«Kapitalistenknechte»: 30 Jahre Völklinger Kreis
Am 14. September 1991 wurde in Hamburg ein Verband schwuler Manager gegründet, der kein «Guppie-Club» sein wollte, sondern eine «Selbsthilfegruppe»
Es begann eigentlich schon 1990 mit einer Kleinanzeige in der Rubrik «Vermischtes» in Magnus («Das schwule Magazin»).
Da konnte man in der August-Ausgabe – mit der Titelgeschichte «Kosakenzipfel: Schwuler Umbruch in der Sowjetunion» – lesen: «Kapitalistenknecht (30, Vorstandsassi) sucht Kapitalisten und andere Knechte zum Austausch von (Berufs-)Erfahrungen. Vielleicht kriegen wir sogar eine kleine ‹Selbsthilfegruppe› – schwules Vitamin B – zustande? Ein Guppie-Club [Gay Yuppie, Anm.] soll’s aber nicht werden!» Kennwort war: «Gay management.»
Scheinbar gab es Resonanz auf diese halbsatirische Anzeige von Martin Zölch aus Völklingen (bei Saarbrücken), denn am 14. September 1991 wurde dann der Völklinger Kreis als Verein gegründet, mit Zölch als Gründungsmitglied; 1993 kam der Untertitel «Bundesverband Gay Manager» hinzu.
Im Schatten des Paragrafen 175 Zur Feier des 30-jährigen Bestehens veranstaltet der VK nun am Dienstag einen Festakt mit der Überschrift: «30 Jahre schwules Leben in Deutschland – Veränderungen in Gesellschaft und Beruf», wozu mehrere Gäste zum Diskutieren eingeladen wurden. Gleich zu Beginn der über Zoom zugänglichen Veranstaltung erinnerte VK-Vorstand Matthias Weber daran, dass 1991 zum Zeitpunkt der Vereinsgründung der Paragraf 175 in Deutschland noch in den Gesetzesbüchern zu finden war – zwar entschärft, «aber immer noch in Kraft».
Was dieser Paragraf bedeutete, darauf gingen im weiteren Festakt verschiedene ältere VK-Mitglieder ein. Zum Beispiel der 83-jährige Augenarzt Kurt Schultze aus Düsseldorf. In einem spannenden Generationengespräch mit dem 28-jährigen App-Entwickler Dennis Terhoeven aus Dortmund erinnert er an die «schwierige soziale Lage», die auch und vor allem eine schwierige Lage für die Eltern war. Er berichtete, dass bei ihm zuhause im Elternhaus «nie ein Wort über Homosexualität» geredet wurde, obwohl er seinen Freund zu allen Familienfesten mitnahm. Inzwischen sind die beiden seit 46 Jahren zusammen. Dieses Nicht-darüber-reden nennt Schultze heute «einen Fehler». Denn es brauche Sichtbarkeit, um anderen begreiflich zu machen, dass Homosexualität «nichts Schlimmes» sei.
Auch der Arzt-im-Ruhestand Harm-Peter Dietrich – eines der ältesten Mitglieder des VK – erinnerte in einer Keynote-Ansprache daran, wie es war in der Adenauer-Zeit aufzuwachsen, also in den Wirtschaftswunderjahren, die von extremer Homophobie auf allen Gesellschafts- und Politikebenen gekennzeichnet waren, inklusive entsprechenden Urteilen des Bundesverfassungsgerichts. Es sei «eine furchtbare Zeit» gewesen, sagte Dietrich, und erinnerte an viele Bekannte und Schulkameraden, die Selbstmord begangen hatten, weil sie mit dem Stigma nicht umgehen konnten. An der Situation habe sich erst 1969 etwas geändert, als der Paragraf 175 entschärft wurde.
«Verstoss gegen das christliche Sittengesetz» Doch wie’s damals auf einem Spiegel-Cover hiess: Das Gesetz konnte geändert werden, die gesellschaftliche Ächtung blieb jedoch bestehen. Dietrich sagte, dass die Bevölkerung in Deutschland an der Liberalisierung, die nach Stonewall vor allem in den USA zu beobachten war, nicht beteiligt gewesen sei. Und dann kam AIDS und das teils krasse Verhalten der Kirchen in Deutschland, die von einer «Strafe Gottes» sprachen.
Als sich Gero Furchheim als junges CDU-Mitglied schon früh für die Eheöffnung ausgesprochen hatte, wurde ihm von Seiten der Parteivorstände damals mitgeteilt, dass solche Gedanken als «Verstoss gegen das christliche Sittengesetz» gewertet würden, denen sich die CDU verpflichtet fühlte.
Erst später – also in den 1990er-Jahren – habe «die grosse Erlösung» eingesetzt. Und die fiel zusammen mit der Gründung des VK. Der am Anfang nicht besonders viel öffentliche Sichtbarkeit hatte. Doch das sollte sich im Laufe der Jahre ändern. (MANNSCHAFT berichtete über die Top 50 Diversity Drivers 2021.)
