Darja Kassatkina: Heldin unseres queeren Alltags
Die lesbische Tennisspielerin riskiert was mit ihrem Coming-out
Die Nummer 12 der Tennis-Welt, die Russin Darja Kassatkina, hat sich in dieser Woche als lesbisch geoutet. Unser Autor würdigt sie in seinem Kommentar*.
Mein erster CSD war der 1979 in Bremen – und wir waren allenfalls 200 Leute, die sich buchstäblich trauten. Im Jahr darauf mobilisierten wir die Massen, so wie ein CSD – ob in Deutschland, Österreich oder der Schweiz – eben heutzutage eine Parade ist und kein sektenhafter Umzug wie in meinen Coming-out-Jahren: 1980 war es schon ein Riesenerfolg, zumindest in Hamburg, dass 700 bis 800 Queers zusammenkamen. Schade, dass wir damals nicht mehr waren, aber die Dinge haben sich, historisch gesehen, eben erst damals zu unseren Gunsten entwickelt: Wir wurden sagbar und wir taten viel dafür, uns nicht irgendein Wasser abgraben zu lassen.
Was aber echtlich misslich war, war der Mangel an Vorbildern, an Menschen, an denen man sich positiv orientierten kann. Wer weiss schon, wie ein schwules Leben geht, wenn es nicht versteckt sein soll, sondern, Achtung: Giftwort normal sein soll. Normal im Sinne von «Alles kann normal sein», so jedenfalls. Rex Gildo, Jürgen Marcus oder Tony Holiday? Nein, nicht ernsthaft, das waren keine coolen Figuren. Der Schauspieler Hubert von Meyerinck, der legendäre Theaterintendant Gustaf Gründgens? Oh, bitte, nein, diese kulturelle Geraune, dieses So-tun-als-ob-irgendwie, nein danke. Rosa von Praunheim vielleicht? Ja, schon, aber mir persönlich zu laut, um ernsthaft cool zu sein. Was ja nicht Rosa von Praunheims Lebensleistung schmälern soll, aber mir schwebten schwule Männer (und lesbische Frauen) vor, die einfach so ihr Ding machen, ohne krummbuckelig körperlich auszusehen, als suchten sie ängstlich das nächste Versteck.
Mein erstes echtes Idol war Martina Navratilova, eine lesbische Frau, die das auch öffentlich die meiste Zeit war, und als das noch nicht so explizit war, lag es an den heteronormativen Medien, die sich kaum auszusprechen wagten, dass auf der Bank der Angehörigen, wenn sie spielte, nicht eine Trainerin, sondern ihre Lebensgefährtin, also ihre Liebste. In dieser Weise gab es keine schwulen Männer, Frauen trauten sich eher und smarter. Navratilova eben. Sie machte daraus, also ihre Liebe zu Frauen, kein wirklich grosses Ding – auch das ein Faktor, der sie zum Idol machte: Krass selbstbewusst, körperlich aufrecht, sportlich siegesinteressiert – einfach anbetungswürdig.
Ich finde, Idole können auch Nachbarn sein. Sonst unauffällige Menschen, die einfach selbstverständlich lesbisch oder trans oder schwul sind – ohne viel Gewese, aber das deutlich. Jeder schwule Mann, jede lesbische Frau, jede trans Person – gleich welcher öffentlichen Prominenz sie jeweils sind – taugt zum Vorbild, wenn sie mit grösster Selbstverständlichkeit zu einer CSD-Parade gehen und geniessen, in Community zu sein. Nur um sich zu zeigen mit dem Signal: Ich bin da, mich haut nicht so schnell was um, weil ich nicht allein bin.
Mein Vorbild der Woche ist im Übrigen die russische Spitzentennisspielerin Darja Kassatkina. Via Social Media lancierte sie die Geschichte, dass sie mit einer Frau zusammen ist, dass sie lesbisch ist, dass sie dafür einsteht, keine grosse Sache, so sagte sie, aber sie wollte irgendein Gemunkel um sie und ihre Liebe, alle Gerüchte sofort im Keim ersticken (MANNSCHAFT berichtete).
Aber was qualifiziert sie zur Heldin unseres queeren Alltags? Weil sie Russin ist, zwar in Barcelona lebt – aber eben Russin bleibt. Sie riskiert was mit ihrem Coming-out, sie kann das nicht artikulieren, ohne dass es in ihrer Heimat böse Worte über sie gibt. Kurzum: Sie ist keine Gratismutige, sie weiss, dass ihr offenes Sprechen über Homosexualität in der Heimat ein Strafverfahren eintragen könnte. Dieser Anti-Homosexualitätsparagraph wurde ja vor wenigen Jahren eingeführt, um Menschen wie sie und Hunderttausende andere Schwule und Lesben einzuschüchtern (MANNSCHAFT berichtete).
Das dementierte sie nun: Sie geht nicht krumm durchs Leben, sie macht sich nicht klein, sie ist, um einen feministischen Ausruf der frühen siebziger Jahre aufzugreifen, «unbezwingbar». Das nenne ich cool: Nichts zu bekennen – was sollte an homosexueller Liebesfähigkeit schon bekenntnisbedürftig sein? –, sondern nur klarzustellen. Darja Kassatkina hat, so gesehen, in meinem Herzen einen Plätzchen erobert. Und das, sorry for Kitsch, fühlt sich gut und richtig an.
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen LGBTIQ-Thema. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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