrannin. Wobei ich selbst das nicht so sehe. Als jemand, der sich mit Leib und Seele in diese Frau verwandelt hat, kann ich verstehen, dass sie erwartet, dass ihre Tochter sich um sie kümmert. Zumal Emma weder einen Job noch eine eigene Familie hat. Aber der Grad zur Ausnutzung ist natürlich ein schmaler.

Ich habe selbst solche symbiotischen Mutter-Tochter-Beziehungen in meinem erweiterten Umfeld beobachten können. Das entwickelt sich selten in eine gute Richtung, ohne dass eine von beiden Seiten das wirklich intendiert. Anfangs ist erscheint alles sehr praktisch und komfortabel, aber es passiert schnell – wie man in «Hot Milk» sieht – dass die Tochter im Grunde nie ihr eigenes Leben zu leben beginnt und ihr Potential entfaltet.

Sie sagen, dass Sie sich der Rolle mit Haut und Haar verschrieben haben. Wie konkret sieht das bei Ihnen aus? Zum Beispiel sass ich in jeder freien Minute in meinem Rollstuhl, sei es am Set oder im Hotel. Und das machte etwas mit mir. Es gibt im Film eine Szene zwischen Rose und einem Arzt, in der Dinge mit mir passierten und aus mir herausbrachen, die nicht im Drehbuch standen, sondern durch die Erfahrungen in diesem Rollstuhl aus mir herausbrachen.

Manche würden das Method Acting nennen, oder? Wahrscheinlich ist es eine Variation von Method Acting. Ich habe in den 80er Jahren im Film «Mein linker Fuss» mit Daniel Day-Lewis mitgespielt, von daher weiss ich, was ein echter Method Actor ist, der während der Dreharbeiten konstant in seiner Rolle bleibt. Und ich will gar nicht diesen Schauspiel-Mythos überhöhen, denn eigentlich ist es unser Job, mit ein bisschen Konzentration in jede Rolle schlüpfen zu können, ganz gleich wie die Umstände sind. Aber beim Film begibt man sich nun einmal in eine Phantasiewelt – und das nicht allein, sondern als grosses Team. Vom Kameramann bis zur Kostümdesignerin bemühen sich alle, eine Illusion aufrechtzuerhalten. Je öfter man mit dieser Illusion nicht bricht, je öfter ich also nicht aus meinem Rollstuhl aufstehe und mich niemand laufen sieht, desto effektiver. Das kann einerseits für alle mühsam sein, aber eben auch recht hilfreich.

Aber Sie waren dann zwischendurch auch mal Sie selbst und nicht von morgens bis abends Rose? Nein, so weit geht das bei mir nicht. Aber tatsächlich war Rose eine Figur, die abends nach Drehschluss ungern loslassen wollte, um sie nicht zu verlieren. Ich wollte den Fokus und meine Konzentration bewahren. Also bin ich zum Beispiel nie mit Emma und den anderen jungen Leuten an den Wochenenden von dem kleinen Örtchen, in dem wir in Griechenland drehten, nach Athen gefahren. Ich bin im Hotel geblieben, habe viel gemalt und bin früh ins Bett gegangen. Ziemlich langweilig und ein wenig einsam. Aber wenn ich weiss, dass das nur für ein paar Wochen ist und mir dabei hilft, nahe dranzubleiben an einer schwierigen Figur, dann macht mir das nichts aus.

Sie sind inzwischen Mitte 60 und scheinen fleissiger denn je. Kürzertreten käme Ihnen nicht in den Sinn? Oh, glauben Sie mir, ich trete schon kürzer. Die längste Zeit meiner Karriere lag mein Hauptfokus auf dem Theater, und da habe ich unermüdlich gearbeitet. Für Privatleben blieb da kaum Zeit, zumal ich in einem Alter war, in dem ich eine Hauptrolle nach der nächsten spiele. Inzwischen drehe ich ja mehr und spiele dabei meistens Rollen, in denen ich nicht das komplette Projekt auf meinen Schultern tragen muss. Das ist eine ganz andere Art von Belastung.

Ich bin heute viel entspannter, was die Arbeit angeht, was ich sicherlich zum Teil meiner Frau zu verdanken habe. Aber eben auch dem Alter. Maggie Smith hat einmal gesagt: «Wer die 60 hinter sich hat, muss nichts mehr beweisen, dann bleibt nur noch das Erbe.» Ich lebe also schauspielerisch gesehen jetzt von dem, was ich mir jahrzehntelang erarbeitet habe. Das ist sehr angenehm, muss ich sagen.

Umtriebig sind Sie aber in jedem Fall, wenn man an all Ihre Rollen der letzten Jahre denkt. Wonach suchen Sie aus, was Sie interessiert? Wenn ich Drehbücher lese, sind meine konkrete Rolle oder die Handlung erst einmal zweitrangig. Meistens reicht es mir schon, wenn ich einen Satz lese, der hängen bleibt. Den ich auch Seiten später noch im Kopf habe und nicht vergessen kann. Gerade bei Theaterstücken ist es das, wonach ich suche. Bei Filmen und Serien – denken Sie an «Andor» oder «Fleabag» – sind natürlich auch gut geschriebene Drehbücher das A und O. Allerdings kommen da auch mal andere Faktoren hinzu. Die Aussicht, ein paar Wochen mit Jodie Foster in Island zu drehen zum Beispiel, wie bei «True Detective». Oder dass ich, wie bei «Hot Milk», jemanden spielen darf, der von mir selbst nicht weiter weg sein könnte und deswegen eine echte Herausforderung darstellt.

Die Regenbogenfahne wurde am Samstag vorm Finanzministerium in Berlin gehisst. SPD-Vizekanzler Klingbeil widersetzt sich damit den ausdrücklichen Anweisungen von Koalitionspartner CDU (MANNSCHAFT berichtete).

Unterstütze LGBTIQ-Journalismus

Unsere Inhalte sind für dich gemacht, aber wir sind auf deinen Support angewiesen. Mit einem Abo erhältst du Zugang zu allen Artikeln – und hilfst uns dabei, weiterhin unabhängige Berichterstattung zu liefern. Werde jetzt Teil der MANNSCHAFT!

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare