Ramona Bachmann: «Es ist mir wichtig, mich öffentlich zu zeigen, wie ich bin»
Die offene Haltung zum Leben, Fussball und Liebe einer der führenden Schweizer Kickerinnen
Ramona Bachmann gehört zu den erfolgreichsten Fussballerinnen der Schweiz und steht seit Anfang ihrer Karriere offen zu ihrem Lesbischsein. Mit uns spricht sie über ihren Umgang mit Social Media, über ihr Coming-out und über die Herausforderungen im Frauenfussball.
Ein Jahr nach der Verlobung heiratete Ramona Bachmann im Juni 2023 ihre Freundin Charlotte Baret in Paris (MANNSCHAFT berichtete). «Der beste Tag meines Lebens, sie ist die Liebe meines Lebens», schrieb sie auf Instagram. Die standesamtliche Hochzeit sorgte international für Schlagzeilen, die Medien verbreiteten Bilder der Frischvermählten, die sie von Ramonas Social-Media-Kanälen übernahmen.
Ramona, wie ist dein Verhältnis zu den Medien? Eigentlich sehr gut. Ich machte noch nie eine negative Erfahrung. Im Gegenteil, die Berichterstattung ging immer in die Richtung, die ich mir auch erhofft hatte. Ich bin eine Person, die sich gerne offen gibt. Es war mir schon immer ein Anliegen, meine Beziehungen möglichst selbstverständlich leben zu können und der Welt zu zeigen: Ich führe ein «normales Leben», auch wenn ich mit einer Frau zusammen bin.
Auf Instagram hast du über 200 000 Follower. Wie ist dein Umgang mit Social Media? Seit ich so viele Follower habe, ist es fast unmöglich geworden mit ihnen zu interagieren. Ich komme kaum mehr dazu Kommentare zu lesen und bin auf Instagram fast nur noch mit Menschen aus meinem eigenen Umfeld in Kontakt.
Als mein Coming-out in den Medien war, bekam ich sehr viele Nachrichten – sowohl von Frauen als auch von Männern. Sie schrieben mir, dass sie zu sich stehen und sich selbst akzeptieren könnten und ich dazu beigetragen hätte. Das war sehr emotional für mich und bestärkte mich darin, weiterhin offen und authentisch zu sein.
Kommentare sind ja nicht immer positiv. In meinen Beziehungen gab es vereinzelte Fälle von Männern, die bestimmte Kommentare machten. Dagegen wehre ich mich immer. Wir zeigen uns nicht, damit sich Männer an uns aufgeilen können. Aber das ist allgemein das Grösste, was mich bei Social Media stört: Es gibt zu viele Leute, die ungefragt ihre Meinung kundtun müssen.
Ramona wuchs in Malters im Kanton Luzern auf. Als Vierjährige hatte sie 1995 ihren ersten Einsatz im Fussball – als Maskottchen in der Jungenmannschaft, die von ihrem Vater trainiert wurde. 2005 wurde sie mit dem FC Malters Schweizer Meisterin in der U18-Kategorie und spielte in der darauffolgenden Saison als jüngste Spielerin der Nationalliga B. Seit 2007 gehört sie zur Auswahl für die Schweizer Nationalmannschaft. Sie macht sich einen Namen für ihre Technik, ihre Geschwindigkeit und als Torschützin.
Du hast nie einen Hehl aus deiner Sexualität gemacht. Gab es je einen Punkt, an dem du entscheiden musstest, ob du das überhaupt willst? Eigentlich nicht. Sobald ich meine Sexualität realisiert hatte, akzeptierte ich sie auch. Ich outete mich bei meinen Freund*innen und schliesslich auch bei meinen Eltern. Medial aufgegriffen wurde sie 2015, als wir uns für die WM qualifizierten. Zu diesem Zeitpunkt war der Frauenfussball in der Öffentlichkeit kaum präsent und die Medien begannen, sich für die einzelnen Spielerinnen zu interessieren – wer wir sind und was wir machen.
Sie wollten meine damalige Freundin und mich porträtieren. Wir willigten ein und rechneten nicht mit der grossen Aufmerksamkeit, die wir danach erhielten. Vor allem für meine damalige Freundin war es ein grosses Ding. Man kannte sie nicht und plötzlich stand sie in der Öffentlichkeit.
Wie reagierten deine Mitspielerinnen und Coaches darauf? Es gab keine negativen Reaktionen, aber vielleicht ist das halt einfach der Frauenfussball. Es gehört dazu, dass es lesbische und bisexuelle Spielerinnen gibt. Was mir spontan in den Sinn kommt: Als ich vor meinem medialen Coming-out meinen ersten Profivertrag in Schweden unterschrieben hatte, wurde ich darauf angesprochen, ob ich einen Freund oder eine Freundin hätte. Damals war ich 16 und datete erstmals eine Frau. Ich fand diese Frage sehr erfrischend. In der Schweiz hiess es immer: «Hast du einen Freund?» Es erstaunt mich aber nicht: Schweden ist der Schweiz in vielen Dingen voraus.
