«Ein fatales Signal»: Was queeren Organisationen jetzt droht

Staatliche Kürzungen bei der Kulturförderung

Jürgen Piger (l) und das Team vom Anyway
Jürgen Piger (l) und das Team vom Anyway (Bild: Instagram/anyway_koeln)

Die geplante Haushaltskürzungen in Deutschland treffen die queere Szene hart. Viele haben mit dem Überleben zu kämpfen. In Köln gibt es allerdings noch etwas Hoffnung.

Der Staat muss sparen, und zwar enorm. Vielerorts steht das gleichbedeutend mit harten finanziellen Einschnitten, die durch die Inflation noch schwerer wiegen. Nicht selten wird der Rotstift zuerst bei Kultur und/ oder im sozialen Bereich angesetzt – mit schweren Folgen für die LGBTIQ Community.

Der erste Knall ertönte dahingehend in Berlin. Der Kulturetat, der ohnehin lediglich 2,1 Prozent des dortigen Gesamthaushalts ausmacht, soll um rund 130 Millionen Euro reduziert werden. Zwar konnten durch Proteste queere Jugendclubs, grössere Theater und einige Institutionen wie das Schwule Museum verschont werden, die Ausmasse sind dennoch erheblich.

Zum einen, weil manche Häuser wie die Komische Oper oder das queere Kulturprojekt Pinkdot trotzdem vor dem Aus stehen, zum anderen, da besonders die freien Künstler*innen betroffen sind, die nicht nur einen Grossteil der Kulturschaffenden ausmachen, sondern sich ohne feste Engagements und dauerhafte finanzielle Förderungen ohnehin schon in einer prekären Situation befinden.

So betonte das Schwule Museum, dass die Organisation zwar nicht direkt von der Streichung betroffen sei, durch das Ende der Jugendkulturinitiative und des Resilienz-Dispatcher-Programms aber wichtige Ressourcen und Strukturen wegbrechen würden. Spezielle Bildungsangebote für Jugendliche, Kooperationen mit queeren Jugendzentren sowie die geplante Schaffung eines Jugendbeirats würden nun entfallen, auch angestrebte Digitalisierungsprojekte können nicht durchgeführt werden.

«Jahrelang mühsam aufgebaute und international anerkannte Strukturen drohen unwiederbringlich verloren zu gehen.»

Schwules Museum

«Durch den Wegfall dieser Programme verlieren zwei Mitarbeitende ihre Stellen und freie Mitarbeitende ihre Aufträge. Dem Museum fehlen 2025 knapp 87.000 Euro. Zusätzlich treffen Kürzungen wie die Streichung des eintrittsfreien Museumssonntags und von Diversity Arts Culture auch unsere Zielgruppe, besonders junge Menschen und Personen mit eingeschränktem Zugang zu Kunst und Kultur», heisst es. «Jahrelang mühsam aufgebaute und international anerkannte Strukturen drohen unwiederbringlich verloren zu gehen. Dies gefährdet nicht nur aktuelle Projekte, sondern auch vergangene Investitionen und zukünftige Entwicklungen. Eine diverse Kulturproduktion wird erschwert, was besonders in Zeiten wachsender gesellschaftlicher Spannungen ein falsches Signal setzt.»

Während sich Deutschland vor der bevorstehenden Wahl und möglicherweise erneuten eklatanten Einschnitten einem Rechtsruck entgegensetzen muss und die AfD mit queerfeindlichen Parolen auf Stimmenfang geht (MANNSCHAFT berichtete), ist diese Entwicklung ein trauriges Zeichen. Denn gerade über die Kultur werden schliesslich Diversität kommuniziert, konstruktive Dialoge gefördert und Selbstverwirklichung unterstützt – und das für alle gesellschaftlichen Gruppen.

Trotz dieser Signifikanz deuten sich Streichungen nicht nur in Berlin an, sondern auch in Köln. Obwohl die Entwicklung hier bisher weniger prominent diskutiert wurden, ist die Rheinmetropole als bedeutendes kulturelles Zentrum und Heimat einer lebendigen queeren Szene potenziell ebenfalls stark von den bundesweiten Sparmassnahmen betroffen. Kulturelle Einrichtungen und Veranstaltungen, die für die Sichtbarkeit und Unterstützung der queeren Gemeinschaft essenziell sind, könnten weitreichend in ihrer Arbeit behindert werden.

