Schwarzer Rauch und Dämonen – So arbeiten die «Homoheiler»
Als junge Menschen haben sich Mike und Bastian in «Konversionstherapien» begeben
Wer in Deutschland homosexuelle oder trans Menschen mit einer «Konversionstherapie» umzupolen versucht, wird bestraft (MANNSCHAFT berichtete). Wir haben mit zwei Männern gesprochen, für die das Gesetz zu spät kommt. Als junge Menschen haben sie sich in die Hände sogenannter «Homoheiler» begeben. Schwul sind sie geblieben. Geheilt wurden sie aber von ihrem dringenden Wunsch, sich zu verändern, weil etwas mit ihnen nicht stimme.
Mike F. (seinen vollen Namen möchte er geheim halten) aus einer Kleinstadt in Mittelhessen wuchs in einem christlichen Umfeld auf. Vor allem durch die Grosseltern ermöglicht, konnte er zweimal im Jahr auf Freizeiten, etwa mit dem Bibellesebund oder dem CVJM; auch in der Jungschar und im Jugendkreis war er Mitglied, wo teils sehr christlich-konservatives Gedankengut vorherrschte. «Homosexualität ist nicht Gottes Wille, ergo nicht in Ordnung!», lernte er von klein auf. Und wenn man schon schwul ist, dann sollte man es gefälligst nicht ausleben. Als er mit 12, 13 Jahren entdeckte, dass er auf Männer steht, hat er es erst mal verheimlicht. Doch irgendwann kam es raus.
Gott möchte das nicht, sagte man ihm. Er brauche Kraft, um sich zu ändern, müsse mehr beten. Doch es half nichts. Es gab erste Liebeleien, mit 16 hatte er den ersten sexuellen Kontakt mit einem Mann. Mit seinem Gewissen ging das nicht zusammen. «So begann ein Kreislauf von Problemen», erinnert sich Mike, und er beschloss: So kann es nicht weitergehen!
In den Fängen der «Ex-Gays» Der gelernte Gärtner probierte es bei einem Therapeuten nach dem nächsten und kam schlussendlich über die evangelische Organisation Weisses Kreuz in Kassel zu einem Psychologen beim Marburger Christustreff, einem «selbsternannten Gesprächstherapeuten», wie Mike ihn nennt. Sein Name: Roland Werner. Der evangelikale Theologe sagt von sich, er habe seine Homosexualität überwunden, und gilt in evangelikalen Kreisen als Aushängeschild der «Ex-Gay»-Bewegung. Heute leitet Werner die Koalition für Evangelisation in Deutschland, ehemals Lausanner Bewegung, und wurde von der Deutschen Bibelgesellschaft für seinen Einsatz für die Verbreitung der Bibel ausgezeichnet.
Nach «Konversionstherapie» – LGBTIQ teilen ihre Geschichte auf TikTok
Damals verwies Werner den jungen Mike an Wüstenstrom, eine evangelikale christliche Organisation mit Sitz in Baden-Württemberg, die sich mittlerweile Institut für dialogische und identitätsstiftende Seelsorge und Beratung (IdiSB) nennt. Wüstenstrom wurde Anfang der Neunzigerjahre unter anderem von Günter Baum gegründet. Der sah später allerdings ein, dass «Ex-Gay»-Organisationen mit falschen Versprechungen arbeiten. Rund zehn Jahre nach Wüstenstrom gründete Baum «Zwischenraum», eine Selbsthilfegruppe für queere evangelikale Christ*innen in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Offiziell bot Wüstenstrom Beratungen, Seminare und Selbsthilfegruppen für Menschen an, die ihre Beziehungen, ihre Identität als Mann oder Frau oder ihre Sexualität konflikthaft erleben. Übersetzt heisst das, in den Worten des 2019 verstorbenen ehemaligen LSVD-Bundesvorstandsmitglieds Manfred Bruns: «Die Organisation bietet diesen Menschen aber keine ‹affirmativen› Hilfen an, die es ihnen ermöglichen, mit ihrer homosexuellen Orientierung besser zurechtzukommen.» Hilfen bekomme nur, wer seine Homosexualität unterdrücken wolle. Menschen mit homosexuellen Gefühlen und Wünschen würden dazu gebracht, heterosexuell zu leben. Ziel der Therapieangebote sei eine «Umpolung», konstatierte Bruns im Jahr 2008.
