Respektpreis für Sara Grzybek von Queermed Deutschland
Bei der Gala im Schlosshotel Berlin wurde auch Kritik am Bündnis gegen Homophobie geäussert
Im mit viel Gold à la «The Gilded Age» überzogenem grossen Saal des Schlosshotels Berlin wurde am Donnerstagabend der diesjährige Respektpreis des Bündnisses gegen Homophobie vergeben. Sara Grzybek erhielt den mit 1‘000 Euro dotierten Preis für seine*ihre Arbeit an Queermed Deutschland.
Das Bündnis gegen Homophobie ist ein Projekt des LSVD Berlin-Brandenburg, das 2009 ins Leben gerufen wurde. Es vergibt jährlich einen sogenannten Respektpreis an Menschen und Organsiationen, die sich besonders im Kampf gegen Homophobie engagieren. Diesmal war dieser Preis erstmals an einen Geldbetrag gekoppelt, wie der Geschäftsführer des LSVD Berlin-Brandenburg, Alexander Scheld, in seiner Moderation erklärte: Man habe bei der Gala «Gemeinsam bunt» vom Erlös 500 Euro für den Preis nutzen können, es habe eine Spende gegeben, und das Bündnis habe dann den Betrag auf 1000 Euro «aufgerundet». Der Chef des Schlosshotels, Stephan Meves, legte bei der Gala nochmals zwei Übernachtungen («mit Frühstück») obendrauf.
Von insgesamt 14 abgegebenen Vorschlägen wurden von einer Jury in mehreren Runden drei Organisationen bzw. Einzelpersonen ausgewählt, die für den Respektpreis 2023 nominiert waren. Das waren der Sportverein Berlin Bruisers und Sebastian Vetter von der AHA-Berlin. Ausserdem Sara Grzybek, der*die mit Queeermed Deutschland ein Online-Verzeichnis von «queerfreundlichen und sensibilisierten Ärzt*innen, Therapeut*innen und Praxen» gegründet hat (MANNSCHAFT berichtete), nach dem Vorbild von Queermed Österreich.
«Angst macht sich in der LGBTIQ-Community breit» Bevor es zur Verkündung der*des Gewinner*in kam, skizzierten mehrere Redner*innen die aktuelle Lage. So sprach Alfonso Pantisano (SPD) als Queerbeauftragter des Landes Berlin in seiner Eröffnungsrede – anstelle des verhinderten Staatssekretärs für Integration, Antidiskriminierung und Vielfalt, Max Landero (SPD) – davon, dass sich aktuell «Angst» breitmache in der LGBTIQ-Community, wie er sie in den letzten 30 Jahren so noch nicht erlebt habe. Diese Angst sei auch begründet, wenn man sich die aktuellen, abermals gestiegenen Zahlen der Polizeistatistik anschaue (MANNSCHAFT berichtete).
Pantisano wollte offensichlich mehreren Organisationen und Personen auf die Füsse treten. So sagte er u.a. zum Bündnis gegen Homophobie: «Wir brauchen mehr Energie!» Angesichts des stark gefährdeten Sicherheitsempfindens vieler queerer Menschen in Berlin wünschte er sich zudem, dass die BVG (als Partner*in im Bündnis) auf ihren diversen Informationsportalen in Bussen und Bahnen explizit auf die Lage hinweisen solle, aber auch klarer kommunizieren müsse, an wen man sich wenden könne, um Übergriffe und Beleidigungen anzuzeigen.
Er erinnerte daran, dass Bilder aus Überwachungskameras nur 48 Stunden aufbewahrt würden, dass man also immer sofort Anzeige erstatten müsse, um solches Bildmaterial auswerten zu können. Die meisten wüssten das nicht, so Pantisano, und würden oft zögern, die bürokratischen Hürden zu nehmen, um zur Polizei oder einer anderen Einrichtung zu gehen.
Mehr Geld für ältere Menschen in Randbezirken gefordert Pantisano mahnte zudem vom Berliner Senat mehr Anstrengungen, auch für ältere queere Menschen in den Randbezirken von Berlin etwas zu tun, die dort teils vereinsamten und für die es gezielte Angebote geben müsse, damit das Leben dort auch «Spass» machte, so Pantisano.
Dass der Respektpreis dieses Jahr mit 1‘000 Euro dotiert ist, machte Pantisano indirekt lächerlich indem er sagte, da sei noch «Luft nach oben».
Zuletzt mahnte Pantisano ausserdem an, dass man in Zukunft die Bisexuellen als grösste Einzelgruppe innerhalb der LGBTIQ-Community ernster nehmen müsse. Dass es bislang nur einen einzigen Verein für Bisexuelle in Berlin gebe («BiBerlin») – der ehrenamtlich arbeite – wolle er ändern und forderte für Bisexuelle eine bessere finanzielle Förderung durch den Senat.
Der anwesende Vorstand von BiBerlin sagte zu MANNSCHAFT, er habe dieses Interesse an der Bi-Community von Seiten Pantisanos und dn Hinweis auf diese sonst oft übersehene Einzelgruppe begrüsst.