«Ich will ein Vorbild sein: Ramona spielt Fussball und ist lesbisch. Und hat trotzdem Erfolg.»
Ramona Bachmann
Im Männerfussball sind Coming-outs sehr dünn gesät. Ein schwieriges Thema. Ich frage mich oft, wann sich dort etwas tut. Ich weiss, dass es schwule Spieler gibt und einzelne haben sich auch geoutet, zum Beispiel Josh Cavallo in Australien (MANNSCHAFT berichtete).
Es gibt viel Angst: vor den Fans, vor den Sponsoren – davor, dass man die eigene Karriere kaputt macht. Im Männerfussball gibt es auch viele Fälle von Rassismus. Stell dir das grosse Medienecho vor, wenn sich ein Spieler der Premiere League outen würde. Der damit einhergehende Druck ist riesig. Aus diesem Grund ist es mir so wichtig, mich öffentlich so zu geben, wie ich bin. Ich will ein Vorbild sein: Ramona spielt Fussball und ist lesbisch. Und hat trotzdem Erfolg.
Sind viele Fussballspielerinnen so offen wie du? Ich kenne kaum Frauen, die nicht öffentlich zu ihrer Sexualität stehen. Ich weiss aber von lesbischen und bi Spielerinnen, die ihre Privatleben auch privat halten. Aber nicht aus Angst, wie im Männerfussball, sondern weil sie ihre Beziehung nicht mit der Öffentlichkeit teilen wollen. Es sind andere Gründe.
In ihrer bisherigen Karriere spielte Ramona für diverse internationale Vereine, darunter FC Chelsea, VfL Wolfsburg und zwei schwedische Vereine. Die Stürmerin hat mehrere Titel gewonnen, unter anderem wurde sie Deutsche Meisterin und mehrfache Englische und Schwedische Meisterin. 2009, 2015 und 2019 war sie Schweizer Fussballerin des Jahres. Nach dreieinhalb Jahren beim FC Chelsea wechselte Ramona 2020 zum Verein Paris Saint-Germain (PSG), der 2022 Pokalsieger wurde.
«Im Frauenfussball gibt es andere Probleme als Homophobie und Rassismus.»
Ramona Bachmann
Du hast Vorfälle von Rassismus im Männerfussball erwähnt. Wie ist die Fankultur beim Frauenfussball? Um einiges toleranter. Woran das liegt, weiss ich nicht. Vielleicht auch daran, dass die oft kritische Gruppe von jungen Männern bei unseren Spielen in der Minderheit ist. Es setzt eine gewisse Reife voraus, keine rassistischen oder homophoben Aussagen zu machen oder die Spieler*innen nicht zu beschimpfen, wenn sie eine schlechte Leistung erbringen. Wir haben jedoch andere Probleme als Homophobie und Rassismus.
Die Gehälter? Allgemein die Voraussetzungen des Frauen- gegenüber des Männerfussballs. Ein gängiger Spruch ist: «Der Club verliert Geld, weil er ein Frauenteam hat.» Es beginnt beim Marketing und hört beim Lohnunterschied auf. In den Frauenfussball muss investiert werden.
Den Kontrast sehe ich gut hier in Paris. In der Champions League spielen wir im Parc-des-Prince-Stadion vor über 30’000 Zuschauer*innen. Ein Ligaspiel findet hingegen irgendwo auf einem Fussballplatz mit einer einzigen Tribüne vor knapp 100 Menschen statt. Damit man ein Publikum anzieht, braucht es eine gute Stimmung. Und das setzt ein Stadion voraus mit einem Angebot an Essen und Getränken.
Sind bei PSG alles Profispielerinnen? Bei uns ja. In einer Mehrheit der französischen Teams müssen viele Spielerinnen aber nebenbei arbeiten. Dadurch ist die Liga sehr unausgeglichen und es sind immer dieselben drei bis vier Teams, die um den Titel kämpfen. In den letzten Jahren hat es sich aber gebessert. Nächstes Jahr gibt es beim PSG ein neues Trainingscenter für die Männer, das wir dann gemeinsam mit ihnen nutzen dürfen.
Die WM fand 2019 in Frankreich statt. Hat sich dadurch etwas geändert für den Frauenfussball? Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass sich etwas verändert hat. Im Rahmen der WM 2019 musste Frankreich der FIFA einen Zukunftsplan übergeben. Bis heute ist da leider sehr wenig umgesetzt worden. Die letzte Meisterschaft mussten wir auf einem Kunstrasenfeld bestreiten. Wir haben uns gewehrt, weil das Verletzungsrisiko zu hoch ist. Allzu oft wird leider nur wenig respektiert oder geändert.
2007 startete Ramona bei der Schweizer A-Nationalmannschaft. 2015 qualifizierte sich das Team erstmals für eine WM und schaffte es bis ins Achtelfinale, wo sie gegen die kanadischen Gastgeberinnen ausschieden. Bei der WM 2023 in Australien und Neuseeland schaffte es die Nationalmannschaft wieder ins Achtelfinale, wo sie jedoch gegen die angehenden Weltmeisterinnen Spanien verloren.