«Homoheiler» schüren Schuldgefühle Mike fand die Atmosphäre beim Vorgespräch mit Wüstenstrom durchaus vertrauensvoll. Vorab hatte man ihm einen Fragebogen geschickt, den man nun gemeinsam durchging. Er müsse homosexuelle Freundschaften aufgeben, die er bis dato hatte, und sich von Pornografie fernhalten. Als er dies zusagte, wurde er zum «Kurs» eingeladen – kurz nach der Jahrtausendwende. «Living Waters» hiess das Konzept aus den Vereinigten Staaten, das man in Deutschland adaptiert hat. Eine Gruppe von Männern und Frauen traf sich einmal die Woche, über ein halbes Jahr. Man sang christliche Lieder, sprach über Themen wie Götzenwiderrufung, Busse, Selbstbefriedigung, anschliessend wurde gebetet.
Katholische Ärzte wollen «homosexuelle Störungen» heilen
«Es war keine Geisteraustreibung», sagt Mike. Vielmehr wurde subtil Druck ausgeübt und an das Gewissen appelliert. Er musste immer wieder beten, um seine Homosexualität hinter sich zu lassen. «Das war eine heftige Masche, die man als junger Mensch gar nicht so versteht – eine Art Gehirnwäsche.»
Mike wollte sich den anderen anpassen, war bereit, sich selber und seine Identität zu verleugnen. Das wurde für ihn zusehends problematischer. Doch bis zum Ende des Kurses, der damals, ermässigt, 300 Mark kostete, blieb er mit voller Überzeugung dabei. Manchmal spürte er eine grosse Erleichterung, doch es handelte sich immer nur um eine Moment- aufnahme.
«Ein fataler Hoffnungsschimmer in einem verzwickten, hoffnungslosen Fall», sagt Mike. «Der Hoffnung wurde ich immer mehr beraubt – die Gefühle waren ja noch da.»
«Ich wurde depressiv und dachte öfter daran, mir das Leben zu nehmen.»
«Auch Selbstmord ist nicht gottgewollt» Nach Beendigung des Kurses versuchte er noch zwei, drei Jahre lang, sich von weiteren Therapeuten «heilen» zu lassen. Aber immer stärke keimte in ihm das Gefühl, da stimmt etwas nicht, nicht nur bezogen auf seine Homosexualität. «Ich war an einem kritischen, extremen Punkt», erinnert sich Mike. «Ich wollte und konnte mich mehr weitermachen; ich war psychisch ziemlich fertig und kurz davor, mir das Leben zu nehmen. Ich war aber zu feige, und auch Selbstmord ist ja nicht gottgewollt.» (Im Frühjahr 2020 nahm sich eine bisexuelle 21-Jährige aus Indien nach aufgezwungenen Konversionstherapien das Leben – MANNSCHAFT berichtete).
Als sich eine ihm sehr nahe stehende Person das Leben nahm, begriff er, was ein Suizid für das Umfeld bedeutet. Und beschloss, dass er so nicht weitermachen konnte. Das war sein Durchbruch. Nach und nach outete er sich. Er verliess seine Gemeinde und begann nach homofreundlichen christlichen Gruppen zu suchen. So stiess er auf «Zwischenraum», den vom Ex-Wüstenstromer Baum gegründeten Verein. «Die Menschen dort öffneten mir die Augen», sagt er dankbar. Heute lebt Mike zufrieden als schwuler Mann und hat im August des vergangenen Jahres seinen Partner geheiratet. «Wir sind glücklich», sagt er lachend. «Und ich bin glücklich über meine Homosexualität.»
Der Vater durchsuchte den Computer Bastian Melcher aus Bremen ging einen ganz ähnlichen Weg. Mit 12 oder 13 merkte, dass er schwul ist. Als Christ – die Familie gehörte der evangelischen Landeskirche an – war das für ihn ein echtes Problem. Er wollte doch ein glückliches Leben führen. Das bedeutete, so dachte er damals, mit einer Frau zusammen sein und Kinder zu kriegen. Sollte ihm das nicht vergönnt sein? Zuerst versuchte er es bei einer Freikirche und liess für sich beten, doch es änderte sich nichts. Der junge Mann war verzweifelt. Gott musste doch etwas tun können! Der Pastor der Freikirche empfahl ihm eine andere Gemeinde in Bremen, dort werde ein Seelsorgekurs angeboten. Wie bei Mike handelte es sich hier um «Living Waters», nach dem noch bis zum Jahr gearbeitet wurde und das dann vom «Aufbruch Leben Programm» abgelöst wurde. Nach anfänglichem Zögern besuchte Bastian den Kurs. Mittlerweile hatte sein Vater den Computer des Sohnes durchsucht und war auf GayRomeo gestossen. «Ich bin enttäuscht von dir», sagte er zu Bastian. Nun kam der Druck auch von aussen.