So sieht sich der queere Verein Anyway mit möglichen Einbussen von 191‘000 Euro konfrontiert. «Derartige Kürzungen haben natürlich weitreichende, tiefgreifende und nachhaltige Auswirkungen auf die queere Szene. Essenzielle Schutz- und Beratungsangebote fallen weg, was besonders für queere Jugendliche und junge Erwachsene dramatisch ist. Sie verlieren wichtige Rückzugsorte, die ihnen Halt und Unterstützung bieten», erklärt GeschäftsführerJürgen Piger gegenüber MANNSCHAFT und führt weiter aus: «Diese Räume und Angebote sind oft lebenswichtig, da queere Menschen überdurchschnittlich häufig mit Diskriminierung, Isolation und psychischen Belastungen zu kämpfen haben.»

Der 1978 in Südtirol geborene Pädagoge betont derweil, dass queere Organisationen ohnehin schon «in vielerlei Hinsicht auf wackeligen Füssen stehen». Weil LGBTIQ noch immer als Nischenthema wahrgenommen und nicht als Priorität eingeordnet werden, weil die fälschliche Annahme besteht, dass mit rechtlichen Fortschritten wie der Ehe für alle oder dem Selbstbestimmungsgesetzt bereits genug getan wurde und auch, da es häufig an der politischer Lobby und finanziellen Ressourcen fehlt, um eigene Anliegen in den Haushaltsverhandlungen stark zu vertreten.

«Hinzu kommt, dass die zunehmende Sichtbarkeit queerer Menschen leider auch verstärkten gesellschaftlichen Gegenwind erzeugt, was dazu führt, dass politische Unterstützung in manchen Fällen ausbleibt, um Konflikte mit konservativen oder rechtspopulistischen Gruppen zu vermeiden», sagt Piger.

«Das Schlimmste ist jedoch, dass in vielen politischen und gesellschaftlichen Strukturen queerfeindliche und heteronormative Denkweisen immer noch präsent sind. Diese führen dazu, dass queere Anliegen nicht die Wertschätzung erfahren, die sie verdienen. Letztlich senden solche Kürzungen ein fatales Signal: dass die Anliegen queerer Menschen weniger wert sind – was die gesellschaftliche Akzeptanz und den Schutz dieser Gruppe massiv gefährdet.»

Das Zentrum bietet seit 2011 einen sicheren Raum und sieht sich nach den Schwierigkeiten der Pandemie und neben der ohnehin wachsenden Anzahl an queerfeindlichen Übergriffen im Jahr 2025 der nächste grossen Aufgabe gegenüber.

Das Jahr 2025 werde eine enorme Herausforderung, sagt Piger. «Es wird entscheidend dafür sein, wie wir als Gesellschaft mit den zunehmenden Herausforderungen umgehen. Für uns bedeutet das, noch intensiver für Aufklärung, Akzeptanz und Schutz einzutreten – selbst unter erschwerten Bedingungen. Unsere Hoffnung bleibt, dass die Politik die Bedeutung dieser Arbeit erkennt und uns die nötigen Ressourcen sichert, um die queere Jugend nicht im Stich zu lassen.»

Jürgen Piger

Es geht nicht nur um Zahlen – es geht um den Schutz und die Zukunft junger Menschen in unserer Gesellschaft

Jürgen Piger, Anyway

An diesem Freitag Januar soll bei der Sitzung des Finanzausschusses final und verbindlich über den Haushalt abgestimmt werden. Die grösste Hoffnung des Anyway ist, dass das Ratsbündnis aus Grünen, CDU und Volt zu seinem Versprechen im Bündnisvertrag – queere Jugendzentren zu stärken – steht, und die geplanten Kürzungen zurücknimmt. Kontruktive Gespräche habe es schon gegeben

«Dieses breite politische Verständnis für die Dringlichkeit unserer Anliegen gibt uns Hoffnung», sagt Piger. «Es geht nicht nur um Zahlen – es geht um den Schutz und die Zukunft junger Menschen in unserer Gesellschaft.»

Jang Yeong-jin steht als erster Mann in Nordkorea offen zu seiner Homosexualität. Dabei entdeckte er seine sexuelle Orientierung erst in seiner zweiten Heimat Seoul (MANNSCHAFT berichtete).

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