Fussball für alle? Ein queer­feminis­tischer Blick auf die EM

Was der Frauenfussball für queere Menschen bedeutet

Queeres Aushängeschild: Megan Rapinoe.
Queeres Aushängeschild: Megan Rapinoe. (Bild: Jamie Smed, Creative Commons)

Im Vorfeld der EM rückt der Frauenfussball zunehmend ins Rampenlicht. Die wachsende Begeisterung spiegelt sich nicht nur in steigenden Publikumszahlen, sondern auch in einer lebendigen und vielfältigen Fankultur wider.

Fussball ist ein globales Phänomen. Kaum ein anderer Sport löst so viele Emotionen aus. Begeisterung, Spannung und Zusammenhalt sind nur wenige der Eigenschaften, die den Fussball für seine Fans so attraktiv macht.

Fankultur im Wandel Trotz dieser Hürden entstand über die Jahrzehnte eine eigenständige Szene im Frauenfussball: Durch das Engagement von Fans und Spieler*innen begann sich abseits von medialer Aufmerksamkeit die Wahrnehmung zu ändern.

Der Wandel macht sich mit einem enormen Publikumsinteresse für die bevorstehenden UEFA Women’s EURO 2025 in Basel bemerkbar. Noch nie wurden im Vorverkauf einer Frauen-Europameisterschaft so viele Tickets verkauft. Mit dem gestiegenden Interesse entwickelte sich damit eine neue Fankultur, die sich durch Offenheit und Buntheit auszeichnet.

Laura Rivas Kaufmann, Gründerin des ersten Frauenfussballmagazins «Frau Müller», etabliert in ihrer Masterarbeit die unterschiedlichen Identitäten von der bestehenden Fankultur im Männerfussball und einer neuen Kulturentwicklung im Frauenfussball.

Männerfussball basiert auf der Gemeinschaft und auf Homogenität. Was verbindet, ist eine Einheit. Alle lieben Fussball und haben ein gemeinsames Ziel. Dazu schreibt sie: «Das Individuum verschwindet in der Masse.»

Bei Frauenfussball wird Diversität grossgeschrieben. Was bei Männerfussball noch ein schwer zu bestreitender Weg zur individuellen Sichtbarkeit von Spielern ist, wird bei den Frauen als Teil einer queeren Subkultur gefeiert. Eine Gemeinschaft wird durch unterschiedliche Identitäten gebildet, die eine Offenheit schafft. Dadurch können sich Menschen akzeptiert und repräsentiert fühlen.

Fussballkultur als Raum für Alle Im Frauenfussball ist Queerness sichtbar. Bei den Fans genauso wie auf dem Spielfeld. Geoutete Spieler*innen treten explizit als queere Vorbilder auf, andere betonen die Normalität ihrer Queerness, die im Fussball «keine Rolle spielt» in einem positiven Sinn. Diese Offenheit schafft Identifikationsmöglichkeiten für heranwachsende Fussballspieler*innen wie auch für queere Fans.

Bei den Mannschaften im Männerfussball fehlt es an queerer Sichtbarkeit. Die Diskriminierungsvorfälle beim Männerfussball gegenüber queeren Personen auf dem Spielfeld und auf den Rängen gehören zur Realität. Queerfeindliche Gesänge sind nur eines der sich wiederholenden Beispiele für solche Vorfälle (MANNSCHAFT berichtete).

Für viele Fans gilt das Stadion als Flucht aus dem Alltag – ein Raum, in dem Emotionen ungefiltert ausgelebt werden dürfen. Das kann sehr befreiend sein und als Ventil dienen, oder bedrohlich, wenn es eine Grenze überschreitet. 

«Es sagt einfach etwas über das Umfeld aus. Wie safe es für sie ist. Wenn Leute sich nicht outen, heisst das, ihr Umfeld ist nicht safe.»

Anna Rosenwasser, Nationalrätin und LGBTIQ-Aktivistin

Die LGBTIQ-Aktivistin Anna Rosenwasser bringt es in einem SRF-Beitrag auf den Punkt: «Es sagt einfach etwas über das Umfeld aus. Wie safe es für sie ist. Wenn Leute sich nicht outen, heisst das, ihr Umfeld ist nicht safe.»