«Heilung», sagt Bastian, habe der Kurs, der sich offiziell an «Menschen mit Identifikationsschwierigkeiten» richtete, zwar nicht versprochen. Vielmehr hiess es: Du begibst dich auf einen Weg. Nur Gott weiss, wann es soweit ist. Gott hat immer einen Plan.»
Doch nach dem sechsmonatigen Kurs war alles beim Alten. Nun war Bastian 16 oder 17 und seine Verzweiflung wuchs. «Ich habe mich geschämt und gehasst. Ich war ein Sünder.»
Das Perfide: Durch den Kurs schöpfte Bastian immer wieder Hoffnung, sogar Euphorie stellte sich ein. Es wirkt, Gott arbeitet an mir, dachte er. «Aber man fällt umso tiefer, wenn man doch wieder bei GayRomeo gechattet hat oder bei einem Kerl im Bett liegt. Entweder war ich ganz oben oder ganz unten – das hat mich wahnsinnig gemacht.» Je mehr er versuchte, etwas zu verändern, umso schlechter ging es ihm.
Ölsalbungen und Dämonenaustreibungen Zwei weitere Jahre machte er eine Gesprächstherapie bei einem christlichen Seelsorgeprojekt, wo auch zugelassene Therapeuten mitwirkten. Auch hier wurde gebetet. Und auch hier stellte sich keine Besserung ein. Bastians Frustration wuchs.
Es folgten Ölsalbungen und eine Dämonenaustreibung. Bastian ging es zusehends schlechter. Am Ende gab es immer wieder denselben Schuldigen: Bastian. «Das kann einen nur verrückt und wahnsinnig machen. Ich wurde depressiv und dachte öfter daran, mir das Leben zu nehmen.» Phasenweise betrank er sich, um den seelischen Schmerz zu betäuben. Fügte sich körperliche Schmerzen zu, ritzte sich ins Bein.
Gott hat gewirkt. Schwarzer Rauch ist aus dem Rücken gestiegen.
Mit 20 traf er bei einem Gottesdienst in der Freikirche einen Arzt aus Hamburg, der auch predigte. Gott habe die Macht zu heilen, sagte dieser und lud Bastian ein, zu ihm in die Praxis zu kommen. Seine Homosexualität, so der Arzt, sei dämonisch bedingt. Bei einer Handvoll Termine betete er für Bastian. Einmal hiess es: Gott habe gewirkt, es sei schwarzer Rauch aus Bastians Rücken gestiegen. Einige Dämonen hätten ihn bereits verlassen, aber da sei noch ein ganz grosser, hartnäckiger – für den müsse er weiter beten. Also betete er.
Schliesslich verkündete er: Ein grosser schwarzer Stachel sei aus seinem Rücken gekommen, zu Boden gefallen und weggekrochen – ein grosser Dämon, der für seine Homosexualität verantwortlich gewesen sei. Der sei nun aber weg.
In Mexiko-Stadt sind jetzt Konversionstherapien verboten
Die Pride als Offenbarung Bastian verliess die Therapie mit dem Gefühl der Befreiung. Nun könnte er endlich ein christliches Gottesleben führen und eine Frau heiraten. Aber das Hochgefühl hielt nicht lange an. Er betete weiter, hoffte und zweifelte. Nach etwa vier Monaten besuchte er mit seiner besten Freundin deren Grosseltern in Hannover. Dort fand gerade der CSD statt.
Pride-Veranstaltungen fand er bis dahin immer schrecklich, böse und unchristlich, aber er war neugierig und ging zur Kundgebung – und war total überwältigt von den vielen Schwulen und Lesben und trans Menschen. In der Menge entdeckte er einen Mann. «Wir hatten Blickkontakt und ich ging zu ihm. Schon als wir miteinander sprachen, merkte ich: Es funkt, da ist mehr!» Bastian, inzwischen 21, beschloss, sein altes Muster aufzubrechen. Er schwor sich: Mit diesem Mann probiere ich es. Ich trenne mich nicht aus religiösen Gründen. «Mal sehen, wie sich anfühlt oder ob ich vom Blitz getroffen werde», sagt Bastian. «Und als ich das zuliess und meine Homosexualität akzeptierte – da spürte ich auf einmal eine Befreiung, nach der ich jahrelang gesucht hatte.»
