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Von Dragqueens zu Hofe und schwulen Stararchitekten

Wien gilt heute als eine der LGBTIQ-­freundlichsten Städte Europas. Die österreichische Metropole wartet nicht nur mit einer florierenden Szene, Kulinarik und Kultur auf, sondern auch mit einer spannenden schwulen Geschichte.

Seien es die homosexuellen Ampelpärchen, die an den städtischen Zebrastreifen über Gehen und Stehen bestimmen, sei es die Ausrichtung des Eurovision Song Contests oder der Life Ball: Wien sorgt immer wieder für Schlagzeilen, die das LGBT-Herz erwärmen. Seit mehreren Jahren bemüht man sich in der österreichischen Hauptstadt bewusst – und mit Erfolg – um ein LGBT-freundliches Image. So hat Wien Tourismus zum Beispiel den «Gay & Lesbian Guide» herausgegeben, den Wiener Stadtführer für Homosexuelle. Darin erfahren Interessierte auf knapp fünfzig Seiten, was die ehemalige Kaiserstadt an schwullesbischem Leben zu bieten hat.

«Es hilft natürlich, dass der Direktor von Wien Tourismus selbst schwul ist», sagt Fremdenführer Niki König, der unter anderem auf den «Gay City Walk» spezialisiert ist – einen Stadtrundgang mit spezifisch schwulen und lesbischen Inhalten. «Doch auch schon vor ihm war man gegenüber der Thematik offen und hat das Potenzial des LGBT-Tourismus erkannt.»

Ludwig Viktor hier mal seriös. (Bild: Österreichische Nationalbibliothek)

Der schwule Prinz – Gerüchte hier, Geschichten da
Über diese Art von Tourismus in der Stadt hätten sich wohl auch einige bekannte Persönlichkeiten der Wiener Geschichte gefreut. So zum Beispiel Erzherzog Ludwig Viktor, der auch unter dem autoritätsgebietenden Namen «Luziwuzi» bekannt ist. 1842 geboren, war er der jüngste Bruder des grossen Kaisers Franz Joseph. Dieser regierte während 68 Jahren über die Donaumonarchie und prägte diese auf eine Art und Weise, wie es kein anderer österreichischer Herrscher zu tun vermochte.


Die Rolle, die Luziwuzi im politischen und höfischen Alltag einnahm, unterschied sich ziemlich markant von derjenigen seines ältesten Bruders. «Die homosexuellen Neigungen Ludwig Viktors, zahlreiche Skandale, Tratsch­geschichten und sein prätentiöses Auftreten in der Öffentlichkeit machten den unverheirateten Hobby­sammler zu einer äusserst umstrittenen Figur», schreibt der Politikwissenschaftler und Schriftsteller Christian Dickinger im Buch «Habsburgs schwarze Schafe».

Eine besonders prominente Person, die den Erzherzog nicht leiden konnte, war Kaiserin Elisabeth, besser bekannt als Sisi. Heute selbst eine heimliche Schwulen- und Lesbenikone, soll sie über ihren Schwager gesagt haben, er habe so viel getratscht und gelogen, «dass er mir wirklich das Leben verdorben hat. Über jeden schimpft er und auch über mich.» Seine Zunge galt als «scharf wie die einer Giftschlange». Wie Dickinger schreibt, mischte sich Luziwuzi in alles ein, «spann Intrigen und freute sich, wenn kleine Skandälchen daraus wurden». Doch da er der Bruder des Kaisers war, habe man sich dies gefallen lassen müssen.

Liebte es, sich in Frauenkleidung zu inszenieren: Erzherzog Ludwig Viktor, alias «Luziwuzi».

Eklat im Badehaus
Während sich Ludwig Viktor für politische oder militärische Angelegenheiten wenig begeistern konnte, löste Frauen­kleidung schon sehr viel mehr Enthusiasmus bei ihm aus. So soll er gerne in entsprechender Montur durch Hallen und Höfe gerauscht sein. «Erzherzog Ludwig Viktor: der homosexuelle Transvestit im Gewande des Prinzen», beschreibt ihn Christian Dickinger.


Und schliesslich entfachten auch Männer Luziwuzis Feuer der Leidenschaft – ein Feuer, an dem er sich die Hände verbrannte. «Die wohl bekannteste Geschichte rund um den skandal­umwitterten Prinzen spielte sich in einem öffentlichen Bad ab, das er zweimal wöchentlich besuchte», so Dickinger. Dort soll der Kaiserbruder Gefallen an einem Offizier gefunden und ihm an den Allerwertesten gefasst haben. Der Offizier, ob dieser Annäherung nicht eben entzückt, verpasste Ludwig Viktor kurzerhand eine Ohrfeige. Et voilà, der Skandal war perfekt!

Zu jener Zeit war es weder schicklich, als Mann anderer Männer Hinterbacken zu packen, noch ziemte es sich, als Offizier einen Spross der kaiserlichen Familie zu schlagen. Kaiser Franz Joseph jedenfalls hatte genug von den Eskapaden seines Bruders. Er verbannte ihn nach Salzburg ins Schloss Klessheim, wo Ludwig Viktor 1919 verstarb. Und was das Badehaus angeht, in dem sich besagter Skandal zutrug: Es existiert nach wie vor, und an intimen Berührungen zwischen Männern nimmt dort definitiv niemand mehr Anstoss. Mitten im Stadtzentrum gelegen, gilt das «Kaiserbründl» heute als Wiens schönste Schwulen­sauna.