Schwule Sichtbarkeit und Role Models Alle Teilnehmer der Panel-Diskussion waren sich einig, dass Sichtbarkeit entscheidend sei: Man brauche Role Models, um anderen zu zeigen, wie selbstverständlich der Umgang mit Homosexualität im Beruf und Alltag sein könne. Solche Selbstverständlichkeit ist längst nicht überall gegeben, wie aus den Erzählungen der jüngeren VK-Mitglieder beim Panel deutlich wurde.
Der 29-jährige Lukas Plamitzer (Programmleiter International Digital Development Trainees bei Commerzbank AG ) erzählte, dass er in einem kleinen Dorf bei der Sparkasse gearbeitet habe, wo er täglich mit Kund*innen konfrontiert war, die ein «tradionielles Familienbild» vor Augen hatten. Er hatte das Gefühl, dagegen nicht anzukommen und sich nicht getraut, sich zu outen. Weder gegenüber der Familie, noch im Beruf. Er ging nach Frankfurt, weil er dachte, da wäre es einfacher, offen schwul zu sein. Stellte aber fest, dass dem nicht so war. Erst durch den Kontakt zu anderen Führungskräften beim VK lernte er, offener mit seiner Sexualität umzugehen. Und er begriff, wie wichtig es ist, dass Unternehmen ein Umfeld erzeugen, «wo man sich offen wohl fühlt». Heute setzt er sich genau dafür beim LGBTIQ-Netzwerk der Commerzbank ein.
Gerade über die Kontakte beim VK sei es möglich, Einblicke in verschiedene Unternehmen zu bekommen und Arbeitsumfelder zu vergleichen. Benedikt Rothhagen (Conference Manager bei VDI Wissensforum GmbH) sagte: «Es geht bei einem Netzwerk wie dem VK darum, dass wir zusammenkommen und uns austauschen, aus Erfahrungen lernen, die die ältere Generation gemacht hat.» Zu diesen Erfahrungen gehören auch Fragen zu Steuerrecht, Nachfolge in Unternehmen und Erbschaftsangelegenheiten.
Nicht nur Plakate aufhängen, sondern handeln Nachdem der VK seit Jahren erfolgreich mit grossen Firmen und auch Ministerien zusammenarbeitet bzgl. Diversity-Beratung, sind in letzter Zeit immer mehr kleine und mittlere Unternehmen in den Fokus gerückt. Dort gäbe es keine Netzwerke, bei denen man sich als schwuler Mann beschweren könne, falls etwas nicht ideal laufe, so Gero Furchheim. Da müssten Probleme unmittelbar geklärt werden. «Der Mittelstand ist dadurch gekennzeichnet, dass er nicht nur Plakate aufhängt, sondern handelt», sagte Furchheim. Und er handle zunehmend, also der Mittelstand.
Janis McDavid verwies darauf, wie wichtig das Anschieben von neuen Studien sei, damit man in Diskussionen mit Fakten argumentieren und Behauptungen mit Zahlen unterlegen könne. Und Furchheim mahnte, dass man sich heutzutage jenseits der Koordinaten «schwul-lesbisch» bewege und andere Gruppen mit einbeziehen müsse. (MANNSCHAFT sprach mit Manager Thomas Meiers über Diversity in der Autoindustrie.)
Wybernetund und Queer Business Women Als der VK 1991 gegründet wurde, gab es die Buchstabenreihe LGBTIQ nicht, von «queer» sprach ebenfalls niemand. Für schwule Manager und Führungskräfte hat der VK in den 30 Jahren seines Bestehens viel erreicht, und mit der Erfahrung unterstützt der Verein zunehmend andere Teile der Community, die noch nicht so weit sind. Zusammen mit den zehn Jahre jüngeren Wirtschaftsweibern aus Deutschland und diversen Partnerverbänden gründete der VK 2020 das European Pride Business Network (EPBN). Dazu zählen u. a. auch Network und Wybernet aus der Schweiz sowie AGPro und Queer Business Women aus Österreich.
Seit 2004 steht beim VK übrigens das Wort «schwul» statt «gay» im Untertitel. Heute heisst es in der Unterzeile «Berufsverband schwuler Führungskräfte und Selbständiger».
Ob im VK derzeit auch nicht-weisse Mitglieder mit nicht-christlichem Hintergrund vertreten sind, wenn es um Diversität geht, war beim Zoom-Panel nicht erkennbar. Da wäre für die kommenden 30 Jahre noch Luft nach oben. Auch die Tatsache, dass sich diverse Netzwerke in grossen Firmen heute als «queer» bezeichnen, was für manche Aktivist*innen politisch mit links und anti-kapitalistisch gleichbedeutend ist, wurde von den heutigen «Kapitalistenknechten» nur am Rande gestreift.
Einer der schönsten Sätze fiel ganz am Schluss der Jubiläumsveranstaltung, im gefilmten Gespräch zwischen Dennis Terhoeven und Kurt Schultze. Da sagte der 28-Jährige abschliessend: «Schade, dass jedes Outing so popularisiert wird. Es wäre schön, wenn das irgendwann überhaupt keine Nachricht mehr wäre.»
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