Mit dem Mann, einem Amerikaner, blieb er fast drei Jahre zusammen – er war sein erster richtiger Partner. Sie trennten sich, weil der andere in die USA zurückgehen wollte. Das kam für Bastian nicht in Frage.
Der Glaube bleibt Der heute 31-Jährige ist mittlerweile aus der Gemeinde ausgetreten und hat sich von stark religiösen Leuten und Organisationen abgewandt. Seitdem geht es ihm gut. Die tiefe Zerrissenheit, die er über Jahre spürte, hat er überwunden.
«Ich brauchte dann noch eine vernünftige Therapie, aber ich habe das alles hinter gelassen und erkannt: Es war falsch, was die Leute damals gepredigt haben und heute noch predigten. Es ist falsch und es zerstört.»
Den Glauben an Gott hat er nicht verloren, den an das System Kirche schon. Er liest nicht mehr in der Bibel, betet nicht mehr. Zu seinen Eltern hat er ein gutes Verhältnis – auch wenn sie es anfangs schwierig fanden, als er sagte, er wolle nun als freier schwuler Mensch leben. «Sie sind zusammen mit mir gewachsen und haben festgestellt: Es bedarf offenbar keiner Veränderungen.» Sieben Jahre lang hat er sich Hilfe von christlichen Heilern erhofft, die ihm mit falschen Versprechungen viel Kummer und Leid gebracht haben. Seit er seine Erfahrungen öffentlich gemacht hat, hat er immer wieder von Betroffenen gehört und Zuschriften bekommen von Opfern selbsternannte «Heiler». Sie alle leiden unter Depressionen und Selbsthass bis hin zu Suizidgedanken.
Darum hat er sich dafür eingesetzt, dass Konversionstherapien bestraft werden. In der Fachkommission, die vom deutschen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) einberufen wurde, hat er seine Geschichte erzählt, nahm aktiv am Fachausschuss teil, wo er seine Vorstellungen und Vorschläge einbringen konnte.
«Das Gesetz ist ein Anfang» Nun gilt das Verbot: Wer homosexuelle oder trans Menschen «umzupolen» versucht, muss künftig mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr rechnen. Das Anbieten, Bewerben oder Vermitteln solcher Behandlungen steht unter Strafe. Dass nur Menschen unter 18 geschützt sind, haben unter anderem die Grünen und der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) deutlich kritisiert.
Auch Bastian geht das Gesetz nicht weit genug. «Ich habe ein komplettes Verbot gefordert, aber es ist schon mal sehr gut, dass das Gesetz da ist; es ist ein Anfang, darauf können wir aufbauen.»
Bastian weiss aber auch: Selbst wenn es ein vollumfängliches Gesetz gäbe, das für alles Altersgruppen gilt, würden auch weiter Konversionstherapien angeboten und ausgeführt. Immer wieder gibt es in der Kirche Prediger*innen, die ihre eigene Interpretation haben und diese verkünden. Beispiel: Der Bremer Pastor Olaf Latzel, der Homosexuelle als «Verbrecher» und «den ganzen Genderdreck» als «teuflisch und satanisch» bezeichnet hat. Der Kirchenausschuss der Bremischen Evangelischen Kirche hat mittlerweile ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet, flankiert von einer Petition, die Bastian gestartet hat (MANNSCHAFT berichtete). Auch die Staatsanwaltschaft ermittelt – im November beginnt der Prozess (MANNSCHAFT berichtete).
Auch wenn Konversionstherapien verboten sind: Der Hamburger Arzt, bei dem Bastian damals war, praktiziert noch immer. Sein Name: Arne Elsen. Der NDR-Journalist Christian Deker suchten ihn für seine preisgekrönte Reportage «Die Schwulenheiler» im Jahr 2014/2015 ebenfalls auf; ihm erzählte Elsen damals etwas von weissem Rauch, der seinen Körper verlassen habe. Deker konnte mit seinen Recherchen nachweisen, dass Elsen mindestens eine Behandlung mit der Kasse abgerechnet hatte.
