Queere Geflüchtete aus dem Iran: «Ihr dürft uns nicht vergessen»
In Berlin setzen sich einige von ihnen weiter für die LGBTIQ-Community ein
Vor mehr als drei Monaten stürzen die von Frauen angeführten Proteste im Iran die politische Führung in die schwerste Krise seit Jahrzehnten. Ihr Kampf ist noch nicht vorbei.
Von Jonathan Penschek, dpa
Wenn Melika Zarr an ihre Heimat Iran denkt, dann kommen viele schwierige Erinnerungen hoch. «Meine Familie hat mich heftig kontrolliert», erzählt die 30-Jährige in ihrer Wohnung in Berlin-Wedding. «Meine Eltern wollten, dass ich mich stereotypisch weiblicher anziehe. Ich durfte keine Sneaker tragen und musste in High-Heels zur Schule gehen.» Damals war sie 13 Jahre alt und ging im Iran zur Schule. Sie hatte einen Liebesbrief an eine Mitschülerin geschrieben – sehr zum Missfallen ihrer Lehrer und Eltern.
Inzwischen lebt Zarr (die eigentlich anders heisst) in Berlin, nachdem sie 2018 das Land verlassen hatte. Sie ist geflohen, weil sie lesbisch ist. Bis heute ist dies in vielen Familien und der traditionell-religiösen Gesellschaftsschicht ein Tabuthema, gleichgeschlechtlicher Sex kann gemäss islamischer Rechtsauffasung im Iran gar mit dem Tod bestraft werden (MANNSCHAFT berichtete). Einige verzweifelte Betroffene wählen sogar den Weg einer operativen Geschlechtsangleichung, die der Staat seit der offiziellen Legalisierung durch den früheren Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Chomeini befürwortet.
Schwul, lesbisch oder trans zu sein gilt in konservativen und streng religiösen Kreisen noch immer als psychische Krankheit, die heilbar sein soll. «Ich hatte mit 16 ein paar Arzttermine zur Hormonumstellung, weil ich dachte, ich sei trans», sagt Zarr, während sie mit ihrem Zwergspitz auf ihrem Sessel sitzt. «Doch dann habe ich Shadi kennengelernt.»
Gemeint ist Shadi Amin. Sie selbst ist eine lesbische Frau, die aus dem Iran gekommen ist. Sie ist die Gründerin der Berliner Vereinigung «6Rang», einer von Iranerinnen geführten Organisation, die sich für die Rechte von queeren Menschen einsetzt.
«Wegen der Gesetze im Iran ist es vielen Menschen gar nicht klar, dass man auch lesbisch oder schwul sein kann», sagt Amin. So ging es auch Melika. Denn neben der Tabuisierung von Homosexualität gibt es Gesetze, die eine Geschlechtsangleichung legalisieren (MANNSCHAFT berichtete). Trotz dieser vermeintlichen Offenheit litten viele Transpersonen unter gesellschaftlicher Ausgrenzung und Stigmatisierung, sagt Amin. Zudem würden besonders queere Menschen unter der aktuellen Situation im Iran leiden.
Auch im Rahmen der seit drei Monaten anhaltenden Proteste gegen die Islamische Führung im Iran setzen sich queere und homosexuelle Menschen für mehr Rechte ein. Auslöser des von Frauen angeführten Aufstands war der Tod der 22 Jahre alten Kurdin Jina Mahsa Amini. Sie starb am 16. September im Polizeigewahrsam, nachdem sie wegen Verstosses gegen islamische Kleidungsvorschriften festgenommen worden war. Bislang wurden zwei Demonstranten wegen ihrer Beteiligung an den Protesten hingerichtet, mehr als 20 weitere zum Tode verurteilt.
«Die iranische Regierung verurteilt und richtet Menschen nicht erst seit September hin, sondern bereits seit Jahrzehnten», sagt Amin. Im Januar etwa wurden zwei Männer gehängt, weil sie Sex hatten. Dagegen müsse es Proteste und Widerstand geben, sagt Zarr. «Die Menschen dürfen das bei den aktuellen Protesten gegen das Regime im Iran nicht vergessen.»
Deswegen wollte auch Zarr fliehen. Sie versuchte mit 21 Jahren auf den Rat einer Therapeutin hin, zwei Jahre lang als heterosexuelle Frau zu leben. «Ich habe mich jedes mal vergewaltigt gefühlt, wenn ich mit einem Mann schlafene Lüge leben kann. Heimlich verbündet sie sich mit anderen Menschen und versucht, etwas an der Situation zu ändern. Bis ihr ein Familienmitglied droht, sie an die Regierung zu melden.
«Eines Nachts wurde es so schlimm, dass ich mit meiner Freundin davonlaufen und woanders schlafen musste. Wir hatten Angst und haben gemerkt, dass wir nicht im Iran bleiben können», erzählt Melika. Mit 26 flieht sie mit ihrer Freundin nach Deutschland und erhält schnell Asyl, weil sie den langen Kontakt zu «6Rang» nachweisen und damit beweisen konnte, dass sie im Iran in Gefahr war.
Doch dieses Glück hatten nicht alle. Der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg berichtet, dass viele seiner iranischen Klienten und Klientinnen momentan grosse Angst haben, in den Iran zurückkehren zu müssen, falls ihr Asylantrag abgelehnt werden sollte.
Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, kennt die Thematik. Auf Anfrage erklärt er, dass die Aufnahme für queere Geflüchtete seit diesem Herbst einfacher sei, da es «keine zweifelhaften Verhaltensprognosen» mehr geben solle, nach denen die Menschen beurteilt würden. Er unterstützt die queeren Leute im Iran (MANNSCHAFT berichtete).
«Ich habe damals im Iran alles gehasst und hatte keine Hoffnung, dass ich ein gutes Leben haben könnte», erzählt Zarr. Deshalb arbeite sie bereits seit mehreren Jahren als Aktivistin. Mittlerweile unterstützt sogar ihre Familie sie dabei. «Ich will queeren Jugendlichen helfen, damit sie nicht das Gleiche durchmachen müssen, wie ich.»
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