Nicht alle schwulen Politiker sind wählbar
Gerade die Nationalratswahlen sind Partei- und keine Personenwahlen
Im Oktober stehen in der Schweiz die nationalen Wahlen an. Erlöse das dicke Abstimmungskuvert von seinem Dasein und schick es zurück – ausgefüllt und unterschrieben natürlich! Zentrale LGBTIQ-Rechte stehen auf dem Spiel. Der Samstagskommentar* von Greg Zwygart.
Am 20. Oktober wählen wir in der Schweiz unser neues Parlament. In der Redaktion fragen wir uns immer wieder, wie wir unsere Leser so effizient wie möglich zum Wählen und Abstimmen motivieren können.
Als es 2016 um die irreführende CVP-Initiative und ihre traditionelle Ehedefinition ging, legten wir unseren Magazinen Postkarten bei, die man jemandem aus seinem Bekanntenkreis schicken konnte, um sie von der Dringlichkeit eines Neins zu überzeugen.
Bei den nationalen Wahlen ist es schwieriger, da es hier in erster Linie nicht um LGBTIQ-Rechte geht, sondern um Politiker*innen, die dann innerhalb der nächsten vier Jahre mal darüber befinden werden – sofern sie dann überhaupt anwesend sind. Wie überzeugt man politisch eher uninteressierte Menschen, eine Reihe unbekannter Namen ins Kuvert zu stecken und rechtzeitig zurückzuschicken?
Keine Gratiswerbung mehr 2011 setzten wir vier Politiker von links bis rechts aufs Cover. Wie weit die Gleichstellung doch fortgeschritten war, dachte ich damals noch. Schwule Männer können in jeder Partei, egal ob links oder rechts, politisieren. Wie naiv von mir. Schlussendlich sind die nationalen Wahlen, besonders die Nationalratswahlen, Partei- und keine Personenwahlen. Zwei der vier «Coverboys» waren aus CVP und SVP: Parteien, die in den darauffolgenden Jahren immer wieder LGBTIQ-Anliegen torpedierten, teils mit den fadenscheinigsten Argumenten. Gibst du also einer sympathischen Person deine Stimme, kommt diese der Partei zugute, sollte die Person nicht gewählt werden. Über Listen- und Unterlistenverbindungen können Stimmen ausserdem auch bei anderen, eher LGBTIQ-feindlich eingestellten Parteien landen.
2015 interviewte ich diverse Politiker*innen, die entweder offen LGBTIQ waren oder sich sonst für unsere Anliegen einsetzten. Doch nicht alle vermochten mich zu überzeugen. Zudem hörten sich viele der Antworten wie die leeren Wahlversprechen an, die man aus der Propaganda kennt.
Für dieses Jahr beschloss ich: Keine redaktionelle Gratiswerbung mehr für Kandidierende, indem ich sie im Magazin vorstelle. Einem offen schwulen Hans-Ueli Vogt, der mit seinen Selbstbestimmungsinitiative eines der fundamentalen Rechte von Minderheiten zu untergraben versuchte (MANNSCHAFT berichtete), will ich keine Plattform geben. Was bringt uns ein schwuler SVP-Nationalrat, wenn er bei der Fristverlängerung zur Ehe für alle abwesend ist und sich bei der Schlussabstimmung zum Schutz der sexuellen Orientierung vor Diskriminierung enthält? Jüngstes Beispiel: Vogt stimmte am 26. September auch gegen die statistische Erfassung von Hassverbrechen gegen LGBTIQ-Personen (MANNSCHAFT berichtete). Wer wie abgestimmt hat, siehst du auf parlament.ch.
Stattdessen machte ich wieder Interviews: Mit Aktivist Florian Vock und Pink-Cross-Geschäftsleiter Roman Heggli. Beide unterstrichen die Dringlichkeit eines neuen Parlaments, das LGBTIQ-Anliegen gut gesinnt ist. Schliesslich stehen demnächst die Ehe für alle und das Verbot von Konversionstherapien an Kindern und Jugendlichen auf dem Sessionsprogramm. Es ist wichtig, dass du deine Stimme abgibst!
Im Oktober zieht MANNSCHAFT mit dir aufs Land!
Du brauchst nur fünf Minuten Deshalb möchte ich dich auffordern, lieber Leser: Wenn das dicke Kuvert mit den Wahlunterlagen ankommt, lass es nicht wochenlang auf dem Eingangstisch liegen, bevor es dann ungeöffnet im Altpapier landet. Wenn dir die Durchsetzung von LGBTIQ-Rechten wichtig ist, entscheide dich für eine Partei, die sich auch wirklich voll und ganz dafür einsetzt, und reiss die entsprechende Liste vom Block. Deine Wahl für den Ständerat trägst du auf einem separaten Zettel ein. Die Website regenbogenpolitik.ch hilft dir weiter, falls du mehr Informationen zum LGBTIQ-Engagement einzelner Parteien benötigst. Vergiss nicht, den Stimmausweis zu unterschreiben und schick das Wahlkuvert zurück. Alles dauert nicht länger als fünf Minuten. Versprochen. Indem du diesen Oktober wählen gehst, kannst du einen persönlichen Beitrag leisten, damit es mit LGBTIQ-Rechten in der Schweiz endlich vorwärts geht!
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
Das könnte dich auch interessieren
International
Japans erste Premierministerin ist eine Gegnerin der Ehe für alle
Sie möchte Japans «Eiserne Lady» sein. Sanae Takaichi steht nicht nur aussen- und sicherheitspolitisch für einen Rechtskurs. Ihre Haltung zu queeren Themen und Frauenrechten sorgt für Kritik – auch in Japan selbst.
Von Newsdesk/©DPA
News
Ehe für alle
Religion
Premiere im Vatikan: Papst trifft Vertretung von Missbrauchsopfern
Papst Leo traf diese Woche erstmals eine Vertretung von «Ending Clergy Abuse». Die Menschenrechtsorganisation bezeichnete den Austausch als «historisches Treffen».
Von Newsdesk Staff
News
International
Community
Brand vor CSD in Cottbus: Auch der Staatsschutz ermittelt
Vor dem CSD in Cottbus brennt ein Müllcontainer am «Regenbogenkombinat» und der Staatsschutz ermittelt – was steckt dahinter? Vor der CSD-Parade ist die queere Community in Cottbus besonders wachsam.
Von Newsdesk/©DPA
Pride
Deutschland
Queerfeindlichkeit
International
«Unanständige Handlungen»: Türkei erwägt Haftstrafen für LGBTIQ
Neuer Gesetzesentwurf in Ankara: Während Regierungsstellen von moralischem Schutz sprechen, warnen Organisationen vor einer gezielten Kriminalisierung queerer Identitäten.
Von Newsdesk Staff
Queerfeindlichkeit
News
Justiz