MANNSCHAFT fragte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVHH) nach. Der damalige Justiziar habe mit Elsen ein Gespräch geführt, Weiterungen hätten sich daraus nicht ergeben. Auf die Frage, wie sich die KVHH künftig verhalten wolle, auch im Hinblick auf das Verbot von «Konversionstherapien», sagte man uns: «Jeder Vertragsarzt und -psychotherapeut hat sich an die gültigen Regeln zu halten. Erhalten wir Kenntnis davon, dass diese nicht befolgt werden, gehen wir dem nach.» Weitere Auffälligkeiten in der Arbeit von Elsen – oder anderen Ärzt*innen in Hamburg – seien der KVHH nicht bekannt.
Das klingt nun nicht gerade so, als müssten die Anbieter von Konversionstherapien in Hamburg – oder anderswo – Angst bekommen, dass es ihnen an den Kragen geht. Aber eines hat das deutsche Verbot schon erreicht: Die religiösen Fundamentalist*innen wurden aufgeschreckt. Die Bruderschaft des Weges, die aus der Arbeit des Instituts für dialogische und identitätsstiftende Seelsorge und Beratung (vormals Wüstenstrom) hervorgegangen ist, hat sich als eigener Verein in der Schweiz gegründet (siehe unten).
«Wir brauchen ein Verbot der Ex-Gay-Literatur aus den USA!»
«Man kann nie alle schützen» Das Verbot von «Konversionsbehandlungen» findet Mike F. gut. Auch er hat den Mitgliedern der Spahn-Kommission von seinen Erfahrungen berichtet und darüber hinaus zahlreiche Interviews gegeben. Ihm selber hätte das Gesetz damals nicht geholfen, da er sich nach Erreichen der Volljährigkeit in die Hände von Heilern begeben hatte.
Auch Mike findet, die Altersgrenze im Gesetz müsse auf mindestens 27 oder 28 Jahre hinaufgesetzt werden. «Ähnlich wie ich fangen viele erst Anfang 20 an, sich freizumachen von den Eltern, da steht man oft noch unter dem enormen Einfluss von Familie oder kirchlichen Gemeinschaften. Dadurch ist viel Angst und Unsicherheit im Spiel.»
Auch ein Verbot der Ex-Gay-Literatur, die aus den aus den USA zu uns kommt, findet er unerlässlich (einige Buchhandlungen haben die Bücher schon verbannt – MANNSCHAFT berichtete). «Diese Bücher werden oft von den Eltern an ihre Kinder weitergeben, das beeinflusst sie extrem, weil sie psychologisch wirken. Das müsste besser kontrolliert und im Zweifel verboten werden.»
Doch selbst wenn das Gesetz erweitert würde, weiss Mike: Man kann nie alle schützen. «Gerade in extrem christlichen Kreisen, bei freien Evangelikalen sowie bei Katholiken, ist Homosexualität sehr verpönt. Kinder und Jugendliche in ihrer Findungsphase habe da keine Chance, sich bei den Eltern zu outen. Wenn sie es doch tun, wissen sie genau, was auf sie zukommt», sagt Mike. «Keiner weiss, was im Inneren einer Familie passiert.»
«Konversionstherapien in Österreich und der Schweiz»
Es ist klar erwiesen, dass «Homoheilungen» und ähnliche Strategien zu grossen psychischen Schäden führen und für die Betroffenen sehr traumatisch sein könne, sagt Roman Heggli von Pink Cross. «In der Schweiz haben wir aber leider noch immer kein Gesetz, das diese verbietet. Obwohl wir dies schon seit Jahren fordern und die Folgen für die Betroffenen schlimm sind, sieht der Bundesrat noch immer keinen Handlungsbedarf», so Heggli gegenüber MANNSCHAFT.
Deutschland habe zum Glück eingesehen, dass es ein gesetzliches Verbot brauche. «Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass diese Vereine nun in die Schweiz flüchten. Sie bestätigen damit auch, dass sie tatsächlich sogenannte Konversionstherapien machen – sonst hätten sie ja nun keine Angst vor dem Verbot in Deutschland. Die Schweiz muss nachziehen!»
Auch in Österreich gibt es ein solches Verbot nicht. Es sei auch nicht nötig, erfuhr der Standard Ende Mai aus dem Gesundheitsministerium. Denn «reparative Therapieformen» widersprächen «der Berufspflicht eines ‹Arbeitens nach bestem Wissen und Gewissen›, die sich in einschlägigen Berufsgesetzen wiederfindet». Es drohten also bereits mit bestehenden Regelungen Konsequenzen, «sollte aus einer angewandten Konversionstherapie ein Schaden entstanden sein».
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