Polizeipräsidentin Barbara Slowik stellte im Anschluss die aktuelle Kriminalitätsstatistik queerfeindlicher Übergriffe für die ersten drei Quartale des Jahres 2023 vor. Im Bereich der Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität seien für Berlin bisher 116 Gewaltdelikte und 354 weitere Straftaten wie Beleidigungen, Bedrohungen und Sachbeschädigungen registriert worden, hiess es. Daraus werde deutlich, dass die Fallzahlen im Jahr 2023 erneut gestiegen seien.
«Akzpetanz ist inzwischen weniger selbstverständlich geworden» Für Slowik ergibt sich daraus, dass die Akzeptanz von sexueller Vielfalt auch in Berlin nicht selbstverständlich sei, ja sogar inzwischen «weniger selbstverständlich» geworden sei, was sie selbst in keinster Weise verstehen könne und wogegen sie mit der Polizei so gut wie möglich vorgehen wolle.
Slowik ging auch auf die Zunahme von anti-semitischen Beleidigungen und Übergriffen seit dem 7. Oktober ein und sagte: «Wenn eine Minderheit bedroht wird, greift das über auf andere Minderheiten.»
Sie kündigte an, dass die Berliner Polizei im kommenden Jahr verstärkt in bestimmten U-Bahnlinien und auf Plätzen präsenter sein werde, um das gestörte Sicherheitsempfinden vieler queerer Berliner*innen umzukehren.
«Schau nicht weg» Ebenfalls vorgestellt wurde die neue Plakatkampagne des Bündnisses gegen Homophobie, die in Kooperation mit der Wall GmbH und der Agentur Heldisch im Januar wieder startet. Diesmal kann man auf den Plakaten lesen: «In Zivilcourage steckt Mut», darunter «Schau nicht weg bei Queerfeindlichkeit und misch dich ein». Die Vertreterin von Wall verkündete, dass sie für die zehntägige Aktion im Januar 1‘000 zusätzliche Flächen bereitstellen werde. Im Laufe des Jahres werde die Kampagne dann immer wieder gezeigt, wenn Flächen frei werden. Auf den Postern findet sich ein QR-Code, über den man weitergeleitet wird zu Seiten mit Informationen zu Hilfsangeboten.
Nach einer Runde Sekt und Häppchen sowie einer kammermusikalischen Einlage stellte Alexander Scheld – mit silberglitzernden Schuhen und schwarzem Anzug mit Glitzerelementen, die dem thematischen Ernst des Abends seltsam entgegenstanden – die drei Laudator*innen vor, die die drei Nominierten für den Respektpreis präsentierten. Interessant dabei war, dass Hendrik Kosche in seiner Rede zum Rugby-Verein Berlin Bruisers (MANNSCHAFT berichtete) mehrmals über den Begriff «LGBTIQ» stolperte. Was an einem Abend wie diesem etwas merkwürdig wirkte. Kosche ist Kulturreferent bei der Jüdischen Gemeinde in Berlin und sprach ansonsten eindringlich über Diversität und sexuelle Vielfalt beim Sport.
«Medizinischer Safer Space» Laudatorin Jana Terhorst, als Verantwortliche für den Bereich Diversität und Kulturwandel bei der Berliner Feuerwehr, würdigte Queermed Deutschland «als einen medizinischen Safer Space und damit als eine wichtige gesellschaftliche Stimme in der Arbeit zu Chancengleichheit». Mit seinem*ihrem Online-Verzeichnis habe Sara Grzybek «eine Lösung für ein Problem geschaffen, welches in unserer Gesellschaft noch nicht genug Sichtbarkeit erfährt, aber dennoch für die Betroffenen von unschätzbarer Tragweite ist», so Terhorst.
Gerade die Berliner Feuerwehr, die oft Menschen zu Krankenhäusern fahre, fühle sich einem queerfreundlichen Umgang mit Menschen verpflichtet, wenn es um die notärtzliche Behandlung gehe. Terhorst sprach von einem «realen Kulturwandel», der hier eingeleitet worden sei.
Alfonso Pantinsano fiel dann die Ehre zu, den Umschlag zu öffnen, in dem der Name des*der Gewinner*in stand. «Und jetzt wird’s spannend …» sagte er und verkündete dann Sara Grzybek als Preisträger*in 2023. Grzybek selbst war nicht anwesend, weil er*sie mit Grippe im Bett lag, wie Alexander Scheld verkündete.
Er selbst endete den Abend mit einem Zitat aus «Der kleine Prinz»: «Man sieht nur mit dem Herzen gut», sagte Scheld und mahnte, man müsse viel mehr «auf die Herzen achten» und sollte «nicht auf die Hüllen» schauen. Wie genau er das in Bezug auf den Kampf gegen Homophobie in diesem «Gilded Age»-Ambiente meinte – das selbst eine Mrs. Russell in Staunen versetzt hätte – erklärte Scheld nicht. Auch ging er nicht auf die Kritik von Pantisano ein, der vom Bündnis mehr Energie geforderte hatte – statt Sektempfang und Kronleuchter und Glitzeroutfit?
760 Fälle und Hinweise auf Übergriffe gegen schwule, lesbische und trans Menschen sind im vergangenen Jahr von der Opferberatungsstelle Maneo in Berlin registriert worden (MANNSCHAFT berichtete).
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