Die Politikerin richtet ihre Aussage primär an die Teams und ihre Strukturen, doch das gilt ebenso für die Fans. Wenn Sichtbarkeit und Individualität untergehen, weil eine Einheit erschaffen werden soll, geht das auf die Kosten derer, die eine Minderheit bilden. Es ist ein Ausdruck des Umfelds, das diese Sichtbarkeit nicht in sich trägt.

«Wenn ich die Aussage höre ‹Fussball ist für alle›, dann sage ich dazu: Euer ‹alle› ist ein anderes als meines. Die Frage ist: Wer fühlt sich dabei wohl?»

Es wäre falsch, die gesamte Männerfussballkultur zu verallgemeinern. Umso wichtiger ist es aber, die Unterschiede der Fankulturen und das Umfeld, das für queere Menschen besteht zu hinterfragen. Die Politikerin regt die Fans dazu an, im politischen Bereich des Fussballs engagiert zu bleiben: «Man kann Sachen geniessen und kritisch bleiben und kritisch laut bleiben.»

Eine kritische Auseinandersetzung mit queerer Sichtbarkeit im Fussball Auch wenn der Frauenfussball als Ort gefeiert werden darf, an dem queere Identitäten sichtbar sind und Akzeptanz gelebt wird, lohnt es sich innerhalb der queeren Community eine kritische Betrachtung dessen, was als Fortschritt gilt vorzunehmen. 

Die Grossveranstaltung der EM ist von der UEFA organisiert. Eine Organisation, die mit Programmen zur Förderung von LGBTIQ-Rechten wirbt, aber nur politisch Stellung bezieht, wenn es ungefährlich ist. Das Verbot der Regenbogenbeleuchtung in München, das Verhalten rund um die WM in Katar oder das Untersagen der Regenbogenbinde von Manuel Neuer zeigen, wie schnell Solidarität an Grenzen stösst, wenn es unbequem wird.

Carole Gygi, queerer Fan vom Frauenfussball weist darauf hin, dass es die finanziellen Mittel und Grossereignisse braucht, um den Frauenfussball weiterzuentwickeln. Dazu sagt sie weiter: 

«Aber ich glaube auch, dass es im Interesse der Fans, aber auch vor allem der Spielerinnen ist, dass sie sich immer wieder aussprechen.»

Sie erinnert an den Protest gegen ein geplantes Finale in Saudi-Arabien, bei dem sich mehrere Spieler*innen dagegen ausgesprochen haben, in einem Land zu spielen, das Frauenrechte nicht anerkennt.

«Ich finde Frauen sind dadurch viel mutiger und das finde ich mega stark, dass sie sich viel stärker positionieren.»

Viel diskutiert wird ebenfalls, wo ein Raum für Trans-Menschen im Fussball geschaffen wird. Wenn wir von einer queeren Community im Frauenfussball sprechen, wo haben dann non-binäre und Transpersonen ihren Platz?

Ein Spiel mit Zukunft Fussball hat die Kraft, Menschen zu verbinden. Es schafft Zugehörigkeit und stiftet Gemeinschaften. Ein Ort für Emotionen wie Freude, Begeisterung und Solidarität. Er ist dynamisch und wandlungsfähig.

Die Geschichte des Fussballs ist lang und hat noch viele Kapitel vor sich. Der Durchbruch des Frauenfussballs und die EM 2025 markieren eine wichtige Wende sowie der kulturelle Wandel, der damit gekommen ist. Vieles hat sich bereits verändert und darf als Meilensteine gefeiert werden, viel Änderung muss noch geschehen. Die Auseinandersetzung mit Gewalt, Diskriminierung und Ausschluss ist genau so wichtig wie die Frage, wie der Frauenfussball noch inklusiver werden kann für trans, nicht-binäre und andere marginalisierte Personen.

Den Fussball zu feiern und gleichzeitig zu hinterfragen, schliesst sich nicht aus. Eine gemeinsame Weiterentwicklung ist das Ziel.

Der 30-jährige Äneas Humm wuchs in Wädenswil, Kanton Zürich, auf und studierte an der renommierten Juilliard School in New York. Nach Festengagements in Weimar, Karlsruhe und St. Gallen reist er inzwischen rund um die Welt – mit Recitals und Opern (MANNSCHAFT-Interview).

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