Schmerzen im Herzen
Ganz in der Nähe des Kaiserbründls thront die Wiener Staatsoper – ein Gebäude, hinter dem ein weiteres Kapitel schwuler Stadtgeschichte steht. Entworfen wurde der Prachtbau von den Architekten Eduard van der Nüll und August Sicard von Sicardsburg. «Heute ist offiziell anerkannt, dass die beiden ein Paar waren», erzählt Niki König. «Damals hingegen wurde das nicht offen kommuniziert.» Liebe und Leben der beiden nahmen ein tragisches Ende. Das Duo erntete für die Architektur der Oper bitterböse Kritik, sowohl von Seiten der Wiener Bevölkerung als auch von Kaiser Franz Joseph. Eduard van der Nüll verzweifelte daran und erhängte sich. Nur zehn Wochen später starb auch Sicardsburg – angeblich an gebrochenem Herzen.

August Sicard von Sicardsburg entwarf zusammen mit seinem Partner Eduard van der Nüll die Wiener Staatsoper.

Platznot war nicht
Bloss einen Katzensprung von der Oper entfernt liegt das Stadtpalais von Prinz Eugen von Savoyen. Dieser kam 1663 in Paris zur Welt und avancierte zu einem der grössten Feldherren des Habsburgerreiches. Prinz Eugen gilt heute als schwul, «wobei es für seine Homosexualität keine offizielle Bestätigung gibt», erklärt Niki König. «Er war aber nie verheiratet, hatte keine Kinder und von Affären mit Frauen weiss man auch nichts.» An den Höfen sei hinter vorgehaltener Hand über seine gleichgeschlechtlichen Vorlieben getuschelt worden. Fest steht, dass er für allfällige Techtelmechtel genug Platz gehabt hätte. Nebst seinem Stadtpalais, das er vornehmlich in den Wintermonaten bewohnte, besass Prinz Eugen auch noch das Schloss Belvedere – eine barocke Wucht, die sich unweit des neuen Hauptbahnhofes befindet und die grösste Klimt-Sammlung der Welt beherbergt.

Hätten Prinz Eugen, van der Nüll oder Luzi­wuzi im heutigen Wien gelebt, sie hätten um ihre Homosexualität keine Geheimnisse machen müssen (wobei «Geheimnis» im Falle Ludwig Viktors wohl nicht das richtige Wort ist). «Wien ist heute im Grossen und Ganzen sehr tolerant», sagt Niki König. Zumindest in den Bezirken der Innenstadt könnten Schwule und Lesben händchenhaltend durch die Strassen spazieren, ohne dass sich jemand darüber aufrege. «Es hat sich viel getan in den letzten fünfzehn Jahren», sagt der Fremdenführer. Lange Zeit sei Wien verstaubt und konservativ gewesen, doch nun gehe man mit dem Althergebrachten, den Traditionen und dem imperialen Erbe sehr viel lockerer, verspielter und ironischer um. «Die Wiener beginnen wieder, ihre eigene, moderne Identität zu bilden», beschreibt Niki König die Geisteshaltung der Stadtbevölkerung.

Prinz Eugen von Savoyen gilt als einer der grössten Feldherren des Habsburgerreiches. (Bild: Österreichische Nationalbibliothek)

So findet während der weltberühmten Wiener Ballsaison zum Beispiel der Regenbogenball im Parkhotel Schönbrunn statt. «Die Kleidung ist nach wie vor traditionell, das Publikum besteht jedoch mehrheitlich aus schwulen und lesbischen Paaren», so Niki. Des Weiteren zeige sich die offene Einstellung etwa auch daran, dass die Grenzen zwischen Gay- und Hetero-Lokalen zunehmend verschwämmen. «Die trendigen und hippen Bars und Clubs sind heute gemischt. An den angesagten Orten können zwei Männer oder zwei Frauen in der Regel problemlos miteinander tanzen oder sich küssen.»

Eduard von der Nüll, Partner von August Sicard von Sicardsburg. Die Kritik an der Wiener Staatsoper trieb ihn in den Freitod.

Breites Angebot
Doch auch das klassische homosexuelle Nachtleben steht in Wien in vollster Blüte. Beispielsweise seien das «Felixx» oder das «Village» Schwulenbars mit internationalem Flair, wie man sie überall kenne, sagt Niki König. Gefallen würden auch das «Marea Alta», eine «nette verrauchte Bude, in der Lesben den Ton angeben», oder der «Goldene Spiegel». Früher eine Mischung aus «verstaubtem Monarchie­kitsch, Pornotapeten und osteuropäischen Strichern», erstrahlt das Lokal nun frisch renoviert in neuem Glanz. Schliesslich ist im «Hard On» oder «Sling» der Name Programm. «Dort geht man nicht nur zum Biertrinken hin», erklärt Niki und lacht. Fehlt eigentlich nur noch eines: Eine Schwulenbar namens «Luzi­wuzi». Der Erzherzog hätte daran sicher ebenso seine Freude gehabt wie an der Tatsache, dass man sich als LGBT-Tourist äusserst wohlfühlt im heutigen Wien. Gerade die ungezwungene Verbindung von «traditioneller» und schwullesbischer Stadtgeschichte ist äusserst erfrischend – und sicherlich ein Modell, das in weiteren Metropolen dieser Welt auf Anklang stossen würde.

Bilder: Österreichische Nationalbibliothek


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