«Kann sich die Schweiz die prominente Absenz leisten?»

Kurz vor der Frauenfussball-EM 2025 ist Alisha Lehmann ohne Angebot. Analyse eines Phänomens

Alisha Lehmann mit Fans am Rande eines Trainings
Alisha Lehmann mit Fans am Rande eines Trainings (Bild: dpa/Cyril Zingaro/KEYSTONE)

Im Frauensport hat kaum jemand so viele Anhänger wie die bisexuelle Schweizer Fussballerin und Influencerin Alisha Lehmann - in den sozialen Medien. Kann die bevorstehende EM überhaupt auf sie verzichten?

Sagenhafte 16,7 Millionen Follower*innen auf Instagram, dazu 12 Millionen auf TikTok. In der Welt des Frauenfussballs ist niemand so bekannt wie Alisha Lehmann. Zumindest was ihre Social-Media-Accounts angeht.

Vor der Heim-Europameisterschaft vom 2. bis 27. Juli (MANNSCHAFT berichtete) muss aber ausgerechnet die 26 Jahre alte Schweizerin um ihren Platz im Kader bangen.

«Kann sich die Schweiz die prominente Absenz leisten?», fragt nicht nur die Neue Zürcher Zeitung. Mehr noch: Kann es sich dieser Sport leisten, der auf allen Ebenen um mehr Sichtbarkeit kämpft?

Mehr Follower als Federer, Sommer und Xhaka zusammen «Erhält Lehmann eine Absage, fehlt nicht einfach eine Fussballerin, sondern ein Phänomen», schreibt die NZZ über die Stürmerin aus Tägertschi im Kanton Bern. Schliesslich erreiche Lehmann mit jedem Post «so viele Menschen wie Roger Federer, Yann Sommer und Granit Xhaka zusammen». Und fast so viel wie Tennis-Ikone Serena Williams (18,1 Millionen bei Instagram) und mehr als 25 Mal so viele wie die populäre deutsche Kapitänin Giulia Gwinn (642'000).

Die blonde Mähne zum Zopf gebunden, Wimperntusche, spitze Lippen, knappe Hose - so kennen die Fans Alisha Lehmann auf dem Rasen. Ihre Fotos und Filme bei Instagram: mit Ball beim Training, Meisterjubel mit ihrem Club Juventus Turin, wo die 59-fache Nationalspielerin keinen Stammplatz hat. Und oft Bikini-Bilder und Szenen mit stylishem Outfit.

Fussball- und Social-Media-Star Alisha Lehmann
Fussball- und Social-Media-Star Alisha Lehmann (Bild: Rolf Vennenbernd/dpa)

Die Angreiferin dürfte zu jenen Spitzenfussballerinnen gehören, die mit Werbung auf Social Media mehr verdienen als bei ihrem Club. Summen sind nicht bekannt, doch dieses Geschäftsmodell ist für Superstars überaus einträglich. Vor allem für die Nummer eins des Rankings: Cristiano Ronaldo - 657 Millionen Menschen folgen ihm auf Instagram - soll bis zu drei Millionen US-Dollar kassieren für einen einzelnen Werbepost.

«Followerinnen und Follower sind zu einer Art Währung geworden. Gerade in Sportarten, die nicht dauerhaft dermassen im Fokus stehen wie der Männerfussball», schreibt Bayern Münchens Starspielerin Gwinn in ihrem Buch «Write your own Story». Und: «Social Media ist entscheidend für die Sichtbarkeit des Frauenfussballs.»

Lehmann mit eigener DNA zur medialen Sichtbarkeit Im Sport habe man eine vielversprechende Chance, für mediale Sichtbarkeit zu sorgen, sagt Jana Wiske, Medienwissenschaftlerin der Hochschule Anspach. «Der Sport ist von Grund auf positiv besetzt. Da geht es um Athletik, um Ästhetik, um Gesundheit, um Erfolg. Dazu kann man versuchen – und das gelingt Alisha Lehmann herausragend – einen gewissen Wiedererkennungswert in dieser komplexen Welt des Sports, des Fussballs zu schaffen.»

Lehmann – die 2018 mit der Schweizer Nationalmannschaftskollegin Ramona Bachmann liiert war – habe eine eigene DNA entwickelt. «Das hat vor allem mit ihrer Optik zu tun, die sie geschickt einsetzt. Die Leute erkennen sie wieder, das ist ein entscheidender Punkt. Sie steht für das Thema Attraktivität und einen bestimmten Lebensstil», erklärte Wiske. «Überraschend ist, dass sie sportlich gar nicht so erfolgreich ist.»

Harter Kampf um einen Platz im EM-Aufgebot Interviewanfragen an Lehmann, die heute (wieder) mit dem brasilianischen Fussballspieler Douglas Luiz in einer Beziehung lebt, werden derzeit von ihrem britischen Management abgelehnt, «da ihr Fokus auf dem Schweizer Nationalteam liegt». Die frühere Aston-Villa-Spielerin fehlte in diesem Jahr teilweise im Aufgebot von Nationaltrainerin Pia Sundhage, die mit 35 Spielerinnen in die EM-Vorbereitung in Magglingen gestartet ist. «Ich bin jemand, der nie aufgibt. Ich trainiere sehr hart und gebe alles dafür, dass ich schlussendlich aufgeboten werde», sagte Lehmann zuletzt.

Der 23-er Kader wird nicht einfach so bekanntgegeben, sondern die Fans können in einer Art Schnitzeljagd («The Chase») die EM-Teilnehmerinnen herausfinden. Die grosse Frage: Ist Lehmann bei der Bekanntgabe am 23. Juni dabei? Oder fehlt jene Figur, mit der die Schweiz auch für ihr Turnier wirbt?

Kapitänin warnt vor schnellen Urteilen Natürlich erntet die Schweizerin auch viel Häme und Spott in den sozialen Medien, gerade durch ihre offenherzige Darstellung. «Wir sehen, dass Alisha Lehmann genauso viel investiert wie alle anderen», betonte «Nati»-Kapitänin Lia Wälti im SRF. «Sie hat enormen Ehrgeiz und ihre Priorität ist auf dem Fussball. Man urteilt einfach extrem schnell, ich glaube, da muss man aufpassen.»

Lehmann selbst sagte der Zeitung 20 Minuten: «Ich bin mittlerweile älter geworden und es ist mir egal. Ich finde die ganze Kritik sogar lustig. Wenn mich jemand für mein Make-up kritisiert, nehme ich halt extra den dunklen Lippenstift, dass sie noch mehr zu reden haben.»

«Sie ist schon ein Phänomen» Lehmann lasse sich in ihrem Drang zur Selbstdarstellung nicht beirren, sagt Medienexpertin Wiske. «Sie lässt zudem eine Nähe zu und nimmt einen mit in ihre Welt. Sie ist schon ein Phänomen.»

Ob Lehmann nun bei der EM spielen darf, wird ihrer Ansicht nach auch die Fernsehsender interessieren. «Da dreht sich etwas um: Die Reichweite der eigenen Kanäle von Sportlerinnen sind inzwischen auch ausschlagend dafür, ob etwas in den klassischen Medien live gezeigt wird.»

Von Ulrike John, dpa

Das Schwuz ist seit fast 50 Jahren einer der bekanntesten Clubs in der queeren Szene, nicht nur in Berlin. Doch der Laden muss sich an die verändernde Ausgeh-Kultur anpassen. Ein Drittel der Belegschaft wurde entlassen. Ein Mitarbeiter spricht über die schlechte Stimmung (zum MANNSCHAFT-Inerview).

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