Was denkst du über den Kussskandal um Luis Rubiales bei der diesjährigen WM? Meine Gedanken gehen an die Spielerinnen. Sie wurden Weltmeisterinnen und das dominierende Thema in den Medien war dieser Kuss bei der Siegerehrung. Es ist absolut unverständlich für mich, weshalb der spanische Fussballverband mehrere Monate mit einer Intervention gewartet hat.
In den USA ist der Frauenfussball riesig. Wer gibt in Europa den Ton an? England hat einen grossen Sprung nach vorne gemacht. Der Sieg des englischen Teams bei der Heim-EM 2022 hat eine grosse Welle der Euphorie ausgelöst und viele Leute inspiriert. Gerade Mädchen konnte aufgezeigt werden, dass sie im Fussball die gleichen Voraussetzungen haben können wie Jungs.
Eine EM oder WM im eigenen Land durchzuführen und dann auch noch zu gewinnen ist eine Riesenchance. Doch das reicht eben nicht: Man muss in den Frauenfussball investieren, um etwas bewegen zu können.
Die Schweiz trägt 2025 die nächste EM aus. Die grosse Chance? Wir arbeiten darauf hin, um dort auch eine gute Leistung zu bringen. Es ist schwierig, eine Euphorie zu entfachen, wenn man wie wir 2022 in der Gruppenphase rausfliegt.
Wenn du auf deine bisherige Karriere zurückblickst: Was sind deine Highlights? Da gibt es einige! Sicherlich meine erste WM 2015 in Kanada und dass ich 140 Länderspiele für das Schweizer Nationalteam bestreiten durfte. Ganz besonders in Erinnerung bleibt mir das FA-Cup-Finale 2018 im Wembley Stadion, wo ich mit FC Chelsea gewann und zwei Tore geschossen habe. Ein unvergesslicher Moment – meine ganze Familie war da. Damit konnte ich mir einen Lebenstraum erfüllen.
«Solange mein Körper mitmacht, will ich Fussball spielen.»
Ramona Bachmann
Hast du Pläne für die Zeit nach deiner aktiven Karriere? Solange mein Körper mitmacht, will ich Fussball spielen. Danach möchten Charlotte und ich etwas in der Schweiz aufbauen. Jedes Mal, wenn wir zu Besuch sind und zurück nach Frankreich fahren, fragt sie: «Können wir nicht einfach bleiben?» Ich habe lange im Ausland gelebt und kann an vielen Orten leben, aber Charlotte möchte gerne in die Schweiz.
Es wäre schön, nach all diesen Jahren im Ausland in der Nähe von Freund*innen und Familie zu sein. Ich möchte unbedingt etwas im Fussball machen und meine Erfahrungen weitergeben. Wie und wo genau lasse ich noch offen.
Kinder? Kinder sind definitiv ein Thema. Lustigerweise waren sowohl Charlotte als auch ich uns lange unsicher, ob wir Kinder haben möchten. Als wir uns kennen gelernt haben, war es plötzlich keine Frage mehr.
Charlotte ist Tänzerin. Wie habt ihr euch kennen gelernt? Während der Pandemie als Paris im zweiten Lockdown war. Wir lernten uns auf Tinder kennen und schrieben uns zehn Tage lang, da ich nur zum Training aus dem Haus durfte. Charlotte ist Tanzlehrerin, also schickte sie mir schliesslich ein Zertifikat als Schülerin, damit wir uns treffen konnten (lacht). Sonst hätten wir uns eine ganze Weile nicht sehen können.
Nach der standesamtlichen Trauung im Juni folgt das Hochzeitsfest im Dezember. Was kannst du darüber verraten? Wir feiern auf La Réunion mit rund 150 Gästen. Charlottes Vater stammt von der Insel, ihr Bruder wird die Zeremonie leiten. Ich freue mich sehr. Meine Familie und Freund*innen aus der Schweiz werden dabei sein. Es werden viele Kulturen und Sprachen aufeinandertreffen.
Für viele bist du ein Vorbild. Hast du Vorbilder? Fussballerisch: Lionel Messi. Als Person: Roger Federer. Ich finde es sehr bewundernswert, wie er trotz seiner grossen Sporterfolge sehr bodenständig geblieben ist. Es ermutigt mich, stets die beste Version meiner selbst zu sein. Ich hatte das grosse Glück, meine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Und ich bin mir bewusst, dass alles innerhalb weniger Sekunden vorbei sein kann.
Die lesbische Schwimmerin Diana Nyad schaffte mit 64 Jahren das Unmöglichgeglaubte und schwamm von Kuba nach Florida. Ein Film erzählt nun die bewegende Geschichte der New Yorkerin, die sich von Frauenfeindlichkeit und Altersdiskriminierung nicht abschrecken liess (MANNSCHAFT+).
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