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«Warum muss der Mann an der Leine gehen?»

Menschen in Latexanzügen, Dominas mit Peitschen und viel nackte Haut. Die Kölner Christopher-Street-Day-Parade (CSD) kann eine Demonstration der Extreme sein. Unter den Hunderttauenden Besuchern sind auch viele Kinder. Wie familientauglich ist der CSD?

Text: Kathy Stolzenbach
Foto: Raffi P.N. Falchi, www.raffifalchi.ch

Bild: Raffi P.N. Falchi
Bild: Raffi P.N. Falchi
(dpa) – Als das Pferd langsam über die Rheinbrücke trottet, sind ihm Tausende Blicke sicher. Menschen am Strassenrand zücken ihre Smartphones, um Fotos zu machen. Der kleine Nick guckt etwas verschreckt auf die Menschen mit Tiermasken, deren Körper in schwarzen, hautengen Latexanzügen stecken. Einige tragen Halsbänder und werden an einer Metallkette geführt. «Warum muss der Mann an der Leine gehen?», fragt ein Kind.

Der fünfjährige Nick weicht einen Schritt zurück, als die Gruppe an ihm vorbei geht. «Die sehen etwas finster aus, aber die tun nichts», sagt Annette Lenz zu ihrem Sohn. Sie geht jedes Jahr mit ihren beiden fünf- und neunjährigen Kindern zur Christopher-Street-Day-Parade (CSD) in Köln. «Sie wissen natürlich, was Schwule und Lesben sind. Aber die gefesselten Menschen in Lack und Leder irritieren sie etwas», sagt Lenz. Was genau es damit auf sich hat, wolle sie ihnen noch nicht erklären: «Das würde sie überfordern.»


Bild: Raffi P.N. Falchi
Bild: Raffi P.N. Falchi
Wenn die laut Veranstaltern grösste CSD-Parade in Europa durch Köln zieht, sind unter den rund 900 000 Zuschauern auch viele Familien mit Kindern. «Richtig klasse» findet das Ralf Finke. Er nimmt zum zehnten Mal mit der Dortmunder Gruppe «Diamonds for Respect» an der Parade teil. «Kinder sollen so früh wie möglich lernen, dass es Menschen gibt, die anders aussehen als Mama und Papa», sagt der 52-Jährige.

Die Gruppe fällt auf in ihren schrillen Kleidern mit bunten Federboas und blinkenden Strasssteinen. «Natürlich wollen wir mit unseren Kostümen Aufmerksamkeit erregen. Aber uns geht es um viel mehr, nämlich um den Respekt für jeden Menschen, ganz gleich welche sexuelle Orientierung er hat», sagt Finke. Und diesen Respekt allen Menschen gegenüber sollten auch Kinder schon erlernen.

Bild: Raffi P.N. Falchi
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Das sieht Iris Köhler genauso. Deswegen hat sie auch keinerlei Bedenken, mit ihren drei Kindern im Alter zwischen zwei und zwölf Jahren die Parade anzusehen. «Ich habe ihnen zu Hause erklärt, warum es diese Veranstaltung gibt», sagt die 47-Jährige. Tochter Diana findet es trotzdem «komisch», dass Männer Frauenkleider tragen. «Warum machen die das?», fragt die Zehnjährige. Ihre zwei Jahre ältere Schwester Corinna erklärt es ihr: «Die wollen gern eine Frau sein. Die sind anders gewachsen.»

Solche Fragen muss Sabrina Roth noch nicht beantworten. Tochter Martha ist noch zu klein. Dennoch ist es Sabrina Roth wichtig, dass die fast Vierjährige beim CSD dabei ist. Denn: «Martha ist ein Regenbogenkind. Sie hat drei Eltern: Meine Partnerin und mich sowie ihren leiblichen Papa, der mit einem Mann zusammenlebt», sagt Roth.

«Ich habe Martha kindgerecht erklärt, warum wir heute hier sind: Dass wir zusammen feiern, uns aber auch dagegen wehren müssen, wenn uns Andere ungerecht behandeln», sagt Sabrina Roth. «Schliesslich muss ich sie auf mögliche Diskriminierungen vorbereiten.» Bei CSD-Gruppen, die sehr sexualisiert auftreten und einen Fetisch offen zur Schau stellen, wolle sie ihre Tochter allerdings ablenken. Das schwarze Pferd bekommt Martha also nicht zu Gesicht.


Hunderttausende Besucher am CSD

Bild: Raffi P.N. Falchi
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Hunderttausende Zuschauer haben heute Sonntag die Christopher-Street-Day-Parade in Köln verfolgt. Am Mittag setzte sich der Demonstrationszug von der Deutzer Brücke aus in Bewegung und zog durch die Innenstadt. 98 Gruppen mit bunten und schrillen Kostümen nahmen an der Parade teil, darunter auch Vertreter politischer Parteien. Sie demonstrierten für die rechtliche Gleichstellung und die gesellschaftliche Akzeptanz von Lesben und Schwulen. Erstmals dabei war ein Wagen des Fussballvereins 1. FC Köln, der damit ein Zeichen gegen Homophobie im Sport setzen wollte.

Die Christopher-Street-Day-Parade in Köln ist den Veranstaltern zufolge mit rund 40 000 Teilnehmern die grösste in Europa. Sie wird seit 1991 vom Kölner Lesben- und Schwulentag veranstaltet. Der Verein setzt sich für die Rechte und gegen die Diskriminierung von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgendern ein.

Der Christopher Street Day erinnert an die Vorfälle am 28. Juni 1969 in der New Yorker Christopher Street: Nach einer Polizeirazzia in einer Bar kam es damals zum Aufstand von Homosexuellen und anderen sexuellen Minderheiten gegen die Polizeiwillkür mit Strassenschlachten.


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