Warum sind Vampir*innen so queer?
Vampirerzählungen sind eine beliebte Metapher und Projektionsfläche für Homosexualität
Noch bevor Bram Stoker mit Graf Dracula den wohl berühmtesten Vampir der Literatur- und Filmgeschichte schuf, trieb bereits eine Vampirin ihr Unwesen und hatte es interessanterweise fast ausschliesslich auf junge Frauen abgesehen.
Mit «Carmilla» veröffentlicht der Ire Joseph Sheridan Le Fanu 1872 einen Roman über eine lesbische Vampirin, die in der Steiermark auf Opfersuche geht, der Stoker zu seinem weltberühmten Roman inspirierte. Zugleich ist «Carmilla» ein ideales Beispiel für die lange Tradition queerer Figuren und Sujets im Horror- und Fantasygenre. Besonders in Vampirerzählungen spielen homoerotische Untertöne seit jeher eine grosse Rolle.
Eine von Carmillas bissigen Nachfahrinnen heisst Juliette und soll schon bald bei Netflix ihren Durst stillen dürfen. Allerdings verliebt sich die junge Blutsaugerin (Sarah Catherine Hook) in der Serie «First Kill» ausgerechnet in eine Vampirjägerin (Imani Lewis), die ihr nach dem ewigen Leben trachtet. Die von Schauspielerin Emma Roberts produzierte Serie basiert auf einer Kurzgeschichte der amerikanischen Autorin Victoria Schwab. Ob wir die lesbische Vampirromanze noch in diesem Jahr zu sehen kriegen, ist leider noch unklar.
Die Serie «First Kill» zeigt jedoch, dass Vampirerzählungen auch heute noch eine beliebte Metapher und Projektionsfläche für Homosexualität sind. Doch warum sind Vampir*innen so queer? Als menschliche Monster entziehen sich vampirische Figuren klassischen Kategorien. Sie durchbrechen Gendernormen und lassen sich selten auf eine bestimmte Sexualität festlegen. In der Dunkelheit der Nacht begehen Vampir*innen Tabubrüche und können anhand bestimmter Merkmale und Verhaltensweisen entlarvt werden. All das macht sie zugleich furchteinflössend und faszinierend.
Vor allem die Serie «True Blood» macht diese Metaphorik zum zentralen Bestandteil der Serienhandlung, die ganz bewusste Parallelen zur Lesben- und Schwulenbewegung aufweist. In der HBO-Produktion, die es zwischen 2008 und 2014 auf insgesamt 7 Staffeln brachte, «outen» sich die Vampir*innen, treten aus dem Schatten und offenbaren sich den Menschen. Möglich macht diesen Schritt ein synthetischer Blutersatz, der den Verzicht auf menschliches Blut erlaubt. Manche Menschen begrüssen die Vampir*innen in ihrer Mitte, andere verschliessen sich vor dem Unbekannten und begegnen ihnen mit offenem Hass.
Ihre erste Blüte haben Vampirgeschichten im frühen 19. Jahrhundert. In einer Zeit also, in der es undenkbar ist, offen über gleichgeschlechtliche Liebe zu schreiben. In den Gothic Novels dieser Jahre verarbeiten die Autor*innen daher ihre eigenen Sehnsüchte und Wünsche oftmals unter dem Deckmantel des Übernatürlichen und Fantastischen.
Mit der Zeit tritt der homoerotische Subtext immer deutlicher zutage. In Film und Fernsehen zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab. Der sogenannte Hays Code verbietet ab den 1930er-Jahren die filmische Darstellung homosexueller Figuren und Sujets, weshalb die Filmschaffenden ihre Erzählungen ebenfalls in den Bereich des Fantastischen verlagern, um so das Regelwerk zu umgehen. Parallel zur Lesben- und Schwulenbewegung ab den Siebzigerjahren emanzipieren sich auch die Vampir*innen in Literatur, Film und Fernsehen.
In Anne Rices «Interview mit einem Vampir»-Reihe sind die homosexuellen Zwischentöne bereits mehr als deutlich und es folgen viele ähnliche Werke. Mit «Does Dracula Really Suck?» erscheint in dieser Zeit sogar der erste Schwulenporno rund um den berühmten Grafen. Die Serie «The Lair» aus dem Jahr 2007 ist schliesslich die erste ausschliesslich schwule Vampirserie über einen Nachtclub, der von leicht bekleideten Blutsaugern bevölkert wird.
Bei so vielen Serien und Filmen, die mittlerweile sehr offen mit der Queerness der Blutsauger*innen umgehen, ist es fast schon enttäuschend, dass die jüngste Adaption der BBC «Dracula» vergleichsweise regressiv daherkommt und den homosexuellen Subtext auf ein Minimum reduziert. Dabei ruft Graf Dracula schon in der literarischen Vorlage «Dieser Mann gehört mir!», als sich ein paar Vampirfrauen über sein Opfer Jonathan Harker hermachen wollen, und macht so seine Besitzansprüche mehr als deutlich
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